| # taz.de -- Neues Album von Ian Svenonius: Der Brand von Rom | |
| > Ein Ismus, bei dem man mit muss: US-Punk-Kauz Ian Svenonius und sein | |
| > Soloalbum „Introduction to Escape-ism“. | |
| Bild: Amerikas größter Eskapist, Ian Svenonius | |
| Kann Rock ’n’ Roll die Gesellschaft retten? Oder gar der Menschheit zu | |
| größerer Freiheit verhelfen? Diese Fragen muten anachronistisch an, doch | |
| der US-Künstler Ian F. Svenonius, begnadeter Performer und Punk-Philosoph, | |
| nimmt sie ernst: „Natürlich kann Rock ’n’ Roll das. Wir müssen erkennen, | |
| wie viel Macht wir haben.“ | |
| Einst war der 49-Jährige Sänger der Hardcore-Band Nation of Ulysses in | |
| Washington, D. C., etwas später stand Svenonius der Gospel-Punk-Combo The | |
| Make Up vor, spielte in diversen anderen Projekten mit. Derzeit ist | |
| Svenonius als Escape-ism erstmals solo unterwegs. | |
| Woher nimmt so jemand ausgerechnet jetzt seinen Optimismus und überhaupt: | |
| Wie geht das zusammen? Schließlich hatte er die Popkultur eben noch als | |
| „Methode der CIA zur Gedankenkontrolle“ bezeichnet. Eigentlich hatten wir | |
| uns zu einem Telefoninterview verabredet, um über sein neues | |
| Escape-ism-Projekt zu reden, aber Svenonius kommt schnell vom Hölzchen aufs | |
| Stöckchen. | |
| Kurz auf den Punkt gebracht: Er glaubt, dass der Westen die Popkultur im | |
| Kalten Krieg bewusst genutzt hat, um seine Stärken zu demonstrieren: über | |
| Konsumteilhabe, Selbstverwirklichung und so weiter. Wer es genauer wissen | |
| will, sei auf Svenonius’ Buch „The Psychic Soviet“ (2006) verwiesen: vom | |
| Einband her wie eine pinkfarbene Mao-Bibel gestaltet, widmet sich der Autor | |
| inhaltlich der Kulturgeschichte und ihren ideologischen Subtexten, immer | |
| balancierend auf einem schmalen Grat zwischen Hellsicht und | |
| Verschwörungstheorie. | |
| ## Strategien für eine erfolgreiche Rockband | |
| So durchgeknallt er bisweilen klingt: Die Lektüre inspiriert mit ihrer | |
| eigenwilligen Mischung aus Humor, Ernsthaftigkeit, Zuspitzung und latentem | |
| Größenwahn. Siehe auch seine „22 Strategien für die erfolgreiche Gründung | |
| einer Rockband: Mit Ratschlägen aus dem Jenseits von Brian Jones, Jimi | |
| Hendrix, Jim Morrison u. v. a.“ (Walde + Graf bei Metrolit). Auch da geht | |
| es, wie immer bei Svenonius, um Ideologie und die Macht von Ideen, extrem | |
| lustig und mitreißend beschrieben. | |
| Nun, zurück zur Eingangsfrage, zur Wirkungsmacht von Popmusik: Der Kalte | |
| Krieg ist längst vorbei, aber Rock ’n’ Roll immer noch da, und nach | |
| Svenonius’ Meinung wirkt dieser „zweifellos nach wie vor attraktiv“. Auch | |
| wenn die Strukturen kommerzieller werden und „viele Rock-Clubs in den USA | |
| von multinationalen Konzernen aufgekauft worden sind, um Subkultur wie | |
| Sportevents zu vermarkten“, ist Rockmusik, um es mit seinen Worten zu | |
| sagen, „people’s art“: die demokratischste, authentischste, weil | |
| unmittelbarste Kunst zur Auseinandersetzung mit unserer Alltagsrealität. | |
| Schließlich entscheidet am Ende des Abends das Publikum. „Jeder | |
| Hollywood-Heini würde insgeheim lieber in einer Rockband spielen. Weil wir | |
| wirkliche Macht haben. Nur erkennen dies die VertreterInnen von Subkulturen | |
| nicht. Sie halten sich selbst lieber für verpeilte Bohemiens. Oder wollen | |
| ihre Möglichkeiten nicht nutzen, weil sie Angst haben, von der Party | |
| ausgeladen zu werden.“ | |
| ## Die wahren Arbeiter | |
| Vor pathosträchtigen Analogien schreckt Svenonius jedenfalls nicht zurück. | |
| „Letztlich hat Rockefeller nichts erbaut – auch wenn am Ende sein Name | |
| draufstand. Seine Arbeiter haben die Brücken für ihn gebaut. So ist es auch | |
| im Rock ’n’ Roll. Wir, die Fans, die Künstler, sind die wahren Arbeiter.“ | |
| Dagegen, ideologisch vereinnahmt zu werden, müsse man sich wehren, wie in | |
| anderen Lebensbereichen auch. „Das ist ein Paradox, das man in Einklang | |
| bringen muss.“ | |
| Ein unermüdlicher Rock-’n’-Roll-Arbeiter ist Svenonius definitiv. Er wurde | |
| schon „greatest performer on the planet“ genannt, für die Tageszeitung | |
| Washington Post war er 2014 der „most interesting man in Rock ’n’ Roll“. | |
| Auch 25 Jahre nachdem Svenonius mit seiner Band Nation of Ulysses für | |
| Furore sorgte, ist er immer noch unermüdlich an der Basis unterwegs, | |
| ausgestattet mit reichlich Charisma. Kein Wunder, dass er einst vom | |
| Teenie-Magazin Sassy zum begehrenswertesten Typ, zum „Sassiest Boy in | |
| America“, gewählt wurde. | |
| Selbstvermarktung ist trotzdem nicht sein Ding. Zuerst vergisst er unseren | |
| anberaumten Gesprächstermin. Als das Telefonat Stunden später doch noch | |
| zustande kommt, kurvt er gerade durch die US-Hauptstadt, wo er immer noch | |
| lebt und auf dem Weg zu einem Auftritt ist. Zwischendurch lädt er Equipment | |
| ein und aus. Die Freisprechanlage tut ihren Teil dazu, dass es schwer ist, | |
| seinen Gedankengängen zu folgen. Eine Woche später die Fortsetzung. | |
| Mittlerweile ist er an der Westküste, auch hier unterwegs zu einem | |
| Auftritt. Nebenbei muss er Suppe essen. Da bleibt manches „lost in | |
| Translation“. | |
| Und Svenonius erzählt sowieso lieber von der selbstorganisierten Tour, die | |
| er kürzlich durch Osteuropa machte, oder setzt zu Tiraden über die | |
| „wahrhaft faschistoide Natur des Internets“ an („Konzerne wollen die Welt, | |
| wie wir sie kennen, zerstören und neu gestalten. Wie Albert Speer.“), als | |
| über sein Solodebüt „Introduction to Escape-ism“ zu reden. | |
| ## Der Punk als ewiger Grantler | |
| Das ist nicht weiter schlimm, denn wie jedes tolle Pop-Album, erklärt sich | |
| das rund 30-minütige Werk eigentlich von selbst. Ursprünglich war | |
| „Escape-ism“ als Spoken-Word-Projekt mit Vierspur-Rekorder konzipiert, | |
| mittlerweile sind eingängige, fast poppige Songs mit minimalistischen | |
| Soundgerüst (Gitarre, Drum-Machine, Tape-Loops) daraus geworden. So gern | |
| der Punk im Gespräch den Grantler gibt: In Songform klingen seine Songs | |
| melancholischer, pointierter, auf ihre inhaltliche Essenz runtergekocht. | |
| Zwischendurch tut Svenonius seine Songs kokett als „Geheule eines Alten“ | |
| ab. Aber natürlich hat er recht, wenn er als Dilemma identifiziert, dass | |
| man, wenn man sich über die Verhältnisse oder gar über Veränderungen | |
| beschwert, heutzutage ziemlich schnell als Kauz (er benutzt den schönen | |
| Ausdruck „fuddy-duddy“) abgestempelt wird. | |
| „They Took the Waves“ etwa ist ein wehmütig-poetischer Instant-Ohrwurm und | |
| handelt davon, wie Dinge einfach verschwinden, die man für durchgesetzt | |
| hielt. „Man sollte sich nicht dafür schämen müssen, etwas zu wollen.“ | |
| Beziehungsweise nicht zu wollen. „Etwas wertzuschätzen, was bereits | |
| existiert, ist doch eine positive Sache. Wir müssen uns dagegen wehren, wie | |
| Konzerne jeden unserer Lebensbereiche okkupieren und umräumen.“ | |
| In „Iron Curtain“ besingt Svenonius fast lasziv den Eisernen Vorhang und | |
| wünscht sich auf die andere Seite der Geschichte. „Apologet der | |
| Sowjetunion“, als den er sich bezeichnet, meint damit wohl eher die Ideale | |
| der bolschewistischen Revolution als die daraus folgende Lebensrealität. | |
| „Klar war es da auch übel. Der Song ist eine Fantasie über eine Welt, in | |
| der nicht Werber darüber entscheiden, was Menschen wollen.“ Manchmal macht | |
| Svenonius es sich zu leicht. | |
| ## Die Zerstörung Amerikas | |
| „Rome Wasn’t Burnt in a Day“, heißt ein anderer catchy Song. Wer mag bei | |
| der Erwähnung bröckelnder Imperien nicht an die USA denken? Einen äußeren | |
| Feind scheint es dieser Tage ja gar nicht mehr zu brauchen. Überhaupt, da | |
| war doch einmal was: „13-Point Program to Destroy America“ hieß 1991 das | |
| Debütalbum von Nation of Ulysses. | |
| „Damals hat uns angewidert, wie selbstzufrieden sich die USA nach dem | |
| Zusammenbruch des Ostblocks zum Sieger der Geschichte machten. Dass sich | |
| das US-System als ebenso absurd entpuppen wird, war abzusehen.“ Er lacht | |
| ins Telefon „Aber wir klopfen uns gerne dafür auf die Schulter, das | |
| Unvermeidliche vorhergesehen zu haben.“ | |
| Auch wenn er dem politischen Betrieb grundsätzlich zynisch gegenübersteht | |
| und auf „Obama und all die anderen Arschlöcher“ schimpft: Trump scheint | |
| sogar Svenonius zu verstören. „Es ist wie in der Klapse. Das Projekt der | |
| neuen herrschenden Klasse ist, alles und jeden aus dem Gleichgewicht zu | |
| bringen, jegliche Konsistenz zu zerstören.“ Für einen Unfall hält er Trump | |
| nicht, eher für eine Marionette der crazy liberterians, die „jede Regierung | |
| mit sozialpolitisch gestalterischem Anspruch obsolet erscheinen lassen | |
| wollen“. | |
| Aber in jedem Kollaps stecken Chancen, dem Nihilismus dürfe man nicht | |
| nachgeben. „Wir schreiben das Script, wie es weitergeht“, sagt Svenonius | |
| und hört sich kurz an wie einer seiner ewig optimistischen Landsleute, über | |
| deren Anpassungsfähigkeit und „Angst, von der Party ausgeladen zu werden“, | |
| er gerade noch geschimpft hatte. Seine Analyse der Verhältnisse klingt aber | |
| mehr auf der Höhe der Zeit, als man das vor fünfzehn oder auch fünf Jahren | |
| für möglich gehalten hätte. Und in Musik verwandelt sogar verdammt toll. | |
| 12 Nov 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Stephanie Grimm | |
| ## TAGS | |
| Rock'n'Roll | |
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| Frankfurter Schule | |
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