| # taz.de -- Musikfestival von Ableton: Ultravernetzt in Oberschöneweide | |
| > Von analog zu digital: Beim „Loop“-Festival in Berlin verhandelte die | |
| > junge, internationale Musikszene die Zukunft von Pop. | |
| Bild: Die japanische Produzentin Sapphire Slows beim „Loop“-Festival | |
| Welche Transformationen Musikkultur in den vergangenen Jahrzehnten erfahren | |
| hat, erklärt Jace Clayton alias DJ/rupture am Sonntag im Kultursaal des | |
| Funkhauses Nalepastraße kurz und bündig: „Der Computer ist zu einem | |
| Folkinstrument geworden. Rund um die Welt wird damit informell Musik | |
| getauscht.“ | |
| Der New Yorker Musiker und Autor spricht darüber, wie neue Genres und Stile | |
| im digitalen Zeitalter fast in Echtzeit um den Globus wandern. | |
| „Hyperconnected“ seien wir, sagt Clayton. | |
| Der Begriff passt gut zu einem Festival, in dessen Rahmen er spricht. Denn | |
| „Loop“ steht für die ultravernetzte Musikkultur der Gegenwart und stellt | |
| auch Fragen nach der elektronischen Musikkultur und Digitalkultur der | |
| Zukunft. Veranstalter ist die Berliner Softwarefirma Ableton. Mit „Live“ | |
| hat sie ein Musikprogramm entwickelt, das die halbe Welt benutzt. | |
| Workshops, Podiumsdiskussionen, Konzerte und Sessions finden von Freitag | |
| bis Sonntag statt – 2.000 Musiker, Produzenten, Labelmacher und | |
| Musikinteressierte sind ins Funkhaus Nalepastraße gekommen, viele von weit | |
| her. | |
| Das Folkinstrument Computer und die Möglichkeiten, die es eröffnet, stehen | |
| im Mittelpunkt des Loop. An jeder Ecke gibt es Installationen, Instrumente | |
| und Effektgeräte zum Ausprobieren, man geht durch lichtilluminierte Gänge, | |
| in denen nach Random-Prinzip Ambientklänge abgespielt werden. | |
| ## Mit dem Computern verbunden | |
| Am Samstagabend werden bei einer Performance rund 20 Besucher selbst zu | |
| Instrumenten: mit Socken stehen sie in Gummisandelen, die mit Sensoren | |
| versehen und so mit dem Computern verbunden sind – wenn man nun den Körper | |
| der jeweiligen Person berührt oder sehr nah an ihn heran geht, wird daraus | |
| Sound. Mit der Zeit entstehen dabei sogar Beats und Rhythmen. | |
| Diese elektronische Spielwiese ist das Setting des Loop, die Highlights | |
| sind aber die Gesprächsformate und die Konzerte. „Hyperconnected“ geht | |
| nicht nur digital, es geht auch analog: Da stellt sich The Nile Project vor | |
| – eine faszinierende Zusammenarbeit von Musikern aus elf verschiedenen | |
| Ländern, durch die der Nil fließt. | |
| Das Projekt hat einen aktuellen politischen Hintergrund: Der Fluss ist | |
| gerade Grund für einen Konflikt zwischen mehreren Anrainerstaaten – wegen | |
| eines gigantischen Staudammprojekts in Äthopien fürchten vor allem Ägypten | |
| und Sudan, dass zu wenig Nilwasser in ihre Länder gelangt und die | |
| Wasserversorgung bedroht ist. | |
| Das Nile Project soll den Ländern etwas kulturell Verbindendes geben – und | |
| auf der Bühne funktioniert das schon mal ganz gut: Alle sind | |
| mucksmäuschenstill, als der ugandische Musiker Michael Bazibu die Adungu | |
| (eine ugandische Harfe) zupft und der ägyptische Sänger Baseem Wadie | |
| arabische Gesangslinien vorträgt. | |
| Wiederkehrendes Element sind die gospelartigen Chöre, die toll klingen im | |
| großen Sendesaal des Funkhauses mit dessen superguter Akustik. Bei einem | |
| Stück singt dann der ganze Saal mit – wobei nicht geklärt werden kann, | |
| welche Bedeutung der simple Refrain „Dingi, dingi, dingi“ hat. Eigentlich | |
| auch egal – klingt gut, dieses Dingidingidingi. | |
| ## Die Evolution der Musik | |
| Weitere Höhepunkte: Der US-Ambient-/Avantgardemusiker William Basinski | |
| taucht den proppevollen Saal 2 in dunklen Nebel, seine betörenden | |
| Synthesizer-Sounds könnten als Mediation oder auch als Geisteraustreibung | |
| durchgehen. | |
| Das „Plattenspieler“-Pingpong (wechselndes Auflegen) zwischen Thomas | |
| Meinecke und dem britischen DJ und Labelbetreiber Gilles Paterson gleicht | |
| einer kurzen Welt- und Zeitreise, von nigerianischer Musik (Franka) über | |
| brasilianischen Pop (Milton Nascimento) landet man bei der britischen | |
| Postpunk-Band Weekend und schließlich bei Drum'n'Bass-Musiker Roni Size. | |
| Groovt. | |
| Schließlich: Die Soundingenieurin und Neurophysiologin Susan Rogers spricht | |
| über die Evolution der Musik und darüber, wie eine „early music language“ | |
| der sprachlichen Kommunikation vorangegangen ist. | |
| Und sie spricht über Prince: Von 1983 bis 1988 arbeitete sie mit dem | |
| Funkgenius zusammen, heute werde „viel zu wenig darüber gesprochen, welch | |
| wunderbarer Mensch Prince war. Er wird oft als kompliziertes Ego | |
| dargestellt, das war er nicht. Ihm war es immer sehr wichtig, dass die | |
| Leute um ihn herum glücklich waren.“ Sie spielt auch ein paar Outtakes von | |
| Prince: „Hören Sie sich diesen Bass an! Das hat der mal eben so | |
| eingespielt!“ | |
| Umherstreifend saugt man an drei Tagen Loop all diese Eindrücke auf. Schon | |
| beeindruckend, wie eine junge, hyperconnectete Musikgeneration die | |
| Geschichte der Musik inhaliert, wie sie sich der analogen Vergangenheit | |
| zuwendet, um daraus Neues zu kreieren. | |
| Denn das fiel auch auf an diesen drei Tagen: Hier geht es nicht um den | |
| Verkauf von Softwareprogrammen (der Messeanteil war minimal), sondern | |
| darum, wie man Musikkultur vermittelt und im digitalen Zeitalter | |
| voranbringt. Die beste Grundlage dafür ist die obsessive Leidenschaft, mit | |
| der Macher wie Besucher beim Loop agieren. | |
| 15 Nov 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Uthoff | |
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