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# taz.de -- Synthpop von John Maus: Der Starkstromerzeuger
> US-Synthpop-Künstler John Maus kommt mit seinem betörendem neuen Album
> „Screen Memories“ für zwei Konzerte nach Deutschland.
Bild: Heiter bis wolkig: John Maus
Nach zig Anläufen steht die Verbindung, endlich. In San Francisco ist es 1
Uhr nachts. John Maus meldet sich am Telefon. Sechs Jahre blieb er von der
Bildfläche verschwunden, beendete eine Doktorarbeit in politischer
Philosophie und lebte dafür zurückgezogen auf dem Land in Minnesota in
einem alten Bauernhaus. Nun ist er erstmals wieder in der Öffentlichkeit.
Bringt er es noch als Performer auf der Bühne?
Offensichtlich ja. Maus wirkt enthusiasmiert, zwei Stunden zuvor hat er das
erste Konzert seit langer Zeit absolviert. Die neuen Songs waren bestens
beim Publikum angekommen. Der 37-Jährige steht mit seinem Auto auf einem
Parkplatz, gerät ins Schwärmen, als er über „Screen Memories“ redet, sein
heute erscheinendes neues Album. Zwischendurch setzt immer mal die Stimme
aus, Tücken der Telekommunikation.
Passend, dass auf dem Cover von „Screen Memories“ ein Bildschirm (Screen)
abgebildet ist. Darauf zu sehen sind die „White Noise“ genannten
schmutzig-weißen Schneeflocken, die entstehen, wenn eine Übertragung aus
technischen Gründen unterbrochen wird. „Screen Memories“ spielt selbst bei
diesem Phoner eine Rolle, der mit einer Konferenzschaltung in der Berliner
Plattenfirma über mehrere kleine Bildschirme von Handys geführt und
aufgezeichnet wird. Große und kleine Screens bestimmen den Alltag im 21.
Jahrhundert.
Maus spielt beim Titel auch mit dem Begriff Deckerinnerung (englisch:
Screen Memories), als eine solche bezeichnete Sigmund Freud, wenn eine
angenehme Geschichte aus der Vergangenheit eine unangenehme Erinnerung im
Gedächtnis verdrängt. Bei Maus hat das immer mit seiner Klangsignatur zu
tun: Als Synthpop wird seine Musik klassifiziert. Lieber als amtliche
digitale Klangerzeuger setzt der US-Künstler dafür analoge Elektronik ein,
und trotzdem produziert er zeitgemäße Popmusik. „Zusammen erzeugen diese
Maschinen sehr viel Starkstrom! Sie können das ruhig auf meinen
Fetischismus schieben, aber mich fasziniert einfach, wie ich aus diesen
Analog-Instrumenten Sound herauskitzele. Nur weil sie technologisch gesehen
veraltet sind, bedeutet das nicht, dass sie kreativ und vor allem expressiv
nutzlos sind.“
Maus hat auf „Screen Memories“ die Gedanken von Freud mit dem Sound von Dr.
Avalanche verschnitten. Wo der Wiener den psychoanalytischen Bezugsrahmen
liefert, stellt Avalanche, Künstlername der Drummachine DR-55, synthetische
Rhythmen zur Verfügung, die die Hörer wie Lawinen unter sich begraben.
Zusammen mit modularen Keyboards (die er selbst modifiziert hat), erzeugt
Maus damit eine raffinierte Melange aus Synthetiksounds und Geistesblitzen,
aus frechen Zitaten und Spielereien mit der Technik.
## Halleffekte wie Hustenlöser
Eine Art Nouveau Gothic Synthpop kennzeichnet den Sound, gekrönt von John
Maus’ ultrasonorer Stimme, die aus der untersten Grabkammer nach oben
nebelt, verfremdet von viel Hall. „Ich setze Halleffekte wie Hustenlöser
ein, sie lockern meine Stimmbänder, geben der Stimme mehr Hoffnung. Und sie
statten meine Stimme auch mit ein bisschen mehr Gewicht aus. In den USA
glauben die Fans dadurch stets trockenen teutonischen Humor zu hören.“
Dass die Songtexte von John Maus auch zu transatlantischen
Missverständnissen führen, ist eher unwahrscheinlich. Gleich in mehreren
Songs weht ein apokalyptischer Geist. „Screen Memories“ ist ein Trump-Album
geworden, das gibt Maus unumwunden sofort zu.
Gleich im Auftaktsong „The Combine“ singt er von einem Staatskonzern, der
„combine is coming, it’s going to dust us all to nothing“. Allerdings ist
die Apokalypse, wie sie auch in mehreren anderen Songs aufscheint, für John
Maus nicht grundsätzlich negativ besetzt. „Ich mag das Wort Eschatologie.
Der messianische Gedanke, dass das Ende nah ist, muss ja nicht das Ende der
Welt bedeuten, es könnte sich auch um das am weitesten Entlegene handeln,
das ultimative Abgeschiedene.“
Trumps Wahl erlebte John Maus als „hysterischen Moment“. Der Allmacht von
Nonstop-Nachrichten-Kanälen ausgesetzt zu sein, führte bei vielen Bekannten
zum Gefühl von „Alles wird immer noch schlimmer“.
Was kann Popmusik in so einer Situation leisten? John Maus führt dafür eine
Stelle aus seinem Song „Over Phantom“ an, sie bezieht sich auf ein Essay
von Michael Foucault über Andy Warhol: „Take a Seat on the Electric Chair“
singt John Maus. „Ich drücke damit aus, wie schlimm der elektrische Stuhl
ist. Damit konfrontiere ich mich direkt mit Dummheit. Und das passt auch
auf Pop allgemein, denn Pop nutzt Dummheit auf bizarre Art, wendet sie für
sich gewinnbringend an, um die mathematische Präzision von Machtmechanismen
herauszuarbeiten.“
6 Nov 2017
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Synthiepop
Sigmund Freud
Festsaal Kreuzberg
Popkultur
Bargeld
Theodor W. Adorno
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