| # taz.de -- Chain and The Gang auf Tournee: Verloren im Supermarkt | |
| > Der Befreiungstheologe des Soulpunk, Ian Svenonius, kommt mit Chain and | |
| > The Gang nach Deutschland. Ihr neues Album ist eben erschienen. | |
| Bild: Ian Svenonius (links) und seine Gang. | |
| Ließen sich Patente auf Yeah-Yeahs und Uuw-Uuws anmelden, Ian Svenonius | |
| hätte schon mehrere beanspruchen können. Seit 25 Jahren haucht und schreit | |
| sich der Meister des anarchistischen Gospel-Rock die Zumutungen der | |
| kapitalistischen Welt aus dem Leib. | |
| Es sind aber weniger Klageschreie als Laute des Begehrens und Verzehrens, | |
| der unstillbaren Sehnsucht nach anderen, nach unerreichbaren Zuständen, | |
| politischen wie seelischen. Ostentative Theatralik gepaart mit todernst | |
| gemeinter Mission: Man muss diesen exzentrischen Dandy live gesehen haben, | |
| um zu wissen, wie das aussieht. Und dass das umwerfend gut aussehen kann, | |
| diese Mischung aus dem Spott eines Lenny Bruce, der Agitation und | |
| Propaganda eines Buenaventura Durruti und der Exzentrik eines Prince. | |
| Auch auf seinem neuen Album wird wieder gehaucht und affirmativ ausgerufen. | |
| Wie immer umwerfend grundiert von Katie Alice Greer, die ihn mit ihren | |
| eigenen Uuws und Yeah-Yeahs wieder aus der Ekstase zurückholt, so kühl und | |
| anziehend wie Kim Gordon und Blondie zusammen. | |
| „Minimal Rock ’n’ Roll“ heißt das jetzt erscheinende vierte Album sein… | |
| 2009 gegründeten Band Chain and The Gang. Überraschend neu und anders ist | |
| es nicht. Soll es aber auch nicht sein. So wie mit seinen legendären Bands | |
| Nation of Ulysses oder The Make-Up dreht der in Washington geborene Ian | |
| Svenonius auch mit seiner neuesten Gang weiter an dem von ihm erfundenen | |
| Genre des „Gospel Yeh-Yeh“. | |
| ## Reduzierter als früher | |
| Ein bisschen anders als die 15 früheren Alben ist es trotzdem. | |
| Minimalistischer. Reduzierter ist der sonst so irre schnelle, intensive, | |
| überdrehte und mitreißende Mix aus Soul, Gospel, Punk und Garagen-Pop. Und | |
| reduzierter ist auch der für einen linken Missionar so wichtige Textanteil, | |
| die zu seinem Markenzeichen gehörende manifestartige Poesie. „Warum sollte | |
| man für überflüssige Wörter, Reime und Riffs bezahlen?“, erklärte Svenon… | |
| mit gewohnt satirischem Konter seine Zurückhaltung. | |
| Dieser Tage erscheint auch die deutsche Übersetzung seines Buchs „22 | |
| erfolgreiche Strategien zur Gründung einer Rockband“. Bei Nation of Ulysses | |
| waren es die futuristischen Manifeste eines Filippo Marinetti, bei The | |
| Make-Up die Religiosität des Gospels, bei Chain and The Gang ist es die | |
| spontane Kunst der Straße, die „instant party“, die Gangkultur eben, mit | |
| der Svenonius seine Mission vorantreiben will. Und seine Mission ist, mit | |
| sarkastischer Poesie, gnadenlosen Verschwörungstheorien und | |
| antiimperialistischen Kampfparolen („13 point plan to destroy America“): | |
| die Kritik der Warenform. | |
| „I want the middleclass to feel lonely / like strangers in their own | |
| houses“, singt er denn auch gleich im ersten Stück des neuen Albums | |
| „Devitalise“, ein Wut-Manifest, das die radikale Grundlage zum Abriss der | |
| bürgerlichen Fassaden und den Einsturz des Systems liefert; ähnlich wie das | |
| fünfte Stück der Platte „Got to have it everyday“ klassische Konsumkritik | |
| bietet. | |
| ## Allein diese Zeile! | |
| Am schönsten ist das Album da, wo Svenonius seine „liberation theology“ | |
| nicht manifestartig verkündet. Am allerschönsten in „I’m a choice“. All… | |
| diese Zeile! Svenonious wendet das hehre „freedom of choice“ gegen sich | |
| selbst, indem er ein traurigschönes Liebeslied daraus macht. „I’ll make you | |
| choose me / choose me over him / choose me over her“: Kritik und Wut auf | |
| die Bigotterie kapitalistischer Gesellschaften, die nicht nur vor den | |
| Supermarktregalen das Gefühl von Verlorenheit entstehen lässt, sondern auch | |
| das Soziale zu einem solchen Kühlregal macht. | |
| Mehr als über den ideologischen Poeten Ian Svenonius wird in Kreisen, die | |
| Musik mit gesellschaftskritischen Texten mögen, neuerdings über [1][die | |
| britische Band Sleaford Mods] geredet. Musikalisch zwischen Hardcore und | |
| Northern-Soul, besteht der Auftritt der Band darin, sitzen zu bleiben. | |
| Undenkbar für Ian Svenonius. Trotz all der Fesseln, die dieses Gangmitglied | |
| um sich rum spürt, kann der gar nicht sitzen bleiben. Immer muss er als | |
| Sprengsatz rumhüpfen, ob in seinen Texten, seiner Musik oder auf der Bühne. | |
| Diese Woche ist er bei uns auf Tour. Watch out! | |
| 18 Jun 2014 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Konzertbesprechung-Sleaford-Mods/!138821/ | |
| ## AUTOREN | |
| Doris Akrap | |
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