| # taz.de -- Neues Album von MGMT: Psychedelia als Methode | |
| > Eingängig und verschroben: Das dritte Album des US-Duos MGMT, schlicht | |
| > „Mgmt“ betitelt, führt ihre freigeistige Spielart von Psychedelic fort. | |
| Bild: Ben Goldwasser und Andrew VanWyngarden auf einem Trip in Kalifornien. | |
| Es ist undankbar, ein One-Hit-Wonder gewesen zu sein. Nicht nur, weil man | |
| dadurch für immer an seinem Hit gemessen wird. Sondern auch, weil dieser | |
| eine Hit für immer Erinnerungsspur ist: an das erste Semester, die Parties | |
| des einen Sommers. | |
| MGMT sind eines dieser One-Hit-Wonder. 2007 war ihr Debütalbum „Oracular | |
| Spectacular“ auf jedem iPod zu finden und die beiden Bandmitglieder Ben | |
| Goldwasser und Andrew VanWyngarden bildeten die Fleischwerdung des | |
| Zeitgeists. | |
| Der Tüftler mit Bart und Hornbrille, vernarrt in Plug-ins und Keyboard und | |
| der verwuschelte Dichter mit den weichen, jungenhaften Gesichtszügen. Eine | |
| Boyband für Collegestudenten: smart, gut aussehend und mit der perfekten | |
| Hookline – der süßlichen Keyboardmelodie von „Time to Pretend“. | |
| „Unsere Hits waren immer Zufallsprodukte“, erzählt Keyboarder Ben | |
| Goldwasser an einem schönen Sommertag in Paris. „Eigentlich hatten wir uns | |
| schon aufgelöst, als das Angebot für einen Plattenvertrag kam.“ Es gibt sie | |
| also noch, das One-Hit-Wonder MGMT. Obwohl viele ihr zweites Album | |
| „Congratulations“ als Enttäuschung verbuchten. Die Melodien fehlten, die | |
| psychedelische Farbenfreude war zurückhaltender Distinguiertheit gewichen. | |
| Und aus den beiden unbeschwerten Kunststudenten waren zwei Elder Statesmen | |
| des Gitarrenpop geworden. „Congratulations“ war ein umsichtig komponiertes | |
| Album, dessen kühle Eleganz an Jesus and Mary Chain und die Psychedelic | |
| Furs erinnerte. | |
| ## Arbeit am Gegenstück | |
| Am Freitag erscheint nun ihr drittes Album. „MGMT“ heißt es. Ein selbst | |
| betiteltes Album, dazu noch das dritte. In der ewigen | |
| Coming-of-Age-Geschichte von Rockmusik haben MGMT damit gleich zwei | |
| Initiationsriten erfolgreich hinter sich gebracht. Auch wenn sie das nicht | |
| interessiert. „Wir haben irgendwann beschlossen, dass MGMT eine Band ist, | |
| die mit jedem Album etwas anderes probiert“, erzählt Goldwasser. | |
| „Vielleicht machen wir demnächst mal ein 100-prozentiges Popalbum.“ Im | |
| Moment arbeiten sie jedoch noch am Gegenstück. | |
| Für „MGMT“ schloss sich die Band in ihrem Studio in Brooklyn ein, | |
| verkabelte Synthesizer und Sequenzer und nahm nicht enden wollende | |
| Improvisationen auf, aus denen sie später die Stücke destillierte. „Vieles | |
| war einfach nicht intendiert“, erinnert sich Ben Goldwasser. „Das Ergebnis | |
| war vollkommen offen.“ „MGMT“ ist ein Album, das sich nicht so recht | |
| entscheiden will – zwischen Lärm und Struktur, zwischen Wall-of-Sound und | |
| Melodie. Und das gerade wegen seiner Unbestimmtheit nachhallt. | |
| ## Synthese der Vorgängeralben | |
| Fast eine Synthese der beiden Vorgänger: MGMT musizieren mit der | |
| Unbekümmertheit ihres Debütalbums und leiten diese immer wieder in die | |
| Songformen von „Congratulations“. Nur um immer wieder in den Freakout | |
| auszubrechen, wenn sich Orgeln, Drums und Gitarren auftürmen. | |
| „’Psychedelisch’ beschreibt es ganz gut, aber ich wünschte mir, es gäbe | |
| mehr Begriffe, um dieses Gefühl herauszuarbeiten“, meint Ben Goldwasser ein | |
| wenig ratlos. „Psychedelic“ – das beschreibt ja nicht nur, wie man angene… | |
| geflasht neben sich steht, das Diesseits mit dem Jenseits verwechselt. | |
| Sondern auch eine wirklich fade Art, den fuzzigen Gitarrenrock der | |
| Sechzigerjahre wieder aufleben zu lassen. | |
| Bei „MGMT“ kommt beides zusammen. „Why do all the prophets lie?“ singt | |
| Andrew VanWyngarden auf „Introspection“, einer Coverversion der | |
| Sixties-Band Faine Jade. „Eigentlich bin ich von diesen Revivals genervt“, | |
| sagt Goldwasser. „Andererseits muss man den Hörern einen Anknüpfungspunkt | |
| bieten.“ | |
| Nach der Coverversion kippt „MGMT“. Feedbackschleifen übernehmen die | |
| Position des Dirigenten und hinter den Bergen aus Gitarrenlärm und | |
| schwerfälligen Drumloops bleibt nicht viel Song übrig. Immer wieder schälen | |
| sich aus den Soundschichten allmählich Melodien heraus, die man auf kein | |
| Grundgerüst zurückführen kann. „MGMT unplugged“ – nicht nur undenkbar, | |
| sondern auch unmöglich. | |
| ## | |
| ## Spontanes Bewusstwerden der eigenen Existenz | |
| „Your life is a lie“ singt Andrew VanWyngarden durch die Gitarrengewitter. | |
| Es wirkt wie eine Epiphanie, ein spontanes Bewusstwerden der Welt und der | |
| eigenen Situation darin. Fast wirkt es wie ein Anachronismus, gerade heute, | |
| wo man sich schon anstrengen muss, um einmal nicht über alles und sofort | |
| informiert zu sein. Meint er das am Ende einfach nur ironisch? „Nein. Meine | |
| Musik soll einen flüchtigen Blick auf die Wirklichkeit bieten, auf echte | |
| Gefühle und Wahrheiten, selbst wenn diese verkorkst und unheimlich sind.“ | |
| Oha. „Echte“ Gefühle? Sind MGMT am Ende doch ein Haufen verkappter | |
| Romantiker, der fest daran glaubt, dass Kunst ein spontanes | |
| Überwältigtwerden von Emotionen darstellen sollte? Man mag es sich kaum | |
| vorstellen – und muss es auch nicht. | |
| Denn hinter der vermeintlichen Unvermitteltheit steckt ein Vorrat an | |
| popkulturellem Wissen. VanWyngarden macht nicht viel Aufhebens um seine | |
| Vorliebe für Beatdichter wie Philip Lamantia, den er in einem Song zitiert. | |
| Auch MGMT sind eine dieser historisch überinformierten Bands, egal ob es | |
| dabei um experimentelle elektronische Musik aus Großbritannien geht oder | |
| die Gegenkultur der Sechziger. | |
| Letztes Jahr traten Goldwasser und VanWyngarden gemeinsam mit der Joshua | |
| Light Show auf, den Pionieren psychedelisch-analoger Konzert-Visuals, in | |
| New York. In ausufernden Improvisationen näherten sich Band und Lightshow | |
| an. „Das war der entscheidende Punkt, an dem wir wussten, wie unser | |
| nächstes Album aussehen würde“, beschreibt Keyboarder Ben Goldwasser den | |
| Auftritt im Rückblick – analoger Noise, aufgenommen im Bewusstsein, dass er | |
| als komprimiertes MP3 eh anders klingen wird. Anders, wohlgemerkt. Nicht | |
| schlechter. | |
| ## Gründe für Eskapismus | |
| Bei „MGMT“ mündet das Wissen um Popgeschichte nicht in einer | |
| Wiederaufführung der Vergangenheit, was ja letztlich doch nichts anderes | |
| als Eskapismus wäre. Auch wenn es für den gute Gründe gäbe. „Andrew und i… | |
| reden viel darüber, wie deprimierend unsere Zeit ist“, bekennt Goldwasser. | |
| „Man müsste den Leuten erst ihren Lebensstil wegnehmen, damit ihnen klar | |
| wird, dass sie sich stärker einbringen müssen.“ Im Winter 2011 wohnte | |
| Goldwasser ein paar Blocks vom Occupy-Camp entfernt und schaute regelmäßig | |
| bei den Versammlungen vorbei. | |
| Zugehörig fühlte er sich trotzdem nicht, die Sprache sei zu kompliziert | |
| gewesen: „Eine Bewegung sollte nicht nur zu Menschen mit | |
| Soziologie-Abschluss sprechen.“ Sicher, eine politische Band sind MGMT | |
| nicht – jedenfalls nicht politischer als man es von zwei Kunststudenten, | |
| die während der Bush-Jahre am College waren und als Erwachsene in der | |
| Wirtschaftskrise landen, erwarten würde. | |
| MGMT sind eine der wenigen US-Gitarrenbands, die den Anspruch, eine Musik | |
| der Gegenwart zu formulieren, nicht aufgegeben haben. Sie durchforsten die | |
| Archive nicht nach Blaupausen für ihren Sound, sondern nach Traditionen und | |
| Techniken, nach Momenten von Selbstverlust ohne Selbstvergessenheit. Nach | |
| Psychedelia eben – als Methode und als Zitatpop. | |
| 12 Sep 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Werthschulte | |
| ## TAGS | |
| Pop | |
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