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# taz.de -- MGMT-Album: Psychedelisches Picknick
> Gegen die Zeit, aber mit Stil: Die Band MGMT macht auf ihrem neuen Album
> "Congratulations" eine spektakuläre Kehrtwende zum Stilwillen der
> Sixties.
Bild: "Wir sind von der Drogenkultur in unserer Heimat abgestoßen", sagen MGMT…
BERLIN taz | "Nur weil wir Mainstream sind, übernehmen wir nicht
automatisch Mainstreamattitüden und hören Mainstream-Pop", sagt Ben
Goldwasser. Er sagt das sehr bestimmt. Zusammen mit Andrew VanWyngarden ist
Goldwasser Kern der Band MGMT. Es läuft gut für sie. So gut, dass sie
Angebote, mit Stadionrockern wie U 2 oder Coldplay auf Tour zu gehen,
kategorisch ablehnen. Alle warten gerade eh schon gespannt genug auf ihr
zweites Album "Congratulations"
Mit ihrem Debütalbum "Oracular Spectacular" trafen MGMT 2008 einen Nerv.
Die plakativen Synthiemelodien und Gesangsharmonien korrespondierten mit
den Neopren-Badehosen und nassen T-Shirts, mit denen MGMT und ihre Freunde
auf dem Cover an einem Strand abgebildet sind. Hier trugen gut aussehende
Twens ganz selbstverständlich Style zur Schau. So tribalistisch, so die
Jugend feiernd wie die MGMT-Hits "Kids" oder "Electric Feel" klang Pop in
den Nullerjahren selten. "Unser selbstgebasteltes Debütalbum war ja auch
als Satire auf Castingshows wie ,Popstars' gemeint", sagt Goldwasser.
Eingeschüchtert hat die Band ihr Erfolg keineswegs. "Congratulations",
Glückwunsch, der Titel des neuen Albums mutet nicht nur leicht sarkastisch
an, "es ist eine Reflexion dessen, wie absurd alles um uns herum seither
geworden ist", so Goldwasser. "Congratulations" ist die Fortführung dieser
Erfolgsgeschichte - und doch etwas völlig anderes. Im Sounddesign ist das
Album ausgeklügelter als das Debüt. Die neun Songs sind nuanciert,
introspektiv, eine klangliche Zeitreise in die Pop-DNA der Sechzigerjahre,
hin zu den frühen Pink Floyd oder den Zombies.
Für diese Punktlandung haben MGMT den Engländer Peter Kemper als
Produzenten engagiert. Man kennt ihn besser unter seinem Künstlernamen
Sonic Boom als Mitglied der Neo-Psychedelik-Band Spacemen 3. Zusammen
mietete man sich für mehrere Monate in einem Haus im kalifornischen Malibu
ein, hörte Musik, jammte, entwickelte dabei eigene Strategien. Es war ein
bisschen wie bei den Vorbereitungen zu den Dreharbeiten eines Spielfilms,
sagt der 26-jährige Goldwasser.
"Malibu ist ein unwirklicher Ort, das hat auf die Musik abgefärbt. Kemper
hat uns so produziert, wie unsere Lieblingsmusik, die wir zuhause unterm
Kopfhörer anhören", so Goldwasser. Statt der Synthesizer dominieren jetzt
Cembalos, flirrende Orgeln, Oboen, wachsweiche Drums, Gitarrenmelodien und
Chorgesänge mit viel Hall, die "Bababa" singen. Die Atmosphäre ist
angeturnt, modernistisch, man könnte sich die Band Fantasieuniformen
tragend bei einem psychedelischen Picknick vorstellen oder beim Besuch der
Flugzeugabteilung des Technikmuseums, wo sie neugierig und leicht verwirrt
vor den Schaukästen stehen. "Silver Jet Plane / Exciting the brain", singt
VanWyngarden in dem Song "Siberian Breaks". Ein Titel, der klingt wie ein
SciFi-Roman von Philip K. Dick.
An der Spitze der Charts
Ihre Strategie sei der umgekehrte Sell-out, erklärte VanWyngarden im
britischen Magazin Time Out. Erst seien sie an die Spitze der Charts
geklettert, jetzt werden sie ob ihres Erfolgs ein bisschen schrullig.
VanWyngarden und Goldwasser gründeten ihre Band noch zu Collegezeiten in
Connecticut. Beide besuchten dort die Kunsthochschule. "Wir waren von
kreativen Menschen umgeben, die so wie wir experimentierfreudig waren. Die
Schulzeit war gemeinschaftsbildend, ganz anders als in New York, wo in der
Popszene starker Konkurrenzdruck herrscht und die Leute in der Vereinzelung
ständig zum Multitasking gezwungen sind, was sie nicht gerade
aufgeschlossen macht. Mir kam die Kunsthochschule dagegen vor wie ein
Spaziergang", sagt Goldwasser. "Wir mussten nicht hauptsächlich jobben, wir
hatten Zeit, Musik auszuprobieren. Wir wuchsen auch an der Musik unserer
Freunde. Und gleichzeitig konnten wir die eigene Musik in aller Ruhe
entwickeln."
Den starken Einfluss von Kunsthochschulen auf die Popmusik kennt man eher
aus England. Dort haben Rockbohemiens und Popsituationisten wie John Lennon
oder Malcolm McLaren schon in den Sechzigern ihre Karrieren an der
Hochschule entwickelt und gelernt, wie man Avantgarde-Ideen als
massenkulturelle Ware verpackt. "Sie haben Stilbewusstsein, Imagepflege und
selbstbewusst-spielerische Haltungen in die Popmusik eingeführt", schreiben
die Soziologen Simon Frith und Howard Horne in ihrer Studie "Art into Pop".
Seit den Swingin' Sixties gibt es auch in den USA stets anglophile Musiker,
die jeweils auf die neuesten britischen Modewellen von Beat bis Gothic
Bezug nehmen. Aber so minutiös wie MGMT hat das noch niemand vor ihnen in
den USA gemacht. Wenn der bildende Künstler Peter Blake einst das Cover des
Beatles Magnus Opum "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" gestaltete, so
ist sein Äquivalent für "Congratulations" der kalifornische Künstler
Anthony Ausgang. Er hat MGMT eine Art Airbrush-Design-Motorhaube als
Coverillustration verpasst. Was sich außen wie ein Zitat aus Hot-Rod-Kultur
und Surfbegeisterung anfühlt, ist innen eine Monsterwelle britischer
Sixtiespop-Bezüge.
Die britische Popindustrie und ihre Musikmagazine sind zentral gesteuert.
In den USA funktioniert Pop jedoch nach anderen kommerziellen
Gesichtspunkten. Der US-Mainstream hat weniger Verknüpfungspunkte zum
Untergrund. Zwischen Stadt und Land herrschen gravierende Unterschiede. Das
hat wiederum auch mit der Geschichte der Segregation zu tun und mit einer
anders ausdifferenzierten Klassengesellschaft. MGMT sind schon qua Erfolg
aus ihren angestammten College-Proportionen herausgeschleudert worden.
Während sie zuhause noch als Newcomer von der Ostküste gelten, die in
Kalifornien aber noch kaum jemand kennt, haben sie in England dagegen
bereits Titelgeschichten eingeheimst. Ihr Auftritt im März in London war
national umjubeltes Tagesgespräch.
Collegerock oder Indierock galt in den USA lange als Musikgenre, das Bands
bezeichnete, die irgendwie näher am Kern der Rockmusik sein wollten, sich
mit ihren zerschlissenen Jeans authentisch gerierten. Der kommerzielle
Overkill war mit dem Aufstieg der Band Nirvana und dem Selbstmord des
Nirvana-Gitarristen Kurt Cobain erreicht. "Wir sind kein Bestandteil von
Indierock", erklärt Ben Goldwasser. "Dieser Drang zur Obskurität liegt uns
fern. Indierock ist längst zum Fake geworden."
Exzentrische Engländer
Mit "Song for Dan Treacy" und "Brian Eno" haben MGMT auf ihrem neuen Album
dagegen gleich in zwei Songs Reminiszenzen an englische Popstars eingebaut.
Während der androgyne Brian Eno als Mitglied von Roxy Music in den
Siebzigern britische Artschool-Traditionen modernisierte und das Revival
als Inszenierungsstrategie überhaupt salonfähig machte, ist Dan Treacy,
Bandleader der Frühachtziger-Modband TV Personalities, als Prototyp des
exzentrischen Engländers bekannt geworden. Jemand, der zu Punkzeiten an der
damals verbotenen Frucht des Sixtiespop naschte. Gegen die Zeit, aber mit
Stil. "Was uns so an der britischen Tradition gefällt, ist, dass Figuren
wie Dan Treacy immer ein Bewusstsein für Popmusik haben. Auch wenn sie
exzentrisch erscheinen, geht es ihnen doch um maximale Aufmerksamkeit, das
imponiert uns", sagt Ben Goldwasser.
MGMT ist die Abkürzung für Management: Der Popmanager ist als Figur
geheimnisumwittert, aber auch berüchtigt. Seine ökonomische Aufgabe macht
ihn zum Gegenspieler und Kontrolleur der ausführenden Künstler. "Unsere
Priorität ist das Musikmachen, aber wir sind stark an der geschäftlichen
Seite der Musik interessiert, und was diese aus uns macht. Andererseits
lassen wir uns vom Business eben nicht abschrecken. Die Leute verlangen
Hits, es wäre also ein Leichtes für uns gewesen, die Hooklines des
Debütalbums zu wiederholen. So funktionieren wir aber nicht, wir haben das
bewusst vermieden. Sixtiespop gilt doch als uncool."
Goldwasser versteht den Einfluss der Sixties auch als Kritik an einem
anderen Mainstream. "Wir sind von der Drogenkultur in unserer Heimat
abgestoßen. Die Leute sind nur am oberflächlichen Feiern interessiert,
nicht aber an Bewusstseinserweiterung. Wir finden Psychedelik
vielschichtiger. Unser neues Album verneigt sich klanglich auch deshalb vor
der Ära der psychedelischen Musik. Unsere Favoriten sind alle Meisterwerke
jener Zeit, die beim genauen Anhören verzaubern. Mit ,Congratulations'
wollen wir diese Hörerfahrungen weitergeben."
MGMT: "Congratulations" (Columbia/Sony, seit 9. April)
13 Apr 2010
## AUTOREN
Julian Weber
Julian Weber
## TAGS
Postpunk
Pop
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