# taz.de -- Neues Album von Sleaford Mods: Die besten Rezepte der Briten | |
> So macht Klassenkampf Spaß: Das Duo aus Nottingham entwickelt auf | |
> „English Tapas“ bei der Kritik an prekären Verhältnissen schwarzen Humo… | |
Bild: Vermutlich ist es genau diese Lakonie, die in der perfekt durchdesignten … | |
Es ist schon absurd: Die Gesellschaft ist so zersplittert wie lange nicht | |
mehr, aber in einem Punkt sind sich alle einig: dem Bedürfnis nach | |
Heilsversprechen. Während die europäische Rechte mit Höcke, Le Pen und | |
Wilders nach starken Führern giert, die ihre Nationalstaaten wieder great | |
again machen, hat die Linke zuletzt den französischen Autor Didier Eribon | |
zum Erlöser auserkoren. | |
In seinem Buch „Die Rückkehr nach Reims“, in dem es viel um seinen | |
Werdegang vom Arbeiterkind zum Soziologieprofessor geht, pocht er auf die | |
Bedeutung der Klasse, eine kulturelle wie soziale Kategorie, die von | |
sozialdemokratischen Wohlstandsbiografien lange verdrängt wurde. Die | |
Mehrheit der Arbeiterschaft wähle heute auch rechts, weil die Linke ein | |
Vakuum hinterlassen habe, argumentiert Eribon in „Rückkehr nach Reims“. | |
Während der Klassenstolz hierzulande momentan auf die Figur Martin Schulz | |
(den Würselener ohne Abitur) projiziert wird, stürzen sich die Medien schon | |
auf das nächste Versprechen. Das britische Duo Sleaford Mods, seit einigen | |
Jahren ein Geheimtipp und stets klassenbewusst, hat ein neues Album | |
veröffentlicht. | |
Dass „English Tapas“, so heißt ihr Werk, plötzlich in arrivierten | |
Feuilletons auftaucht, von der Zeit über Deutschlandradio bis Süddeutsche, | |
ist schon komisch – auch weil sich ihre scheinbar spontan und schnell | |
komponierte Musik seit der Bandgründung 2007 nicht ein Iota verändert hat. | |
Na gut, der plötzliche Ruhm von Eribon und den Sleaford Mods hat sicherlich | |
auch ökonomische Aspekte. Der Foucault-Biograf hat einen namhaften Verlag | |
im Rücken – und die Mods sind seit Kurzem bei Rough Trade unter Vertrag, | |
einem wesentlich finanzstärkeren Indie-Label als ihre alte Plattform | |
Harbinger Sound. | |
Doch es steckt mehr dahinter, wenn 2017 plötzlich zwei Antihelden im | |
Rampenlicht stehen, deren Gigs immer auch antimaterialistische wie | |
antiperformative Statements sind: Während Beatschmied Andrew Fearn mit | |
Händen in den Hosentaschen vor dem Laptop steht und lediglich mit seinem, | |
unter einer Basecap versteckten Kopf nickt, bellt Sänger Jason Williamson | |
seine Wuttexte ins Mikrofon. | |
## Austeritätspolitik, Machokultur, Rassismus, Brexit | |
Vermutlich ist es genau diese Lakonie, die in der perfekt durchdesignten | |
Welt so gut ankommt. Womöglich sind es auch die Songs selbst: Tiraden mit | |
scheppernden Beats zwischen Grime und Postpunk sowie gekeiftem | |
Sprechgesang, der all das anprangert, was britische Politik und | |
Gesellschaft in den letzten Jahren beschäftigt: Austeritätspolitik, | |
Machokultur, Rassismus, Brexit. | |
Im Gegensatz zu Eribon, dem die von deutschen Medien und Intellektuellen | |
auferlegte Rolle als Welterklärer überhaupt nicht gefiel, genießen die | |
beiden Briten den unerwarteten Erfolg. Auch wenn die Interviewtermine eher | |
einem Marathon gleichen als einem echtem Gespräch. | |
Williamson, der an einem frühen Abend auf dem Sofa eines Berliner | |
Hotelzimmers sitzt, wirkt tiefenentspannt. Für jemanden, der letztes Jahr | |
aus der Labour-Partei flog, weil er einen Abgeordneten auf Twitter als | |
„posing cunt“ titulierte, überaus höflich – und bestens aufgelegt. | |
Bei der Frage nach dem Albumtitel lächelt er subtil. „English Tapas“ sei | |
ein Gericht, das sein Duopartner Fearn auf einer Speisekarte in einem Pub | |
entdeckt hat. Es besteht aus sauren Gurken, Pommes und in Wurstbrät | |
frittierten hartgekochten Eiern im Teigmantel. „Wir haben uns totgelacht: | |
Für uns steht diese Zusammenstellung symbolisch für die englische | |
Tradition, aus tollen Ingredenzien Bockmist zu machen.“ | |
## Humor statt Verdruss | |
Die Sleaford Mods machen das Gegenteil. Wie Postpunks und Dubpoeten | |
verwandeln sie, ebenfalls in bester landestypischer Manier, all die soziale | |
Ungleichheit, den sozialen Verfall, aber auch die Tristesse des Alltags – | |
in Kunst. Dass Williamson als Stimme seiner Generation gehandelt wird, | |
scheint ihn nicht zu kümmern. Seine Texte waren immer schon politisch. „Als | |
Texter interessiert mich alles, was um mich herum passiert. Und in diesen | |
Tagen ist nun mal alles politisiert. Es steckt in unserem Verhalten und in | |
unseren Einstellungen.“ | |
Der kommende Brexit sei im Alltag bereits spürbar. Viele Menschen, die für | |
den Ausstieg aus der EU gestimmt haben, würden jetzt realisieren, dass sie | |
angelogen wurden. „Und die, die dafür waren und nicht denken, dass sie | |
angelogen wurden, haben rassistische Gründe. Sie glauben, mit dem Brexit | |
könnten sie endlich diejenigen loswerden, die ihnen die Arbeitsplätze | |
klauen.“ | |
Bei einer solchen Situation dränge es sich auf, darüber Texte zu schreiben. | |
„Weil es zum Verzweifeln ist, erschreckend und traurig zugleich, was | |
derzeit passiert.“ Statt Verdruss setzt er jedoch auf Humor – wieder eine | |
gute alte britische Tradition, wie der 46-Jährige zugibt: „Wenn du nicht | |
lachst, weinst du.“ Es gehe darum, das Geschehen in eine bizarre schwarze | |
Komödie zu verwandeln und dadurch schlechte Erlebnisse zu verarbeiten. | |
Doch könnte dieser Humor nicht auch ins Gegenteil führen, eine zynische | |
Affirmation des Bestehenden? „Unser Bewusstsein besteht ja nur noch aus | |
Zynismus. Wir können gar nicht mehr jenseits davon denken.“ Dabei hat das | |
neue Sleaford-Mods-Album im Gegensatz zu den Vorgängern, die durchgehend | |
aus Rants, also Schimpfkanonaden bestanden, auch positive Ansätze – und ist | |
viel persönlicher. Williamson, dessen Stirnrunzeln ein Dauerzustand ist, | |
versucht auf einigen Songs sogar zu singen – das durchaus mit Soul. | |
## Ursachen von Sucht | |
Erstmals berichtet er über Persönliches, besonders seine überwundene | |
Alkohol- und Drogensucht ist ihm Songtextzeilen wert. Wir leben in einer | |
Zeit, in der die Ursachen für Sucht und Depression nur noch in | |
persönlichen, nicht aber gesellschaftlichen Gründen gesucht werden: Auch | |
das Private ist darum wieder politisch. | |
Ähnlich war es in den Neunzigern beim Beginn der Ravekultur. Damals war | |
Hedonismus der unmittelbare kulturelle Reflex auf den sozialen Kahlschlag | |
der Thatcher-Ära, die Zukunft schien keine Bedrohung zu sein, sondern ein | |
Versprechen. Auch die Sleaford Mods sind von Rave beeinflusst, nicht nur | |
musikalisch. | |
Aber wie euphorisch war das wirklich? „In den Neunzigern herrschte eine | |
positive Grundstimmung. Alle waren überzeugt, dass eine großartige Zukunft | |
bevorsteht. Uns umgab eine Art höhere Intelligenz: Fremde haben sich umarmt | |
und miteinander getanzt. Aber es ist schwierig, nicht zynisch zu sein, weil | |
damals viele Drogen im Spiel waren.“ | |
Heute sei alles klinisch sauber und langweilig. „Menschen führen ein | |
einsames Roboterleben. Alles spielt sich nur noch zwischen dir und deinem | |
Bildschirm ab.“ Und was lässt sich dagegen musikalisch unternehmen? | |
Williamson antwortet schnell und bestimmt: „Etwas schaffen, das das Leben | |
bejaht. Das dich im positiven Sinne umhaut. Das dich an das Leben | |
erinnert.“ | |
Genau das macht die Sleaford Mods so beliebt. Sie verdrängen nicht, sondern | |
sind mittendrin in der Wirklichkeit – und zeigen ihr den Mittelfinger. | |
Damit können sie, wie auch Didier Eribon, die Welt nicht direkt | |
verbessern. Aber um sie zu verändern, muss sie erst mal richtig beschrieben | |
werden. | |
16 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Philipp Rhensius | |
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