| # taz.de -- Musik und Buch von Sleaford Mods: Wenn die Bäume bedrohlich flüst… | |
| > Die neue EP der Sleaford Mods ist voller Soul und galliger Wut. Sänger | |
| > Jason Williams veröffentlicht mit „Happy Days“ einen | |
| > Kurzgeschichten-Band. | |
| Bild: Zwischen Soulsamples- und Postpunk: Andrew Fearn und Jason Williamsons si… | |
| Das Rap-Game, in dem der gepflegte Kollegendiss zum guten Ton gehört mal | |
| außen vor, kann niemand auf eine so imposante Lästerkarriere zurückblicken | |
| wie der britische [1][Sänger Mark E. Smith.] Den legendären Stänkereien des | |
| einzigen ständigen Mitglieds der nordenglischen Postpunk-Band The Fall | |
| entkam niemand. Nicht mal durch und durch harmlose Mainstream-Bands wie | |
| Mumford and Sons blieben verschont: Als „zurückgebliebene | |
| Irish-Folk-Sänger“ mussten sich die „Sons of Mumford“ von Mark E. Smith | |
| verhöhnen lassen, bevor er im Januar 2018 starb. | |
| Zu den wenigen zeitgenössischen Bands, die Smith zu Lebzeiten aufrichtig | |
| schätzte, gehört das [2][Duo Sleaford Mods]. Und dies kommt kaum von | |
| ungefähr. Dass man im Sound der Band aus Nottingham Einflüsse des | |
| aggressiven Minimalismus von The Fall erkennt, geschenkt; die Tiraden des | |
| Sängers, oder vielmehr: des wild gewordenen Shouters Jason Williamson | |
| stehen Smith’ wütend-monotonen Rants in nichts nach. | |
| Anderthalb Jahre nach ihrem letzten Album, „English Tapas“, veröffentlichte | |
| das Duo aus Nottingham vor Kurzem eine neue EP. Außerdem steuerten sie | |
| Songs zum Soundtrack von Joe Martins Spielfilm „Us and Them“ bei, einer Art | |
| Rache-Thriller, in dem drei junge Briten Vergeltung an einer reichen | |
| Familie üben. Und nun bringt Williamson auch noch einen Band mit | |
| Kurzgeschichten heraus. | |
| Nach „Grammar Wanker“ (2015) und „Slabs from Paradise“ aus dem letzten … | |
| hat er mit „Happy Days“ jetzt nachgelegt. Kaum eine Band tourt, arbeitet | |
| und twittert derzeit so unermüdlich wie diese beiden wütenden, nicht mehr | |
| ganz so jungen Künstler. Bei Williamson und Produzent Andrew Fearn ist das | |
| Working-class-Bewusstsein mehr als nur ästhetisches Programm. | |
| ## Schuften in der Gefügelfabrik | |
| Auch das dürfte der Pubpoet Mark E. Smith an den Sleaford Mods so geschätzt | |
| haben: In Zeiten, in denen Feminismus und Blackness sogar im Mainstreampop | |
| verhandelt werden, das Thema Klasse hingegen irgendwie aus der Mode | |
| gekommen ist, sind die Sleaford Mods vorgeprescht auf den lange verwaisten | |
| Platz der Working-class-Repräsentanten. | |
| Mit seinem in Großbritannien weitherum verachteten Akzent der Midlands | |
| schimpft Williamson über alles, was die britische Gegenwart so unerträglich | |
| macht: Armut, [3][Brexit-Befürworter in der Politik] und jene, die deren | |
| Heilsversprechen auf den Leim gehen. Im Gegensatz zu vielen selbst | |
| erklärten Lads der Neunziger, die sich betont proletarisch gaben, das | |
| Gitarrenspiel aber am Konservatorium erlernt hatten, schuftete Williamson | |
| bis vor einigen Jahren noch in einer Geflügelfabrik. Seine Texte verfasste | |
| er erst nach Schichtende. | |
| Seit die Sleaford Mods 2014 ihren Durchbruch geschafft haben, hat sich die | |
| Arbeitsteilung des Duos nicht groß verändert: Während Andrew Fearn am | |
| Laptop stehend auslotet, wie man sich im Rahmen einer Bühnenperformance | |
| möglichst wenig anstrengt, bellt Williamson seinen Hochdruck-Sprechgesang | |
| über einen minimalistischen LoFi-Sound zwischen Soulsamples- und Postpunk, | |
| getrieben von stoischen Bassläufen und Drum-Machine-Bollern. | |
| ## Gift und Galle galore | |
| In den Songs der neuen Sleaford-Mods-EP wird dieses Prinzip verfeinert. Die | |
| Bassline der supercatchy Single „Stick in a Five and Go“ – einer | |
| Rachestory, die ihren Anfang auf Twitter nimmt – klingt wie ein knurrender | |
| Hund, der von der Kette gelassen wird. Ein pointierter Song, der | |
| exemplarisch für das steht, was diese Band trotz aller Härte so | |
| Rock-untypisch macht: Sleaford Mods verweigern einem die Klimax des großen | |
| Refrains und transportieren dennoch Gift und Galle galore. | |
| „Bang Someone Out“ klingt so avanciert, beinahe verspielt, wie kaum ein | |
| Stück der Band, in „Dregs“ wird ordentlich gebrüllt und gar gerülpst, und | |
| in „Joke Shop“ zeigt sich erneut, was schon „English Tapas“ nahelegte: | |
| nämlich, dass Williamson durchaus Talent zum Soul-Crooner hat, so wie einst | |
| sein Urahn Steve Marriott von den Small Faces. | |
| In Christine Franz’ 2017 erschienenem Dokumentarfilm „Bunch of Kunst“ | |
| erklärt Williamson recht bündig das Erfolgsgeheimnis der Sleaford Mods: | |
| Wenn jemand nach einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause kommt, wolle er | |
| eben nicht im Fernsehen sehen, wie irgendein Kerl mit Gitarre im Wald über | |
| Liebe singt. | |
| ## In allen Ekelfarben dieser Welt | |
| Es ist also folgerichtig, dass die Liebe in den 13 Kurzgeschichten in Jason | |
| Williamsons Band „Happy Days“ vornehmlich abwesend ist – und auch Wälder | |
| nicht als romantische Kulisse taugen: Durch die gespenstische Stille vor | |
| den Toren einer nicht näher benannten Stadt hört man bei Williamson die | |
| Bäume bedrohlich flüstern. | |
| Viele seiner knappen Storys beginnt er mit ausführlichen Landschafts- und | |
| Milieubeschreibungen. Er nimmt sich viel Zeit, um das Bild eines | |
| schauerlichen Landes in allen Ekelfarben dieser Welt – „excrement brown“ | |
| zum Beispiel – zu entwerfen. Türme glotzen einen aus bösen Augen an; | |
| heruntergekommene Friseurläden, Friedhöfe und grindige Garagen werden | |
| bevölkert von Trinkern, Herumtreibern und Teens mit faulenden Zähnen, denen | |
| so langweilig ist, dass sie sich zum Onanierwettbewerb treffen. Wer | |
| versagt, wird erniedrigt. | |
| Immer tiefer in die Scheiße, tiefer in den Abgrund führen diese 13 Storys | |
| nach ihren manchmal beinahe schaurig-poetischen Eröffnungssequenzen. Räudig | |
| wie hier muss Großbritannien zuletzt gerochen haben, als Ewan McGregor in | |
| „Trainspotting“ in die „worst toilet of Scotland“ tauchte. | |
| ## So richtig abgründig | |
| Bei Williamson tragen die Brutalos ihre Verzweiflung wie ein Model sein | |
| plüschiges Hündchen mit sich herum. Glück gehabt also: Man darf schon auch | |
| lachen, ebenso wie über die Songs der Sleaford Mods, wenn sie etwa kurze | |
| Ausflüge in die Bürgerlichkeit lapidar mit „I had an organic chicken it was | |
| shit“ („Ich hatte ein Bio-Hühnchen, schmeckte zum Kotzen“) kommentieren. | |
| So richtig abgründig wird es aber erst, wenn Williamson kurze Momente | |
| männlicher Verunsicherung einfängt. Wenn Jacub, genannt „The Dog“, sich im | |
| heimischen Drecksloch die Brust mit Speiseöl einreibt und verunsichert vor | |
| dem Spiegel posiert, kann man sich schwer vorstellen, dass derselbe Loser | |
| mit Hingabe Prostituierte demütigt – so grausam, dass selbst die Zuhälter | |
| ihn fürchten. Lincoln hingegen fühlt sich von den ihn umgebenden Bäumen | |
| geschützt und bestärkt, während er Sex mit einer Frau hat, die man „Iron | |
| Face“ nennt, seit ihr Ex ihr ein heißes Bügeleisen ins Gesicht gedrückt | |
| hat. | |
| Klar, dass all das weder einen Lehrauftrag noch die sprachlichen Regeln des | |
| respektvollen Miteinanders erfüllt; immerhin ist Williamson aus der | |
| Labour-Partei geflogen, nachdem er einen Abgeordneten als „prätentiöse | |
| Muschi“ bezeichnet hat. Statt als Working-class-Erklärer tritt er als | |
| Chronist auf. Wer etwa glaubt, Lincolns Unterhaltung mit einem Freund, der | |
| auf einem Foto den Hitlergruß zeigt, würde in eine lupenreine Erklärung für | |
| die Rechtsoffenheit der Arbeiterschaft münden, wird enttäuscht. | |
| ## Verklärt weder Lad-Gehabe noch prekäre Existenzen | |
| Mit seinem grimmigen Kitchen-Sink-Realismus geht Williamson natürlich das | |
| Risiko ein, sich zum Sozialporno-Zeremonienmeister für alle zu machen, die | |
| vorrangig der Voyeurismus an die hässlichen Orte Englands (und der | |
| Gesellschaft) treibt. Und tatsächlich scheint sich der Erzähler Williamson | |
| manchmal mächtig an seiner eigenen Direktheit zu berauschen; andererseits | |
| erlaubt er es uns nicht, auf seine randständigen Figuren so romantisch zu | |
| glotzen wie etwa auf Charles Bukowskis Alter Ego Henry Chinaski. | |
| Oder auf den Pogues-Sänger Shane MacGowan, der, mit dem man so schön am | |
| Kneipentresen versacken kann, wenn die Fiedeln wohlig lodern. Williamson | |
| verklärt weder Lad-Gehabe noch prekäre Existenzen. Und wenn er die virilen | |
| Machtdemonstrationen seiner Protagonisten so detailverliebt wie | |
| kaltschnäuzig beschreibt, fragt man sich manchmal, wie sympathisch ihm | |
| seine eigenen Figuren eigentlich sind. | |
| Es ist diese Ambivalenz, diese unerbittliche | |
| Keine-Liebe-für-niemand-Haltung, die Jason Williamson und Andrew Fearn vor | |
| Sozialromantik oder gar -kitsch bewahrt – und das sehr wahrscheinlich auch | |
| auf ihrem nächsten Album. Das soll schon im kommenden Frühjahr erscheinen. | |
| Genug Stoff für Tiraden liefert die britische, die europäische Gegenwart | |
| immerhin jeden Tag. Sogar ohne Kollegen-Disses. | |
| 26 Oct 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Julia Lorenz | |
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