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# taz.de -- Politisches Musikfestival in Graz: Risiko und Mut
> In Graz fand das 14. „Elevate“-Festival statt: gesellschaftspolitische
> Debatten und aufrüttelnde elektronische Musik.
Bild: Melancholie in der blauen Höhle: Caterina Babieri an ihrem antiken Synth…
Graz taz | Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe: Ján Kuciak, ein
slowakischer Investigativjournalist, und seine Freundin wurden vor über
einer Woche leblos in ihrer Wohnung aufgefunden. Der 27-Jährige
recherchierte Verbindungen zwischen slowakischen Politikern und Personen
des organisierten Verbrechens. Mit seiner Arbeit bewies er Mut, weil er
Leib und Leben riskierte. Sein Fall verleiht dem Motto „Risk/Courage“ des
diesjährigen „Elevate“-Festivals im österreichischen Graz – nur 300
Kilometer vom Tatort entfernt – eine drängende Aktualität.
Vor über zehn Jahren ging das Festival aus der fixen Idee eines Zirkels
junger DJs, Studenten und Aktivisten hervor. Seither findet es jährlich in
Graz statt, der zweitgrößten Stadt Österreichs. Als besonderes
Konferenzformat möchte es politischen Diskurs mit elektronischer und
avantgardistischer Popmusik vereinen. Ein Versuch, über politische und
ästhetische Befindlichkeiten der Zeit zu reflektieren.
Bei der 14. Ausgabe von „Elevate“ verhandelten über 50 Diskutanten Fragen
des aufklärerischen und transformativen Engagements. Risiko und Mut, zwei
Begriffe, welche die Arbeit von griechischen Aktivisten, die sich für
Geflüchtete einsetzen, genauso berühren wie diejenige von Feministinnen,
die zunehmend von rechts angegriffen werden. Bei der Veranstaltung
„Changing the Narrative“ erzählte Vasilis Tsartsanis, was es bedeutet,
weitgehend ohne Mittel humanitäre Hilfe für Geflüchtete in der Grenzstadt
Idomeni zu organisieren.
Janna Aljets, Klimaaktivistin bei „Ende Gelände“, diskutierte unter der
Überschrift „Feminism is for Everybody!“ über die parallele Entwicklung
eines zunehmenden Antifeminismus und einer potenziell unpolitischen
Popkulturalisierung des Feminismus.Beim Panel „From Pentagon to Paradise“
erzählten bekannte Whistleblower aus den USA vom Leben nach der Enthüllung:
Thomas Drake, der früher für die NSA arbeitete, veröffentlichte erst
interne Informationen aus einem Überwachungsprojekt, dann wurde er als
Spion angeklagt.
## Julian Assange grüßt per Video
Dass eines der bekanntesten Gesichter der Enthüllungsszene zu sehen sein
würde, war vorab kritisiert worden: Julian Assange eröffnete das Festival
mit einer bejubelten und per Video übertragenen Rede. Vorwürfe gegen ihn,
etwa im Zusammenhang mit einer mutmaßlichen Manipulation des US-Wahlkampfs,
kamen nicht zur Sprache. Als der Moderator den Australier darauf ansprach,
dass ihn manche antisemitischer Aussagen bezichtigen, antwortete er forsch:
„Das ist Nonsens.“
Über seinen Auftritt und die fehlende inhaltliche Tiefe mancher Debatte
trösteten das Musikprogramm und der Veranstaltungsort hinweg. Die meisten
Musiker spielten in Hohlräumen, die aus dem Felsen des Grazer Schlossbergs
am Rande der Altstadt geschlagen wurden. Das Höhlenflair sorgte für ein
besonderes akustisches und visuelles Potenzial.
Obwohl auch große Namen wie der Hamburger DJ Koze und der Frankfurter Roman
Flügel auftraten, begeisterten die Künstler der experimentellen Musik mehr.
Caterina Barbieri, eine Komponistin aus Bologna, ergriff ihre Zuhörer
durch die Melancholie ihrer Melodien, die noch verstärkt wurde durch
niedrige Temperaturen in der Höhle der Uhrturmkasematte. Barbieri
präsentierte Songs aus ihrem Solodebütalbum „Patterns of Consciousness“.
Darin komponiert sie mit alten und neuen Synthesizern und verschiedenen
Zupfinstrumenten auf eine Weise, dass Risiko und Mut auch bei ihr als
prägende Begriffe aufscheinen. Mit ihrer Musik erkundet sie das
janusköpfige Spannungsverhältnis zwischen Mensch und Maschine.
## Garagepunk mit Brauttuch am Schlagzeug
Ana Threat (bürgerlich Kristina Pia Hofer) rüttelte am Abschiedsabend mit
elektronischen Bässen, akustischen Drums und E-Gitarre auf. Hofer, die auch
als feministische Wissenschaftlerin und Medientheoretikerin tätig ist,
spielte mal ein aufmüpfiges Solo, dann wieder eine verliebte Ballade mit
verzerrter Stimme. Einst Frontfrau einer Anarcho-Punkband im
oberösterreichischen Linz, ist sie heute ein bekannter Name in der
österreichischen Garagepunkszene. Ihre Bühnenshow mit Tritten auf den
Boden, Brauttuch am Schlagzeug und Gitarrensoli auf Knien komplettierte
ihre musikalische Aversion gegen durchschnittlichen Pop.
Das gefühlte Finale bestritt Greg Fox – nachdem der US-Synthpop-Künstler
John Maus kurzfristig abgesagt hatte. Fox, der mit gewaltigen
Schlagzeugsoli ein- und ausstieg, berührte akustisch, physisch und visuell.
Der New Yorker, dessen Musik am ehesten unter Post-Free Jazz zu fassen ist,
malte mit seinen Trommelstöcken regelrecht Gemälde auf der Bühne. Seine
Stücke aus dem Album „The Gradual Progression“ manifestieren abgründige
Dialoge zwischen kraftvollen Drums, eingespielten Saxophon-, Piano- und
anderen elektronischen Tonerzeugnissen.
„Bei aller inhaltlichen und formalen Breite ist den Künstlern des Festivals
der bedingungslose Wille gemeinsam, sich abseits vom Mainstream auf die
Suche nach abenteuerlichen Ästhetiken zu begeben“, schreiben die
Veranstalter. Wenn „Trance auf Reflexion, Empathie auf Verstörung und
Rhythmus auf Emanzipation“ treffen, entstünden neue Räume des Denkens.
Gemessen an dem Anspruch überzeugte das Festival musikalisch. Auch
politisch-diskursiv zeigte es einen Instinkt für Aktuelles. Letztendlich
enttäuschte das Festival in einem entscheidenden Punkt: Die Diskussionen
uferten aus und ließen es an thematischer Schärfe vermissen. Auch manch
antiamerikanische Plattitüde blieb unkommentiert.
6 Mar 2018
## AUTOREN
Volkan Ağar
## TAGS
elektronische Musik
Musikfestival
Graz
Neues Album
Kanada
Julian Assange
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