# taz.de -- Neues Album des Kanadiers Rhye: Elektrisch geladene Vorstellungskra… | |
> Ganz sachte beim Experimentieren mit Stimme und Keyboards: Der Produzent | |
> Rhye kommt mit seinem neuen Album „Blood“ nach Deutschland. | |
Bild: Oh wie schön ist Kanada: Mike Milosh alias Rhye | |
„I’m going through some changes“, singt Mike Milosh, Kopf des | |
US-Softtronica-Projekts Rhye. Vor fünf Jahren tauchten Rhye, damals noch | |
als Duo, auf dem Pop-Radar auf und erinnerten nicht wenige an die britische | |
Soulsängerin Sade. Doch hier singt ein Mann. Mike Milosh ist ein Kanadier, | |
der sich zuvor als Produzent elektronischer Musik hervorgetan hatte und | |
mittlerweile in Los Angeles lebt. | |
Als Rhye die ersten Songs veröffentlichten, stand an Miloshs Seite noch der | |
dänische Produzent Robin Hannibal. Vor der Tour zum Debütalbum „Woman“ | |
stieg Hannibal aus, er komponiert ansonsten für Künstler wie Kendrick Lamar | |
und Calvin Harris. Mike Milosh hatte für Rhye einen Knebelvertrag | |
abgeschlossen, aus dem er sich die nächsten drei Jahre freispielte. Fast | |
500 Konzerte hat er dadurch absolvieren müssen. Währenddessen ist dennoch | |
die Musik für sein neues Album „Blood“ entstanden. | |
Im Bühnenkontext stehen bei Rhye Streicher, Percussion, Trompete und | |
verschiedene Vintage-Synthesizer. Mike Milosh selbst reichert die behutsam | |
aufgeschichteten Beats mit seiner Stimme an, die sich wohlig wie ein | |
Halsbonbon um die Rauheit der Klangwelt legt. Vorsichtig schiebt sich diese | |
Stimme zwischen die Akkorde, bildet im Arrangement zusammen mit den anderen | |
Klangelementen ein wunderbares Crescendo. | |
## Die Stimme braucht Luft | |
Der Kanadier baut seine Stücke ganz sachte auf, setzt seine Stimme | |
liebevoll wie ein Instrument ein. „Ich mag es nicht, wenn sich Musik so | |
anfühlt, als würde mich der Sänger anschreien. Das passiert, wenn der | |
Gesang versucht, sich auf die anderen Instrumente draufzusetzen“, erklärt | |
Milosh. „Man sollte die Luftigkeit der menschlichen Stimme umarmen. Ich | |
komme immer zum Cello zurück, um den perfekten Klang meines Gesangs zu | |
finden. Das Register des Cellos hat all das – es ist männlich und weiblich, | |
ebenso wie Stimmen dies sein können.“ | |
Mike Milosh hat schon seit seiner Kindheit einen hohen Östrogenspiegel, | |
sagt er im Gespräch mit der taz. Als Kind sang er die hohe Sopran-Stimme in | |
einem Chor, in dem außer ihm nur zwei andere Jungs waren, außerdem besuchte | |
er eine Tanzschule. Dass viele Menschen seine Stimme als die einer Frau | |
hören, amüsiert ihn: „Die Konzepte von archetypischer Männlichkeit und | |
Weiblichkeit sind für mich ein soziales Konstrukt, sie machen einfach | |
keinen Sinn. Ich glaube, Männer und Frauen sind sich näher, als die meisten | |
Menschen glauben.“ | |
Cello spielt Milosh, seit er drei Jahre alt ist. Danach lernte er | |
Schlagzeug, spielte als Teenager in einer Psychedelic-Band und schloss ein | |
Studium am Konservatorium an. Das Vorspiel für die Schlagzeug-Klasse habe | |
er nur aufgrund seines Gesangs bestanden, glaubt der 42-Jährige. Erst als | |
er während des Studiums anfing, Musik am Computer zu produzieren, entdeckte | |
er seine Stimme als Instrument. | |
## Schüchtern und leise | |
„Als ich mit den Experimenten angefangen habe, hatte ich immer das Gefühl, | |
etwas fehlt. Also habe ich zu meinen eigenen Produktionen gesungen. Am | |
Anfang war ich schüchtern und habe den Gesang leise gemischt. Heute | |
verstehe ich auch Singen als experimentell und improvisiere stundenlang | |
damit.“ | |
Für „Blood“ arbeitet Milosh mit verschiedenen Gastproduzenten zusammen. Um | |
die pastosen Beats und Percussion-Elemente fügen sich Klaviere, Orgeln, | |
Synths, Bässe, sogar Gitarren. Dabei hat er selbst jeden Ton live | |
eingespielt und verzichtet auf elektronische Hilfsmittel wie Loops. | |
Vintage-Synthesizer prägen den Sound seiner Musik: „Man muss diese alten | |
Instrumente in- und auswendig kennen, um sie zu beherrschen. Man spürt | |
förmlich die Elektrizität, die sie durchströmt, und schickt seine | |
Vorstellungskraft gleich hinterher. Trotzdem weiß man nie genau, woher der | |
Sound kommt.“ | |
Wenngleich Milosh die Trennung von Produzent Robin Hannibal durchaus als | |
maßgebliche Veränderung begreift, noch mehr hat sich sein Privatleben | |
verändert. Die Ehe mit der Schauspielerin Alexa Nikolas, für die er nach | |
Kalifornien gezogen war und deren Liebe er auf „Woman“ noch feierte, ging | |
in die Brüche. | |
Das ist etwas, das „Blood“ thematisiert, denn Milosh kann es sich nicht | |
vorstellen, Songs über etwas zu komponieren, was er nicht selbst erlebt | |
hat: „Jeder Song verkörpert einen bestimmten Moment in meinem Leben. Wenn | |
ich ein Album oder ein Artwork teile, möchte ich glaubwürdig sein, ich | |
finde, dass dies – gerade in unserer heutigen Zeit – die meiste Kraft hat.�… | |
Und so ziert nun ein selbst geschossener Akt seiner aktuellen Freundin das | |
Cover des neuen Rhye-Albums, das sich ästhetisch in die früheren | |
Veröffentlichungen des Produzenten einfügt: ein Körper, der fast | |
abschreckend nah wirkt. Ganz wie die Musik von Rhye. | |
17 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Diviam Hoffmann | |
## TAGS | |
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