| # taz.de -- US-Musikerin über Ausgrenzung: „Die Vorfahren tanzen unter Wasse… | |
| > „Schwarze Geschichte – meine Geschichte – habe ich nicht in der Schule | |
| > gelernt“: Jamila Woods über die Gewalt in Chicago und ihr Album „Heavn�… | |
| Bild: Jamila Woods unter einer Brücke des Eisenhower-Highways in Chicago | |
| taz: Jamila Woods, Sie kommen aus Chicago. 2016 wurden dort mehr als 700 | |
| Menschen erschossen. Wie erklären Sie sich die Gewalt? | |
| Jamila Woods: In den USA werden Schusswaffen glorifiziert. Das Recht, sich | |
| verteidigen zu können, ist tief in der Kultur verankert. In Chicago werden | |
| Minderheiten stark benachteiligt. Schwarze werden oft als bewaffnet und | |
| gefährlich eingeschätzt, auch wenn sie keine Waffe tragen. Wohlstand ist | |
| ungleich verteilt. In Vierteln, in denen Schwarze und Latinos leben, liegen | |
| die Schulen mit den schlechtesten Schülern. Dazu kommt, dass es dort | |
| weniger Geschäfte und schlechtere Jobs gibt. Viele Politiker wollen erhöhte | |
| Waffengewalt durch stärkere Polizeipräsenz lösen, so werden noch mehr | |
| Waffen in die Viertel geschwemmt. | |
| Sie sind in Chicago aufgewachsen. Wie haben Sie Ihre Kindheit erlebt? | |
| Ich bin in einem weißen Viertel aufgewachsen. Als ich klein war, waren wir | |
| eine der wenigen Schwarzen Familien. Ich ging mit vielen Weißen zur Schule. | |
| Wenn ich zu meiner wenige Blocks entfernt lebenden Oma gekommen bin, waren | |
| alle Schwarz. Ich habe diese Gegend als dreckiger empfunden. Erst später | |
| habe ich verstanden, dass das nicht zufällig so war. | |
| Heute arbeiten Sie mit benachteiligten Jugendlichen. Ist Kunst ein probates | |
| Mittel gegen Gewalt und Ausgrenzung? | |
| Ich habe als Kind von solchen Programmen profitiert und möchte, dass diese | |
| weiter stattfinden. Ich arbeite etwa für das Festival „Louder Than A Bomb“. | |
| Es ist als Antwort auf eine Stadtverordnung entstanden: In Chicago dürfen | |
| sich junge Leute nicht mehr in Gruppen von mehr als zwei Personen treffen. | |
| Das Ziel unseres Festivals ist, Jugendliche aus den Bezirken North, South | |
| und West Side von Chicago zusammenzubringen. Mittlerweile kommen auch Kids | |
| aus den Vororten und erzählen einander Geschichten. Viele haben Vorurteile | |
| über Menschen aus anderen Stadtteilen. Bei uns lesen sie sich gegenseitig | |
| Gedichte vor und lernen sich kennen. Freundschaften werden geschlossen. | |
| In Ihren Texten taucht etwa Rosa Parks auf. Wieso ist Ihnen wichtig, an | |
| berühmte Afroamerikannerinnen zu erinnern? | |
| Schwarze Geschichte – meine Geschichte – habe ich nicht in der Schule | |
| gelernt. Zumindest nicht bis zum College. Darum ist es mir wichtig, mich | |
| auf Personen der Geschichte zu beziehen. Kunst hat einen großen Einfluss | |
| darauf, wie Menschen eigenverantwortlich lernen. Junge Leute, die meine | |
| Musik hören, fragen sich: Rosa, wer ist das? Mich selbst haben Musik und | |
| Texte dazu angeregt, Geschichte zu recherchieren. Durch Referenzen im | |
| HipHop habe ich viel gelernt, was nicht in Büchern steht. | |
| In Ihrem Song „Stellar“ singen Sie: „I am an alien“. Was reizt Sie an | |
| Afrofuturismus, wie er auch von der Musik eines Sun Ra geprägt wurde? | |
| Afrofuturismus bedeutet, dass wir uns selbst in der Zukunft vorstellen. In | |
| Science-Fiction-Filmen, -Literatur und -Musik sind wir unterrepräsentiert. | |
| Die unausgesprochene Bedeutung davon ist, dass Schwarze nicht überleben | |
| werden. Im Afrofuturismus geht es um zukünftige Repräsentation, es wird | |
| aber auch eine alternative Fassung der Geschichte erzählt. Mich fasziniert | |
| die Vorstellung, dass während der Verschleppung der Sklaven über den | |
| Atlantischen Ozean einige von Bord gesprungen sind, weil sie lieber ihr | |
| eigenes Schicksal in die Hand nehmen wollten, anstatt in Gefangenschaft zu | |
| leben. Afrofuturistische Storys erzählen, dass sie unter Wasser | |
| weiterleben, es Gemeinschaften Schwarzer im Atlantik gibt. Davon ist mein | |
| Song „Heavn“ inspiriert: Unsere Vorfahren tanzen noch immer unter Wasser. | |
| Sie sprechen von einer Uminterpretation der Geschichte. Utopien drehen sich | |
| auch darum, Räume für Menschen in der Zukunft zu schaffen, oftmals im | |
| Weltraum, weil auf der Erde kein Platz für ein gerechtes Leben besteht. | |
| Genau darum geht es auch bei „Heavn“. Ich glaube an eine Schwarze Zukunft, | |
| aber ich möchte mir auch eine utopische Schwarze Gegenwart vorstellen. | |
| Wieso fehlen in Ihrer Schreibweise von „black“ Buchstaben? | |
| AutorInnen wie Sonia Sanchez, und Amiri Baraka schreiben genau wie ich BLK. | |
| Sie haben damit versucht, sich Schwarzsein ohne negative Konnotation | |
| zurückzuerobern. Ich glaube, „Schwarz“ war nicht immer ein Wort, mit dem | |
| Menschen bezeichnet werden wollten. | |
| Sie schreiben „heavn“ statt Heaven. Auf welchen Himmel beziehen Sie sich? | |
| Nicht auf das religiöse Verständnis des Himmels. Es geht vielmehr um die | |
| Vorstellung einer Utopie in meinem Alltag in Chicago. Wie können wir ein | |
| Gefühl des Himmels inmitten von Gewalt erzeugen? | |
| Haben sich die Lebensumstände für Schwarze seit Trumps Amtsantritt | |
| verschlechtert? | |
| Das Land ist gespalten. Viele Leute, vor allem weiße und privilegierte, | |
| bemerken gar nicht das Ausmaß von Rassismus, den es in den USA lange vor | |
| Trump gab. Seine Wahl und die rechtsradikale Demonstration in | |
| Charlottesville waren Beispiele, wie zügellos Rassismus ist. Menschen aus | |
| der unteren Mittelschicht sehen Trump als Verkörperung des American Dream: | |
| Du kannst etwas werden, selbst wenn du ein durchschnittlicher weißer Mann | |
| bist (lacht). Dass sich die Gesellschaft nun damit auseinandersetzen muss, | |
| ist ehrlich gesagt gut. | |
| Viele nutzen Trump als Legitimation, rassistische Vorstellungen noch | |
| deutlicher zu teilen. | |
| Trump hat sie dazu ermutigt. Rassistische Ansichten sind nicht neu, sie | |
| äußern sich nur viel unverhohlener. Ich hoffe aber, dass wir gerade deshalb | |
| Rassismus gezielter angehen können. | |
| 24 Oct 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Diviam Hoffmann | |
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