# taz.de -- Riot Grrrl Carrie Brownstein: „Feminismus wurde Teil des Pop“ | |
> Die US-Musikerin und Autorin Carrie Brownstein über Schreiben als roter | |
> Faden, Humor in Portland und die Wucht ihrer Band Sleater-Kinney. | |
Bild: Carrie Brownstein auf der Bühne mit ihrer Band Sleater-Kinney | |
taz.am wochenende: Carrie Brownstein, Sie sind Mitglied der stilbildenden | |
Riot-Grrrl-Band Sleater-Kinney, arbeiten als Koproduzentin der TV-Serie | |
„Portlandia“, in der Sie auch mitspielen, und veröffentlichen nun eine Art | |
Autobiografie. In welchem Feld steckt die größte künstlerische Freiheit? | |
Carrie Brownstein: Ich hatte Glück – alle Tätigkeiten erlauben mir, jeweils | |
andere Facetten meiner Persönlichkeit zu zeigen. Ihnen allen gemeinsam ist, | |
dass ich dadurch mit Menschen in Kontakt komme und etwas Glaubwürdiges | |
ausdrücken kann. Schreiben ist bei mir der rote Faden: Ich komponiere bei | |
Sleater-Kinney, ich schreibe am Drehbuch von „Portlandia“, und nun habe ich | |
auch mein Buch verfasst. Außerdem genieße ich es, live aufzutreten. Alles | |
ist gleich wichtig für mich, gerade auch in dieser Kombination. | |
Ihre Fernsehserie „Portlandia“ läuft bis jetzt noch nicht in Deutschland. | |
Können Sie sich eine deutsche Fassung vorstellen? | |
Ja und nein. „Portlandia“ wird in anderen Ländern synchronisiert | |
ausgestrahlt. Ich persönlich finde aber Originalfassungen mit Untertiteln | |
besser, wenn ich ausländische Filme schaue. | |
Würden Sie sagen, es gibt einen speziellen Humor in Portland? | |
Der Humor von „Portlandia“ ist zwar speziell, aber man versteht ihn auch | |
anderswo. „Portlandia“ arbeitet mit einem Verständnis von Themen, die im | |
Alltag entstehen. Wir verfremden sie und stellen sie durch eine absurde | |
Linse dar. So entstehen chaotische Momente und schräge Situationen. | |
„Modern Girl“ beginnt mit dem Wunsch, eine Tour mit Sleater-Kinney | |
abzubrechen und nach Hause zu dürfen. Es endet damit, dass Sie einen | |
fremden Ort „shelter“ („Heim“) nennen. Wirklich aufgehoben fühlen Sie … | |
aber erst, nachdem Sie wieder auf der Bühne stehen. Warum? | |
Wir haben als Band einfach einen Perspektivwechsel gebraucht, bevor wir | |
wieder an den Punkt zurückkehren konnten, an dem Musik der | |
Lebensmittelpunkt ist. So ein Leben, wie ich es führe, ist kompliziert, | |
weil es fragmentarisch ist, auf gewisse Weise auch widerspenstig. Für mich | |
war es keine ausgemachte Sache, dass ich am Touren Freude finden würde. Und | |
für die Band war es gesünder, für zehn Jahre in Trennung zu gehen und | |
danach mit neuer Dringlichkeit zurückzukommen. Wir brauchten das, um unsere | |
Musik wieder positiv aufzuladen. | |
Wo fühlen Sie sich am ehesten zu Hause? | |
Es geht im Buch oft darum, von einem Gefühl der Körperlosigkeit und | |
Marginalisierung zu einem Gefühl von Zugehörigkeit zu kommen – durch | |
Kreativität und Kollaboration. Wenn wir diese Stabilität herstellen, | |
vermittelt sich auch ein metaphorisches Zuhause. Musik erdet uns, und damit | |
gehören wir dazu. | |
Die Magersucht Ihrer Mutter überschattet Ihr Leben als junges Mädchen. Sie | |
wollten unbedingt gehört, gesehen, anerkannt werden. Hatte Ihr Wunsch, auf | |
der Bühne zu stehen, auch etwas mit der Krankheit zu tun? | |
Eher nicht. Als Kind habe ich mich zwar sehr theatralisch verhalten und | |
wollte auftreten, aber nicht als Kompensation, sondern als Form, mich | |
auszudrücken. Ich kann mich nicht komplett von dem Kontext, in dem ich | |
aufgewachsen bin, trennen, aber dieses Bedürfnis kommt einfach daher, wie | |
ich meine Umwelt wahrgenommen habe: durch Körperlichkeit und Spiel. Das ist | |
wahrscheinlich ein psychoanalytischer Ansatz, aber das war immer meine Art, | |
in der Welt eine Rolle zu spielen. | |
Sie schildern diese Erfahrungen sehr offen. Doch selbst wenn es um ernste | |
Themen geht, bewahren Sie stets Ihren Humor. | |
Schmerz und Humor, Trauer und Freunde sind zwei Seiten derselben Medaille. | |
Ironie ist für mich auch ein Mittel diese Momente zu sezieren. Ich kann | |
ihre Absurdität und ihre Schwere dadurch besser sehen. | |
Als Sie schildern, wie Sie von der Krankheit Ihrer Mutter erfahren haben, | |
heißt es: „Das Wort anorektisch kam mir vor wie ein Preis, den jemand | |
anders in einer Verlosung für mich gezogen hatte.“ Meinen Sie das ironisch? | |
An dieser Stelle geht es darum, wie ich gelernt habe, was das Wort | |
bedeutet. Es hat mir endlich eine Möglichkeit gegeben, das Konzept, die | |
Krankheit und die Familie, in der ich groß geworden bin, zu verstehen. Ich | |
glaube nicht, dass dies ironisch gemeint war. | |
Sie beschreiben ausführlich Ihre Teenager-Zeit, in der Ihre Suche nach | |
Körperbewusstsein und Zugehörigkeit beginnt. Eine Periode, die sich | |
gesellschaftlich immer mehr ausdehnt, eine nie endende Jugend. | |
Ja, es stimmt, heute gibt es eine verlängerte Adoleszenz. Aber es ist | |
schwer, das von der Suche nach ewiger Jugend und von dem Fakt zu trennen, | |
dass Jugend und Schönheit in unserer Gesellschaft eine Art Leitwährung | |
sind. Jugend ist eine gute Zeit für Rebellion, und es ist viel aufregender, | |
jung zu sein, als die Zeit, in der man altert. Wir haben so viel Angst vorm | |
Altern, dass wir die ganze Zeit über unsere Sterblichkeit nachdenken. Der | |
Versuch, sich Jugendlichkeit zu bewahren, ist auch eine Art, mit dieser | |
kollektiven Angst umzugehen. | |
Mit Anfang 20 waren Sie Teil der Riot-Grrrl-Bewegung. Ihre Band ist in | |
diesem Umfeld entstanden. In Ihrem Buch geht es aber eher darum, wie | |
unterschiedlich Frauen und Männer wahrgenommen werden. Gleichberechtigung | |
und Frauen in der Musikindustrie sind eher am Rande Thema. Was ist Ihrer | |
Meinung nach das Vermächtnis von Riot Grrrl? | |
Inzwischen erkenne ich vor allem den großen Einfluss, den diese Bewegung | |
hat. Klar, Riot Grrrl hatte seine Widersprüche und Probleme und war auf | |
seine Art auch ungeschickt, gerade wenn es um Intersektionalität ging. Aber | |
Riot Grrrl hat viel angeschoben, vor allem hinsichtlich der | |
Entmystifizierung von Feminismus. Wir haben ihn aus dem akademischen | |
Kontext befreit. Durch Riot Grrrl wurde er zu einem Teil von Popkultur. Was | |
die Wortwahl angeht, aber auch durch unsere Musik und Bilder, die viele | |
Menschen erreicht haben. Heute sehe ich überall ein Fortleben der Ideen von | |
Riot Grrrl. Es gibt einen Dialog im Mainstream über Feminismus. Er hat | |
seine Wurzeln in der Riot-Grrrl-Bewegung, auch das Hinterfragen von | |
Binarität ist dem zu verdanken. | |
Wie fühlt sich Feminismus für Sie aktuell an? | |
Am meisten ermutigt mich, dass das Infragestellen des patriarchalen Systems | |
Teil der Öffentlichkeit ist. Feminismus wird nun oft mitgedacht, wie eine | |
Linse, durch die Leute sich selbst und die Welt sehen. Feminismus ist | |
angekommen im Sinne davon, wo er im kulturellen Diskurs sitzt. | |
Wieso sind die feministischen Ziele von Riot Grrrl und die Bewegung selbst | |
so wenig prominent im Buch? | |
Es geht darin um den Weg in eine Community und darum, wie ich mich selbst | |
durch Kreativität, Zusammenarbeit und Musik gefunden habe. Riot Grrrl ist | |
nur ein Aspekt davon. | |
Mit ihren Social-Media-Kanälen rufen Sie aktiv zur Teilnahme an der US-Wahl | |
im November auf. Was halten Sie von den beiden Kandidaten? | |
Zuerst einmal würde ich sagen, dass es nur einen Kandidaten gibt, und das | |
ist eine Frau: Hillary Clinton. Je weniger wir über Donald Trump reden, | |
desto besser geht es uns als Nation. Das soll nicht ignorant klingen – ich | |
finde, dass es zu viel tendenziöse Berichterstattung gibt, in der er | |
unnötige Präsenz erfährt. | |
Warum ist es wichtig, dass Hillary Clinton Präsidentschaftskandidatin ist? | |
Es ist wichtig, dass Frauen in allen Bereichen der US-Gesellschaft | |
repräsentiert sind. Das liegt nicht allein an den Frauen. Wandel gelingt | |
erst, wenn alle Menschen auf allen Ebenen der Regierung und der Kultur | |
sichtbar gemacht werden. Die höchste Position des Landes sollte | |
idealerweise auch mal von einer Frau besetzt werden, andere Nationen sind | |
uns da bereits voraus. Ob Hillary Clinton allerdings die Richtige für den | |
Job ist, bleibt abzuwarten. | |
27 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Diviam Hoffmann | |
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