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# taz.de -- Popfeminismus und Pubertät: Der geilste Gedanke der Welt
> Sie lieben Beyoncé. Sie nerven ihre Eltern. Sie wollen ein besseres
> Leben. Wie drei Teenagerinnen den Feminismus für sich entdecken.
Bild: Vorbild: Die Sängerin Beyoncé, hier bei einem Auftritt für Hillary Cli…
Erwachsenen den Feminismus zu erklären ist eine ziemlich hoffnungslose
Sache, so viel steht schon einmal fest.
Noa: „Früher habe ich so gedacht: Es ist ja ganz logisch, es muss den
Leuten einleuchten. Diese Botschaft muss ich allen weitergeben!“
Henriette: „Aber es ist hoffnungslos manchmal, weil Leute es einfach nicht
verstehen wollen.“
Mira: „Weil sie alt sind. Na ja, eben älter als wir. Und deswegen einfach
nicht mehr so offen sind und komische Meinungen haben.“
Henriette: „Die haben schon so eine Einstellung: Ach egal, ich sterbe in
zehn, zwanzig, dreißig Jahren.“
Mira fängt an zu kichern und dann lachen alle und damit ist das Thema
Erwachsene vorerst erledigt. Henriette ist 13 Jahre alt, Noa ist gerade 14
geworden, Mira ist die Älteste, sie ist auch 14. Die drei gehen in dieselbe
Klasse an einer Schule im Südwesten Berlins. Dort sind sie die
Oberfeministinnen ihrer Stufe, sagen sie. Feminismus, das bedeutet für sie
die Gleichheit aller Geschlechter. So erklären sie es – im Klassenzimmer,
auf Instagram, beim Abendessen mit Verwandten.
Wenn sie von früher sprechen, von der Zeit, bevor sie Emanzipation als ihr
Ding entdeckten, dann liegt dieses Früher nur ein gutes Jahr zurück. Aber
wenn man 13 Jahre ist, ist es eben eine Ewigkeit her, dass man 12 war.
In diesem Jahr haben sie die coolsten Mädchen der Welt im Internet
kennengelernt. Eine Autorin, die auf Twitter 17.000 Follower hat, traf sich
mit ihnen, den Achtklässlerinnen, zu einem Gespräch unter Gleichgesinnten.
## Es begann mit Emma Watson
Aber es war auch das Jahr, in dem die Leute an der Schule begannen, mit den
Augen zu rollen. In dem eine Mitschülerin sagte: Dieser eine Junge, der
steht jetzt nicht mehr auf dich, weil du ihn mit deinem Feminismus nervst.
Die drei erlebten, wie glamourös Emanzipation heute sein kann. Und
erkannten: Das macht es nicht unbedingt einfacher, ein Mädchen zu sein.
Mira ist zufällig über den Feminismus gestolpert. Eine Schauspielerin, die
sie mag, Rowan Blanchard, ein Kinderstar aus einer Disney-Serie, sprach in
einem Interview hingerissen von Emma Watsons Rede vor den Vereinten
Nationen. Also suchte Mira diesen Clip bei YouTube.
Im Jahr 2014 machte die UN Emma Watson, die die kluge Hermine in den
Harry-Potter-Filmen spielte, zur UN-Sonderbotschafterin für Frauenrechte.
Für ihre erste große Rede stand sie vor einem Saal voller Delegierter,
neben ihr saß UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Emma Watson sprach ihren Text
mit der präzisen Betonung einer Schauspielerin. Sie erzählte, wie sie als
achtjähriges Mädchen herrisch genannt wurde, weil sie im Schultheater
unbedingt Regie führen wollte. Wie das Wort aber bei Jungen, die dasselbe
wollten, nie fiel. Sie forderte Männer auf, den Feminismus auch zu ihrer
Sache zu machen. „Sie denken vielleicht, wer ist dieses
Harry-Potter-Mädchen und was tut es hier bei den UN?“, fragte sie. „Alles,
was ich weiß, ist, dass mir diese Angelegenheit wichtig ist und dass ich
etwas verbessern will.“ Zwölf Minuten dauerte ihr Auftritt.
Mira: „Ich mir das angeschaut und dann war ich so: Oh mein Gott, ich liebe
sie! Ich hab sie schon davor geliebt wegen Harry Potter. Danach habe ich
mich immer mit dem Thema auseinandergesetzt und irgendwie wurde es mein
Ding.“
Es ist der vorletzte Tag vor den Sommerferien, nicht mehr der Rede wert,
was da in der Schule noch los ist. Noa, Mira und Henriette haben früh
Schluss und laufen die Straße hoch in den nächsten Park. Es ist keine Bank
frei, überall Mütter mit Kinderwägen, also setzen sich die Mädchen auf ihre
Jacken ins Gras. Mira reißt Halme aus und dreht sie zwischen den Fingern.
Auf ihrem Instagram-Account schreibt Mira über sich: „My life consists out
of books, music, feminism, Harry Potter, obviously Beyoncé and most
importantly food #blacklivesmatter“. Sie postet Schwarzweißfotos mit
Bildunterschriften wie „Une femme libre?“ und Plakate, auf denen
unterschiedliche Frauen – schwarz, weiß, mit Kopftuch – nebeneinander
stehen und ihren Bizeps zeigen. Darüber steht: „We all can do it!“
## So magisch wie ein Einhorn
Noa liked das alles und Mira liked dafür das Bild von Noas verunglücktem
Valentinskuchen mit rosa Zuckerguss und das, auf dem Noa ihre kleine
Schwester küsst. Und natürlich die Einhorn-Zeichnung, auf der steht:
„Feminists are as magical as unicorns.“
Noa hat letztes Jahr am Flughafen [1][das Buch der Netzfeministin Anne
Wizorek] gesehen: „Weil ein #Aufschrei nicht reicht. Für einen Feminismus
von heute“. Sie habe sich schon vorher für Gleichberechtigung interessiert,
sagt sie. Aber eigentlich nicht gewusst, wovon sie redet. Von Alice
Schwarzer hatte sie gehört, von einen jüngeren Feminismus nicht.
Noa las das Buch und klickte sich durch Internetseiten. Dort fand sie
Frauen wie [2][Petra Collins], Fotografin, Künstlerin, Model, 23 Jahre alt.
Sie fotografiert für die Vogue, läuft für Gucci – und stellt Schlüpfer mit
Menstruationsblut in einer Galerie aus. Instagram löschte vorübergehend
[3][ihren Account], wegen eines Fotos, auf dem Schamhaare aus ihrem Bikini
lugen. Ihr bekanntestes Bild ist ein T-Shirt-Motiv, gemalt mit der
Sanftheit eines Aquarells: eine behaarte Vulva, aus der Blut fließt; Finger
mit buntem Nagellack liegen auf der Klitoris. Menstruation plus Schamhaar
plus Selbstbefriedigung. Style-kompatibel.
## Mit 11 Modebloggerin, mit 15 feministische Autorin
Petra Collins’ Freundin [4][Tavi Gevinson], heute 20, startete mit 11
Jahren im Kinderzimmer ihren ersten Modeblog, der rasend schnell berühmt
wurde. Interviews, Fashion Weeks, Karl Lagerfeld und Lady Gaga feierten
sie. Mit 15 Jahren gründete sie [5][Rookie, ein Onlinemagazin,] das sich
damit beschäftigt, was es heißt, als Mädchen aufzuwachsen und dabei zu
versuchen, sich selbst zu mögen. „Ich bin Feministin, na klar“, sagt sie.
Petra Collins und Tavi Gevinson wurden zwei der wichtigsten Gesichter einer
neuen Feminismus-Welle. Sie sind It-Girls, die als Persönlichkeiten
auffallen, nicht als Botschafterinnen. Ihre Kritik an Alltagssexismus, an
Schönheitsidealen und Hasspostings läuft en passant mit, wie der Soundtrack
eines Filmclips. Er gefällt einem, weil das Video so gut ist. Und das Video
wird noch besser durch die Musik.
Seitdem Noa und Mira sich über Gleichberechtigung unterhalten, beschäftigt
sich auch Henriette damit und auch mit „Wie hast du das nochmal gesagt,
Mira? Poti…? Politici?“ „Political Correctness!“ „Genau!“ Henriette…
seit der Grundschule zu Beyoncé, jetzt weiß sie, dass ihre
Lieblingssängerin Feministin ist. Henriette spricht nicht so gut Englisch
wie Mira, die einen amerikanischen Vater hat, und Noa, deren Vater aus
Israel kommt und die mit ihren Verwandten dort manchmal Englisch spricht.
Henriette: „Ich dachte immer so, wenn ich richtig Feministin bin, dann muss
ich auch auf sozialen Netzwerken sein und so. Aber ich verstehe das halt
nicht, es ist doch blöd, wenn ich sage: Hey, einfach liken! Das bringt
nicht wirklich was für mich. Darum mach ich eher so Sachen im Alltag und
erkläre es Leuten.“
Noa: „Ich glaube, dieser ganze Feminismus geht irgendwie so weg vom
Politischen – weil vom Gesetz her ist das meiste ja schon verankert – zum
Gesellschaftlichen. Das ist fast schon so ein Lifestyle: die Klamotten, die
Musik. Aber jetzt nicht auf eine blöde Art. Sondern es ist ein Teil unserer
Identität.“
Um zu erklären, was daran ein Problem sein könnte, fängt man am besten mit
den T-Shirts an.
## Feminismus ist ein Label geworden
„Feminism: The radical notion that women are people“, steht auf einem
bauchfreien T-Shirt von H&M. Mira sah in der Schule ein Mädchen damit
herumlaufen und sprach sie darauf an. Das Mädchen wusste nicht, was auf
ihrem T-Shirt stand. „So traurig“, sagt Mira. Jemand, der unwissend einem
Feminismus-Spruch durch die Gegend trägt, lässt sich natürlich trotzdem
irgendwie als Fortschritt verbuchen.
Aber dass H&M dieses T-Shirt verkauft, ist auch ein Indiz dafür, dass
Feminismus eine Marke geworden ist, mit der man Geld verdienen kann. Der
Konzern hat gerade seine Herbstkampagne vorgestellt. Zum Lied „She’s a
Lady“ zeigt ein Videoclip Frauen, die Pommes auf dem Bett essen und ihre
Achselhaare zeigen, die in einem Konferenzraum voller Männer Akten auf den
Tisch knallen und vor dem Spiegel ihr Bauchfett zelebrieren. Ein lesbisches
Pärchen küsst im Pool.
Twitterer lobten die „erste wirklich feministische Klamottenwerbung“. Der
Clip definiere Schönheit neu.
Werbung, die sich an Frauen richtet, funktionierte lange so, dass sie auf
die Defizite aufmerksam machte, um dann ein Produkt vorzuschlagen, das
diese beheben könne. Oh nein: Pickel! Hier: Gesichtswasser.
Die Idee von Werbefilmen wie denen von H&M ist dagegen, dass sich Frauen
gut fühlen, nachdem sie den Clip geschaut haben, und sich etwas von dem
Gefühl auf das Produkt überträgt. Der Konzern eignet sich bequem Werte an,
ohne zum Beispiel über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei seinen
Näherinnen in Bangladesch sprechen zu müssen.
Dass Feminismus gerade cool wird, dass Beyoncé und Emma Watson
feministische Heldinnen wurden und Unternehmen versuchen für Produkte von
Duschgel bis Damenbinde etwas von diesem Glamour abzukommen, macht einigen
Sorgen. „Es gibt eine Form von Feminismus, die vom Mainstream, von Stars,
von Konsumenten geprägt wird und ihn als coole, spaßige, zugängliche
Identität hinstellt, die jeder für sich in Anspruch nehmen kann“, schreibt
die US-amerikanische Feministin Andi Zeisler.
Sie hat in diesem Sommer ein Buch herausgebracht, es heißt „We Were
Feminists Once: From Riot Grrrl to CoverGirl®, the Buying and Selling of a
Political Movement.“ [6][Zeisler findet harte Worte für das, was sie
Marktfeminismus nennt.] „Er ist dekontextualisiert. Er ist entpolitisiert.
Und er ist wahrscheinlich die beliebteste Ausprägung des Feminismus
jemals.“
## Das Kontroverse bleibt auf der Strecke
Ein Label, das schön glitzert, aber wenig bedeutet. Sowohl in der Werbung
als auch in den Starbotschaften gehe es fast immer um die weniger
kontroversen Aspekte der Emanzipation: dass Frauen sich in ihrem Körper
wohl fühlen sollen. Dass wir Mädchen ermutigen müssen.
Nach dieser Logik ließe sich jede Entscheidung als Akt der
Selbstermächtigung verkaufen, solange sie von den Frauen selbst getroffen
werde: „High Heels. Flache Schuhe. Schönheitsoperation. Falten. Kinder
bekommen. Keine Kinder bekommen. Natürliche Geburt. Kaiserschnitt. Dick
sein. Magersucht. Hausarbeit. Faul sein. Sich männlich geben. Sich weiblich
geben. Selbstverteidigung lernen. Trinken. Truck fahren.“
Andi Zeisler hat selbst lange daran gearbeitet, dass der Feminismus da
landet, wo er nun langsam ankommt: im Pop, im Mainstream. itte der
Neunziger gründete sie in San Francisco ein Magazin, ein von Freundinnen
zusammengetackertes Heft, [7][das Bitch Magazine.] Dort schrieben Frauen,
die sich für Feminismus interessierten, aber genauso für Populärkultur. Sie
analysierten Musikvideos, rezensierten Fernsehserien und hofften, erst
werde sich die Popkultur verändern und dann die Gesellschaft.
Heute schauen Millionen die Gefängnisserie „Orange Is the New Black“ – v…
Frauen geschrieben, fast nur weibliche ProtagonistInnen:
Afroamerikanerinnen, Latinos, Lesben mit und ohne Tattoos und eine
Trans*Frau. Beyoncé, die bestbezahlte Frau im Musikgeschäft, sang bei der
Verleihung der MTV Awards [8][vor riesigen Leuchtbuchstaben, die das Wort
„Feminist“ in den Raum strahlten]. Dazu hörte man die Schriftstellerin
Chimamanda Ngozi Adichie sagen: „Feminist: Die Person, die an die
politische, soziale und wirtschaftliche Gleichheit der Geschlechter
glaubt.“
Aber in diesem Prozess, den Zeisler einst herbeigewünscht hatte, hat der
Feminismus nun Schaden genommen, meint sie. Weil das politische Profil
verloren gegangen sei. Systemische Fragen und anstrengende Kämpfe um
sperrige, unattraktive Probleme gerieten in den Hintergrund.
## „Das Problem ist, dass Feminismus kein Spaß ist“
Es ist die Geschichte jeder Kommerzialisierung. Man möchte möglichst viel
Reichweite für die Wirkung einer Idee. Aber auf dem Weg in die Masse büßt
die Idee Tiefe ein.
„Das Problem ist – und das Problem war immer –, dass Feminismus kein Spaß
ist. Es soll auch kein Spaß sein. Es ist komplex und es ist hart und es
regt Leute auf“, schreibt Andi Zeisler. „It pisses people off“
Insofern ist es mit dem Feminismus wie mit dem Erwachsenwerden. Es ist
wichtig und kompliziert. Aber es soll immer wahnsinnig lässig aussehen.
Noa: „Ich hab das Gefühl, dass ich mich in letzter Zeit voll verbessert
habe! Ich raste gar nicht mehr aus, oder?“
Henriette: „Doch, ein bisschen.“
Mira: „Gelegentlich.“
Noa: „Also ich glaube, ich bin schon lockerer geworden. Diese Anfangsphase,
wo man anfängt alles zu sehen, und dann ist man so: Oh mein Gott, wie
konnte ich in dieser Welt leben, ohne es zu merken! Es regt mich einfach
auf, wenn Leute so bewusst doof sind.“
Wie heute, am vorletzten Schultag vor den Ferien, als der Lehrer die Klasse
nach Verbesserungsvorschlägen fragte. Nora sagte, sie hätte gern, dass mehr
über sexuelle Übergriffe geredet wird.
Henriette: „Die anderen waren so: …“
Noa: „Was redet die?“
Mira: „Ist doch auch egal!“
Henriette: „Also das sagen sie nicht genau so, aber das ist die Einstellung
dahinter.“
Noa: „Ich glaube, ich nerv sie am meisten. Vielleicht nervt es sie bei euch
nicht so richtig.“
Henriette: „Ich glaube, wenn sie an Feminismus denken, dann denken sie am
meisten an dich.“
Noa: „Ich glaube, es kommt drauf an, wie man es äußert. Wenn man so wütend
ist wie ich manchmal, dann kommt so als Reaktion: ‚Seufz. Ernsthaft?‘ Die
Leute mögen nicht, wenn man so Sachen so direkt anspricht.“
Mira hat ein Abendessen mit Verwandten ruiniert, als sie die Frage stellte
„Sagt mal, wer von euch hier ist eigentlich Feminist?“ Schweigen,
Themenwechsel, dann lange Diskussion. Am Ende hatte sie den Freund ihrer
Tante so weit, dass er sagte: Wenn das so ist, dann bin ich Feminist. „Man
muss ja auch nicht die ganze Zeit politically correct sein, hat meine Tante
gesagt. Und dann war ich so: Hä? Man kann’s aber doch versuchen.“
## „Ernsthaft?“
Letztens hat ein Mädchen im Unterricht etwas auf den Papierkorb geworfen.
Und nicht getroffen. „Mädchen können halt nicht werfen!“, sagte der Lehre…
Es war der gleiche, der sagte, Mädchen sollten nicht so kurze Shorts
tragen. Irgendwann schob er hinterher: „Nicht als euer Lehrer, sondern als
ich selbst sage ich euch: Wenn sie einen guten Arsch hat, dann ist es o.
k.“
Mittlerweile weiß jeder in der Klasse, dass solche Momente nicht mehr
vergehen, ohne dass Mira, Noa und Henriette etwas sagen. Oft rufen sie
einfach rein: „Ernsthaft?“
Mira sagt das ganz langsam, unterkühlt und lässig, sie zieht die Frage ein
Stückchen durch die Nase.
Als die drei sich im letzten Schuljahr ein Thema für eine Projektarbeit
aussuchen müssen entscheiden sie sich für Geschlechterstereotype in Filmen.
Mira postet auf dem Instagram-Profil der Autorin Anne Wizorek die Frage, ob
sie sie für das Schulprojekt interviewen können. Sie seien totale Fans.
„Super“, antwortet Wizorek. Sie bekommt öfter solche Anfragen und versucht,
diese Gespräche möglich zu machen. Ihr Buch richtet sich an feministische
Einsteigerinnen, was ihr in manchen Rezensionen den Vorwurf einbrachte,
unterkomplex zu sein.
Sie verabreden sich in einem Café im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg, Noa
und Henriette kommen zu spät, also reden Mira und Anne Wizorek über Beyoncé
und Tavi Gevinson. Die Fragen, die sie sich für ihr Schulprojekt
aufgeschrieben haben, arbeiten die Mädchen schnell ab. Aber eigentlich
wollten sie über schlechte Erfahrungen auf der Straße sprechen. Über
Männer, die in der U-Bahn starren, und dumme Sprüche in der Schule. Und
über ihre Idole. „Das war großartig, ich hatte in dem Alter längst nicht so
ein feministisches Bewusstsein wie die“, sagt Anne Wizorek heute.
## Das hier, das ist für uns
Sie hat selbst über US-amerikanische Blogs zum Thema gefunden. Natürlich
sei es wichtig genau hinschauen, was außer der Verkündung, eine Feministin
zu sein, von Popstars noch komme, sagt sie. Aber viel Kritik zum
Beyoncé-Feminismus ist aus Anne Wizorek sonst nicht herauszubekommen. Sie
war diesen Sommer beim Konzert in Stockholm, fast nur Frauen, viele Women
of Color, das Gefühl: Das hier, das ist für uns.
Und erst dieser Moment mit Beyoncé vor der Feminist-Leuchtschrift, Anne
Wizorek sagt, sie bekommt noch jetzt Gänsehaut, wenn sie an das Video
denkt. „Das war so fantastisch. Das Gefühl: Wow, wir leben in einer Zeit,
in der das tatsächlich passiert! Allein die Vorstellung, wie viele gerade
von ihren jungen Fans das sehen und sich dann vielleicht das erste Mal mit
Feminismus beschäftigen. Das stimmt mich total optimistisch.“
Noa: „Ich glaube, für junge Feministinnen verändert das schon was mit
Beyoncé und so. Wir fühlen uns nicht mehr so komisch.“
Hennriette: „Nicht so alleine.“
Mira: „Man ist nicht allein und Beyoncé ist da.“
Seit dem Mai gibt es also ein Foto von Mira, Noa, Henriette und Anne
Wizorek. Noa hat es auf Instagram gepostet. „Es war so cool die liebe
[9][@marthadear] zu treffen und über Feminismus und Popkultur zu reden. Ihr
wisst ja, dass dieses Treffen mein Traum war.“ Dahinter ein Smiley und ein
Herz-Emoticon.
## Wie kurz dürfen Shorts sein?
„Ich habe aufgehört mir die Beine zu rasieren, seid ihr stolz auf mich?“,
ruft Noa die Treppe herunter. Es ist der letzte Tag der Sommerferien, Mira
ist aus Frankreich zurück, Noa hat gerade ihre Schulhefter sortiert, das
heißt, sie hat sie in den Keller getragen. Henriette ist in den Ferien
einen Zentimeter gewachsen, jetzt ist sie größer als ihre Mutter. Die drei
haben sich bei Noa verabredet, in dem Haus ihrer Mutter in einer
Einfamilienhaussiedlung. Ein Tag, um die Tür zum Garten aufzureißen und die
Sommersonne nochmal hereinzulassen.
„Mann, ich hab meine Shorts zu kurz abgeschnitten“, sagt Henriette. Sie
läuft federnd von der Gartentür in Richtung Wohnzimmer. „Geht doch noch“,
sagt Noa. „Aber schau mal jetzt“, Henriette beugt sich etwas vor. „O. k.
Grenzwertig“, sagt Noa und lacht.
Was gibt es sonst Neues?
Mira hat im Urlaub den Kindern in ihrer Verwandtschaft erklärt, dass es
homophob ist, „schwul“ als Schimpfwort zu benutzen. Wenn ihnen etwas nicht
in den Kram passt, sagen sie jetzt: „Voll homophob, Mann.“
Henriette war vor ein paar Tagen am Badesee, als diese Jungs neben ihr
darüber redeten, wie viele Kinder sie mal wollen. Fünf, sagte der eine,
aber wenn es ein Mädchen wird, treibe ich ab. Ich will nur Mädchen, sagt
der andere, die können für mich putzen. Früher sagt Henriette, wäre ihr so
etwas gar nicht aufgefallen. Am See hätte sie fast etwas gesagt.
Eigentlich wollten die drei an einen Text über Rollenklischees in Filmen
schreiben. Anne Wizorek hat angeboten, ihn vielleicht auf ihrem Blog zu
veröffentlichen. Das wäre was zum Stolz-drauf-Sein. Für die Momente, in
denen Noa denkt, aus ihr wird nie was, weil niemand antwortet, wenn sie
Fotos, die sie gemacht hat, bei ihrem Lieblingsmagazin einschickt.
Noa hat ihren Laptop aufgeklappt.
„Wir werden täglich mit Stereotypen konfrontiert. Und uns ist aufgefallen,
dass Frauen sehr schlecht in ihnen repräsentiert werden.“
„Das ist furchtbar“, sagt Mira.
„Ja, total“, sagt Noa.
„Quatsch“, sagt Henriette.
„Ich bin überfordert“, sagt Mira.
Der Cursor blinkt.
Also schauen sie sich stattdessen Noas neuesten Fotos an – „Leute, ich habe
jetzt dieselbe Kamera wie Petra Collins“. Sie rennen in Noas Zimmer hoch
und schmeißen sich aufs Bett vor der roten Wand mit den Schmetterlingen
darauf.
Noa packt alte Schwarzweißbilder aus von ihren Großeltern, von ihrer
Mutter. Auf der weißen Bettdecke liegen Bilder junger Frauen mit ähnlichen
runden Gesichtszügen, ähnlichem vollen Haar wie Noa. Mit ähnlichem Blick.
## Die Großmutter machte eine Tischlerlehre
Noa, Mira und Henriette sind nicht die erste Generationen junger Mädchen,
die mit dem Gefühl aufwachsen, dass ihnen die Welt gehört und dass diese
Welt eine bessere werden wird, wenn sie nur erst erwachsen sind. Noas
Großmutter war die erste Frau im Dorf, die eine Tischlerlehre machte;
nachdem sie schwanger wurde, arbeitete sie nie wieder.
„Es ging mir wie Noa, dass ich so in dem Alter eine gesunde Wut hatte“,
sagt Noas Mutter unten am Küchentisch in ihrem Haus. Sie heißt Susanne, ist
45 Jahre alt und will hier nur einen Vornamen haben, weil sie gerade das
Referendariat zu Ende macht, das sie damals abbrach, als sie mit Noa
schwanger wurde. Sie hat Angst, einem der Prüfer könnte nicht gefallen, was
sie in der Zeitung sagt.
Das mit der Wut, das habe bei ihr damals auch so mit 14 angefangen. Sie
fand Alice Schwarzer toll, allein schon weil alle Männer gegen sie waren,
ihren Vater natürlich eingeschlossen. Dass Alice Schwarzer nie Angst hatte
vor Konfrontation, hat sie beeindruckt. „Ich dachte schon als Mädchen: Da
muss jemand sein, der noch weiter vorprescht als ich, sonst bewegt sich ja
nichts.“
Sie wuchs in Sindelfingen bei Stuttgart auf, der Vater war Kinderarzt, die
Mutter Hausfrau. Morgens goss die Mutter dem Vater den Tee ein. „Mich hat
total gestört, dass zu Hause in meiner Welt die Frauen immer so zufrieden
mit dieser traditionellen Rolle waren“, sagt sie. Sie machte ihrer Mutter
Vorwürfe deswegen. In der Schule, im Studium war immer klar, sie war eine
emanzipierte Frau. Aber dann verliebte sie sich, wurde schwanger. Die
Kinder waren ihr Ding, sie nahm das hin, forderte wenig von ihrem Mann ein.
Erst mit 43 setzte sie ihre Ausbildung fort.
## Noas Mutter ist stolz auf sie. Aber sie streiten viel
Natürlich hofft sie, dass das bei ihrer Tochter alles anders läuft. Aber so
ganz sicher ist sie nicht. Noa ist in der Zwischenzeit in die Küche
gekommen, erst hat sie für ihre Schwester auf der Arbeitsplatte ein
Pflaumenmusbrot geschmiert, dann setzt sie sich an den Tisch, schmiert noch
eins und hört zu.
Susanne ist stolz auf Noa. Aber die beiden streiten viel. Über Kopftuch-
und Burkaverbote, die Noa dumm findet. Ihre Mutter ist da bei Alice
Schwarzer, die das befürwortet.
Oder über zu knappe Kleidung. Es geht immer los, wenn sie oder ihre
Schwester zu kurze Shorts anhaben, sagt Noa. Und als sie das sagt, da geht
es auch schon los.
Susanne: „Es passiert einem als Frau oder Mädchen einfach viel Scheiße,
dass man fast vergewaltigt wird oder sich ein Typ im Zug vor einem einen
runterholt. Ich bin durch dieses Tal der Tränen und habe gelernt, meine
Reize nicht so zu präsentieren. Da handelt man sich nur Ärger ein. Du musst
vor den Männern Angst haben.“
Noa: „Natürlich habe ich auch Angst. Aber es geht darum, dass ich es erst
mal blöd finde, wenn man den Töchtern beibringt, aufzupassen. Ich glaub
nicht, dass das bei Söhnen so ist.“
Susanne: „Aber den Söhnen passiert doch nichts.“
Noa: „Aber dass sie die Grenzen kennen, ist doch wichtig!“
Susanne: „Trotzdem kannst du dem Arschloch begegnen, dem es halt keiner
gesagt hat.“
Noa: „Erst mal finde ich es blöd, dass hier wieder die ganze Verantwortung
auf die Mädchen abgeladen wird. Außerdem: Nicht Outfits oder so werden
vergewaltigt, sondern Personen. Die kann auch hässlich angezogen sein. Ich
finde es blöd, dass man meinen Körper sexualisiert, also wenn ich meine
Hotpants anhabe, bin ich gleich auf Sex aus.“
Susanne: „Aber die Männer sind nun mal so!“
Noa: „Ich denke, dass die Gesellschaft so ist.“
Susanne: „Das denkst du so lange, bis es zu spät ist.“
Noa: „Man kann sich davor doch nicht schützen!“
Susanne: „Ein bisschen schon. Man kann sich nicht blöd stellen.“
Susanne lehnt sich auf der Küchenbank zurück, Noa zieht ihre Beine auf den
Stuhl hoch. Zwei Frauen, die ein Tisch trennt, 30 Jahre Leben und
vielleicht die Frage, ob die Welt sich ändern kann. Noa spricht vom Morgen,
davon, dass „Nein heißt Nein“ endlich in der Schule besprochen werden
müsse, in Sexualkunde. Susanne spricht von früher, von den Erlebnissen, die
sie vorsichtig gemacht haben.
Susanne: „Ich habe damals schon meiner Schwester gesagt, dass sie in der
U-Bahn keinem in die Augen gucken darf. Schon ein Blick reicht und man hat
die an der Backe.“
Noa: „Ist das nicht witzig? Das spricht nämlich gegen deine eigene Logik.
Du bist ja für das Burkaverbot. Aber damit geht auch einher, dass Frauen
Männern nicht in die Augen schauen dürfen, weil das sexuelle Bereitschaft
signalisiert.“
Susanne: „Ich weiß schon, dass das blöd ist. Aber du bist mein Kind und ich
möchte nicht, dass du vergewaltigt wirst!“
Noa: „Aber wie soll es sich den ändern? Ich bin an nichts schuld, auch wenn
ich nackt auf die Straße gehe!“
Susanne: „Natürlich bist du nicht schuld! Hier geht es nicht um Schuld. Ich
möchte nicht, dass dir diese Art von Verletzung widerfährt. Das ist
dasselbe, wie wenn ich sage: Bitte zieh einen Fahrradhelm auf. Du findest
es doof, fühlst dich aber schlussendlich doch auch wohler.“
Noa: „Ja, aber du machst uns ein schlechtes Gewissen. Es geht einfach
darum, dass mich Leute nicht respektieren, weil ich zwei Zentimeter mehr
zeige. Als wäre es eine Überraschung, dass ich einen Arsch habe.“
Am letzten Ferientag, oben auf dem Bett in Noas Zimmer, macht Henriette
Selfies. „Teenager sein ist sehr dramatisch und ich liebe es“, sagt Mira.
Sie blättert in einem Jahrbuch des Rookie-Magazins, das Noa so mag.
## Herauszufinden, wer sie sind. Das ist ihre Aufgabe
Sie erzählt davon, wie sie ihrer Mutter vor kurzem gesagt hat, dass sie
sich eher schwarz als weiß fühlt und wie sie beide heulten.
Noa redet von den Plänen für ihre verspätete Bat-Mizwa. Dass ihr Vater
jüdisch ist, hat lange keine große Rolle für sie gespielt, aber sie will
mehr darüber wissen.
Sie sind Teenager und ihre Aufgabe ist es, herauszubekommen, wer sie sind.
Jüdisch. Schwarz. Feministin. Und der Welt davon zu erzählen.
Henriettes größter Erfolg ist ihre kleine Schwester, die ist 11. Henriette
hat ihr alles erklärt und seitdem ist sie Feministin. Sie hat sich die
deutsche Übersetzung der Rede von Emma Watson raussuchen lassen, sie will
ihr Abschlussprojekt der Grundschulzeit über Feminismus machen. Henriettes
hatte damals über Vulkane geschrieben. Letztens hat ihre Schwester den
Jungs in der Klasse erklärt, was Sexismus ist. „Ich glaube, sie ist krasser
als ich“, sagt Henriette.
Bei Kindern, sagt Mira, bei Kindern hat sie noch Hoffnung.
16 Nov 2016
## LINKS
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[8] https://vimeo.com/127017886
[9] https://twitter.com/marthadear
## AUTOREN
Luise Strothmann
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