| # taz.de -- Frauenrechte vs. Rechtspopulismus: Was Feminismus bedeutet | |
| > 2016 war geprägt von einem kulturell-gesellschaftlichen Rückschlag. Der | |
| > neue Faschismus verlangt einen schärferen feministischen Widerstand. | |
| Bild: Sich heute Feministin zu nennen ist radikaler und gefährlicher als 2015 | |
| Etwas hat sich verändert in diesem Jahr. Die Spielregeln haben sich | |
| geändert. Es ist nicht mehr zu übersehen, dass da ein Krieg läuft, ein | |
| heftiger und brutaler Kulturkrieg, dessen größte Schlachten erst noch | |
| kommen. Viele glauben irrigerweise, dieser Krieg würde zwischen dem Islam | |
| und dem Westen gekämpft oder zwischen mehrheitlich weißen Nationen und dem | |
| Mittleren Osten. Sie liegen falsch. | |
| Der Krieg tobt zwischen jenen, die Fortschritt, Toleranz und Menschenrechte | |
| für unabdingbar halten, und den anderen. Zwischen jenen, die an eine | |
| lebenswerte Zukunft glauben, und jenen, die sich in eine mystifizierte | |
| Vergangenheit zurücksehnen. Der Krieg wird innerhalb von Nationen gekämpft, | |
| innerhalb von Gemeinden, von Familien, ja manchmal sogar innerhalb eines | |
| einzelnen Menschen. Und wenn wir diesen Krieg nicht gewinnen, verlieren | |
| alle – sogar die auf der „anderen“ Seite. | |
| Vor fast genau einem Jahr wurden in Köln Dutzende Frauen sexuell belästigt, | |
| offensichtlich von muslimischen eingewanderten Männern. Seit diesen | |
| Angriffen habe ich zu hören bekommen, der „westliche“ Feminismus sei | |
| gescheitert, die wahren Beschützer von Frauen wie mir seien die weißen | |
| Nationalisten. Es hieß auch, der Feminismus trage eine Schuld am Aufstieg | |
| des Rechtspopulismus überall auf der Welt: dass wir mit unserem Gejammer | |
| über solche belanglosen Themen wie Geschlechter- und Identitätsfragen die | |
| Linke gespalten hätten, dass wir nur endlich unsere Mäuler und unsere | |
| Schenkel geschlossen halten und uns auf die Klassenfrage konzentrieren | |
| sollten, dann könne der Faschismus auch geschlagen werden. Das ist Unsinn. | |
| Feminismus ist keine irgendwie alberne Flause im Kampf gegen den | |
| Faschismus. Er ist für diesen Kampf essentiell. Eines der vielen Dinge, die | |
| die neuen Autoritären verbindet – unabhängig von ihrem Glauben oder ihrer | |
| Herkunft – ist ihre Verachtung der weiblichen Befreiung. Schau dir die | |
| politischen Ideen der amerikanischen Neonationalisten oder der deutschen | |
| AfD an und du findest die gleichen Ansichten über die angemessene Rolle von | |
| Frauen und Mädchen: Wir sollen ruhig und gehorsam sein, dekorativ und | |
| gottesfürchtig, Hausfrauen und Mütter. Wir verdienen weder Selbstbestimmung | |
| über unseren Körper noch Schutz vor Gewalt oder das Recht auf | |
| Gesundheitsversorgung. | |
| ## Es geht um männliche Vorherrschaft | |
| Neofaschismus ist im Kern ein Männlichkeitskult: Männliche Stärke im | |
| Allgemeinen wird verehrt, und gewalttätige starke Männer im Besonderen. Man | |
| vergisst das gern mal, weil die neofaschistische Rhetorik sich so sehr auf | |
| Rasse und Nation konzentriert und die ersten Opfer Migranten, People of | |
| Colour und Angehörige religiöser Minderheiten sind. Aber beim Neofaschismus | |
| geht es mindestens ebenso sehr um männliche wie um weiße Vorherrschaft. | |
| So viel sie auch jeden Tag davon reden, wie sehr doch westliche – sie | |
| meinen weiße – Frauen durch die ethnisch und religiös andersartigen | |
| Einwanderer bedroht seien, so sehr geht es ihnen doch gleichzeitig darum, | |
| diese Frauen ihrer sexuellen und reproduktiven Selbstbestimmung zu | |
| berauben. Muslimen und Einwanderern muss es verwehrt bleiben, westliche | |
| Frauen zu missbrauchen, aber die Kehrseite davon ist, dass westliche Männer | |
| das straffrei tun dürfen: Es ist ein Wettstreit verschiedener Stile | |
| patriarchaler Gewalt. | |
| Sie fordern den Respekt gegenüber Frauen ein, aber Migrantinnen und Frauen | |
| of Colour sind die häufigsten Opfer jener, die Gewalt auf der Straße als | |
| legitimen Ausdruck politischer Meinungen ansehen. Übergreifender Feminismus | |
| ist ein Rahmen für den Widerstand gegen dieses neue und furchterregende | |
| Narrativ. Fortschrittlicher, kompromissloser, antirassistischer Feminismus | |
| wird in dieser kommenden Auseinandersetzung von zentraler Bedeutung sein. | |
| ## Online erprobte Bedrohungs-Techniken | |
| Die neue Rechte ist schon immer bei Genderthemen völlig durchgedreht. Viele | |
| der Techniken von Bedrohung und Herumtrollen, die jetzt benutzt wurden, um | |
| extremistische Führer an die Macht zu bringen, wurden in den letzten fünf | |
| Jahren online erprobt, als sich Gruppen von Männern und Jungs | |
| zusammenschlossen, um „Feminazis“ mundtot zu machen und Frauen aus dem | |
| Internet zu drängen. Einige von uns haben schon vor Jahren deswegen Alarm | |
| geschlagen und darauf hingewiesen, dass auch junge weiße Männer sich | |
| radikalisieren und in gewalttätige rassistische und frauenfeindliche | |
| Fantasien abrutschen, und dass das ernstgenommen werden sollte. Es macht | |
| mich nicht glücklich, recht gehabt zu haben. | |
| Es wird in den kommenden Jahren viele neue Versuche geben, frauenpolitische | |
| Ansätze kaputtzumachen und Frauen entlang Fragen der Ethnizität, der Klasse | |
| und der Identität zu spalten. Es wird einen Wettstreit unterschiedlicher | |
| autoritärer Anschauungen darüber geben, wie gut eine Frau sein sollte, wie | |
| sie aussehen sollte, wie sie arbeiten sollte, wann sie sprechen sollte, wen | |
| und wie oft und mit wessen Erlaubnis sie vögeln sollte. Es geht jetzt | |
| wirklich darum, was Feminismus bedeutet und warum er wichtig ist. | |
| Ein Gutes an Hillary Clintons Niederlage ist, dass wir vielleicht endlich | |
| die Vorstellung vergessen können, dass ein vertrockneter, liberaler | |
| Feminismus, der sich auf die Sorgen wohlhabender weißer Frauen im Westen | |
| konzentriert, jemals ausreichen könnte. Es ist vielleicht zu viel gehofft, | |
| auch die endlosen Diskussionen in der Presse darüber loszuwerden, welche | |
| Berühmtheiten Feministinnen sind oder nicht, ob es feministisch ist, sich | |
| die Beine zu rasieren oder ob sich Lippenstift und Frauenbefreiung | |
| vertragen, als ob Feminismus auch nur eine weitere Kategorie zur | |
| Beurteilung von Frauen und ihrer Mängel wäre. Das Private ist natürlich | |
| immer noch politisch, und intime Dinge sind immer noch wichtig – aber | |
| vielleicht können wir es jetzt mal vermeiden, das Politische ausschließlich | |
| ins Private zu ziehen. | |
| Schönheitskultur, Aussehen und Beziehungsfragen sind alles feministische | |
| Themen – sogar mehr noch angesichts der Wiederkehr einer konservativen | |
| Kultur, die von Frauen homogene, gehorsame Weiblichkeit einfordert, die | |
| will, dass wir den glatten, geschmeidigen Family-First-Frauen der | |
| Trump-Regierung nacheifern, mit ihrem scheuen Lächeln, das sie aussehen | |
| lässt, als würde ihnen jemand eine Waffe in den Rücken halten. Aber | |
| rassistischer Hass ist auch ein feministisches Thema. Sozialstaat, | |
| Gesundheitsversorgung und wirtschaftliche Gerechtigkeit sind feministische | |
| Themen, und der neue Faschismus verlangt einen neuen, schärferen | |
| feministischen Widerstand. Glücklicherweise passiert das bereits. | |
| Sich heute Feministin zu nennen ist radikaler und gefährlicher als letztes | |
| Jahr. Feminismus ist natürlich nicht nur eine Identität, sondern ein | |
| Prozess, ein Verb, eine Bewegung. Aber Widerstand fängt im Herzen an, und | |
| wenn ich mich selbst Feministin nenne, dann ist das ein Statement des | |
| Widerstands gegen den globalen Männlichkeitskult. Wenn ich mich Feministin | |
| nenne, erinnere ich mich selbst und alle, die zuhören, dass mein Körper und | |
| mein Leben nicht der rechtmäßige Besitz irgendeines Mannes sind, ob im | |
| Weißen Haus, im Repräsentantenhaus oder bei mir zu Haus. | |
| ## Feminismus als Krebszelle | |
| Deswegen sind die heutigen Faschisten so besessen vom Feminismus als einer | |
| zersetzenden Macht. Sie nennen ihn eine Krebszelle, und das Bild passt | |
| schon, denn wenn er einmal im Herzen ist, wird er sich weiterfressen, wird | |
| die Person, den Haushalt, die Familie, die Stadt, die Welt verändern. Wenn | |
| das Krebs ist, will ich keine Heilung. | |
| Es gibt überall Milliarden von Frauen, die nicht einfach zuschauen werden, | |
| wie die von unseren Vormüttern hart erkämpften Fortschritte von | |
| lächerlichen korrupten Fanatikern und kleinen Tyrannen kaputtgemacht | |
| werden, aus welchem Glauben heraus oder in welchem Land auch immer. Jeder | |
| Faschist weiß, dass Freiheit eine Bedrohung sein kann, aber die Frauen und | |
| Mädchen von heute sind damit groß geworden. Wer von ihnen erwartet, sie im | |
| Namen eines Nationalstolzes wieder aufzugeben, hat einen heftigeren Kampf | |
| vor sich, als er sich vorstellen kann. | |
| 31 Dec 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Laurie Penny | |
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