| # taz.de -- Sexistische Artikelbezeichnungen: Peeeeeeniiiiiiis! | |
| > Das Modelabel „Naketano“ bewirbt seine Klamotten mit Fäkal-Humor. Der | |
| > aber trägt zu einem Klima bei, in dem sexualisierte Gewalt alltäglich | |
| > ist. | |
| Bild: Kein Entrinnen | |
| Das Modelabel von Sascha Peljhan und Jozo Lonac vertreibt vegane | |
| Straßenkleidung, hauptsächlich Hoodys und Shirts. Was man eben so trägt, | |
| wenn man es cool und gemütlich mag. [1][In einer Stellenausschreibung auf | |
| ihrer Homepage schreiben die Macher, dies sei die neue Mode für junge, | |
| selbstbewusste Menschen in guter Qualität.] | |
| Naketano, der Name der 2006 gegründeten Firma mit Sitz in Essen, erinnert | |
| an Nacktheit. Daran lehnen sich auch die Artikelbezeichnungen an: | |
| „Supapimmel“, „Italienischer Hengst“, „Perverser“, „Until the pai… | |
| „Muschiflüsterer“, „Schnellbumser“, oder „I love my penis“ lauten … | |
| Männerbekleidung und „Versehentlich reingesteckt“, „Fotzy Bär“, | |
| „Glitzermuschi“, „Bounce that ass“ oder „Spreiz mal mit Gemütlichkei… | |
| Frauenoberteile. | |
| Was ist das? Ein pubertäres Spiel? Wer in der Öffentlichkeit am lautesten | |
| Penis ruft, hat gewonnen? Oder doch eher Sexismus und | |
| Vergewaltigungsanspielungen als neue Verkaufsmasche? | |
| Zweifellos: Die Artikelbezeichnungen Naketanos provozieren (Wie wäre es mit | |
| dem Shirt „Muschipimmelschwanzpussy“ für 32,99 Euro in rot, grün oder | |
| grau?). „Brave new word“ lautet der Claim, der unter dem Markennamen auf | |
| der Webseite steht. | |
| Genau betrachtet sind diese Artikelbezeichnungen aber alles andere als | |
| progressiv, oder gar mutig. Statt dessen perpetuieren sie alte Rollenbilder | |
| vom Geschlechtsverkehr, der aus dem sexuell aktiven und dominierenden Mann | |
| besteht („Supapimmel“, „Hengst“) , der sich von der passiven, aber | |
| bezwingbaren und zu bezwingenden Frau („Spreiz mal mit Gemütlichkeit“) | |
| nimmt, was ihm gefällt – ob sie das nun möchte, oder nicht („until the pa… | |
| starts“). | |
| ## Künstlerische Freiheit? | |
| „Es soll sich durch unsere Produktnamen niemand vor den Kopf gestoßen | |
| fühlen. Die Produktnamen sind Ausdruck unserer künstlerischen Freiheit“, | |
| schreiben die Macher auf ihrer Webseite unter den FAQs. Soll also heißen: | |
| Alles nicht so ernst gemeint. Ist doch nur Spaß – oder Kunst. Wirklich? | |
| „Künstlerische Freiheit“ ist in diesem Zusammenhang ein großes Wort. Ein | |
| Totschlagargument. Wer nun die Kleidungsnamen kritisiert, stellt auch den | |
| Spielraum von Künstler*innen in Frage. So wird jede Kritik sofort zur | |
| Zensur. Aber sind Modedesigner*innen, zumal solche, die keine Haute Couture | |
| entwerfen, sondern Massenware für den Durchschnittsjugendlichen, wirklich | |
| als Künstler anzusehen? | |
| Ein netter Versuch sich von vornherein gegenüber jeglicher Kritik zu | |
| immunisieren. Doch Naketano hat sich damit auch selbst enttarnt: Es gibt | |
| scheinbar durchaus ein Gespür dafür, dass die Bezeichnungen problematisch | |
| sind. Trotzdem hat man sich bewusst dafür entschieden. | |
| Gleichzeitig spricht Naketano eine kniffelige Zielgruppe an: Kund*innen, | |
| die insofern cool sein wollen, als sie wissen, dass man heute vegane | |
| Ökomode trägt, die aber offenbar (noch) so pubertär ist, dass sie sich über | |
| Fäkalsprache und sexistische Witze kaputtlachen kann. Oder aber Menschen, | |
| denen zwar Tiere und Umwelt wichtig sind, weil das jetzt Mainstream ist, | |
| die es sich aber gleichwohl nicht nehmen lassen wollen, ab und an verbal | |
| einen rauszuhauen. Das Problem ist: Die Grenzen zwischen diesen Zielgruppen | |
| sind fließend – und das ist das gefährliche daran. | |
| Ist das Naketano-Outfit also die neue Uniform für den Kampf gegen das | |
| Gender-Mainstreaming? Für all jene, die zum Dunstkreis der Identitären | |
| gehören wollen, zu einer Szene, in der Political Correctness als | |
| Schimpfwort gilt, und die sich eine Welt zurücksehnen, in der die | |
| Geschlechterrollen noch klar definiert waren und deshalb alles in bester | |
| Ordnung? | |
| ## Ist Sexismus jetzt cool? | |
| Oder sind diese Produktbezeichnungen gar ein erstes Anzeichen dafür, dass | |
| sich die Grenzen des Sagbaren mit dem populistischen Diskurs von Rechts | |
| längst verschoben haben? Ist Sexismus jetzt allen ernstes cool? | |
| Nicht nur in Neu-Rechten Kreisen, oder unter Maskulinisten, jenen, die dem | |
| als überbordend empfundenen Feminismus etwas entgegensetzten wollen, findet | |
| der Stil Naketanos ideologische Anknüpfungspunkte. Sexismus und | |
| sexualisierte Gewalt sind immer noch Teil der gesellschaftlichen Realität | |
| in Deutschland – Rape Culture eben. | |
| Der Begriff beschreibt, dass sexualisierte Gewalt weit verbreitet ist – | |
| fast jede siebte Frau ist in ihrem Leben davon betroffen – und dass es | |
| gleichzeitig nur wenig kritisches Bewusstsein für diese Realität gibt. | |
| [2][Anfang dieses Monats hat eine Studie der Europäischen Kommission | |
| gezeigt, dass ein Viertel aller in Deutschland lebenden Menschen | |
| Vergewaltigungen in Ordnung findet, wenn die Betroffene leicht bekleidet | |
| oder angetrunken war.] Die seit jeher immer wieder bemühten | |
| Vergewaltigungsmythen stecken also in den Köpfen, wie eh und je. | |
| Diese gesellschaftliche Verfasstheit mag der Grund sein, weshalb die | |
| Artikel Naketanos in nahezu allen größeren Online-Shops erhältlich sind. | |
| Dass man sich aber auch dort Gedanken gemacht hat, zeigt die Antwort von | |
| Sportscheck auf eine Anfrage der taz. Sportschecks firmeninterne Regeln | |
| besagen, dass Artikelbezeichnungen keinesfalls diskriminieren oder | |
| feindlich sein dürfen. Dies hat zur Folge, dass Sportscheck die | |
| Eigenbezeichnungen von Naketano-Produkten auf der Homepage häufig durch | |
| eigene Produktbeschreibungen ersetzt. | |
| ## Umsatz oder Moral? | |
| Peek & Cloppenburg etwa hat sich dazu entschieden, die Produkte Naketanos | |
| ohne die Artikelbezeichnung zum Verkauf anzubieten. Sie sind wohl schlecht | |
| fürs Geschäft? So konsequent, die Marke aus dem Sortiment zu nehmen, wollen | |
| die Online-Händler aber offenbar nicht sein. Umsatz ist wichtiger als die | |
| Moral. Und solange Nachfrage besteht, steht auch das Angebot. | |
| Kapitalismus eben. Kapitalakkumulation, Wertsteigerung und Profit. Was | |
| Betroffene sexualisierter Gewalt dabei fühlen, denken und dazu zu sagen | |
| haben, interessiert nicht. Ebenso wenig, wie die Tatsache, dass | |
| Artikelbezeichnungen, die sexualisierte Gewalt als Witz verharmlosen, ein | |
| gesellschaftliches Klima schaffen oder zumindest beibehalten, in dem solche | |
| Straftaten erst geschehen. | |
| Damit liegt Naketano im Zeitgeist. Das Frauen- und Männerbild, das hier | |
| transportiert wird, korrespondiert mit dem, was in den USA und in vielen | |
| europäischen Staaten immer mehr Menschen hinter sich vereint. Wie das | |
| Unternehmen zu all dem stehen, ist leider nicht bekannt. Ein Gespräch mit | |
| der taz lehnten die Macher ab. Mit der Presse spreche man generell nicht, | |
| hieß es dort. | |
| 31 Dec 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.naketano.com/naketano-jobs/ | |
| [2] /!5362523/ | |
| ## AUTOREN | |
| Lisa-Marie Davies | |
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