# taz.de -- Debatte Frauenrealitäten: Auf und an der Straße | |
> Während die einen mit rosa Wollmütze für ihre Rechte demonstrieren, | |
> verkaufen sich andere für immer weniger Geld an Freier. | |
Bild: Für manche Frauen bedeutet die Straße Protest, für andere: Arbeit | |
Eine halbe Million Menschen in Washington, eine halbe Million in New York, | |
eine weitere halbe Million in Los Angeles. Während man einen Tag nach | |
Donald Trumps Amtseinführung im Weißen Haus mit der Besucherzahl der | |
Inaugurationsfeier und der Rückabwicklung der letzten Jahrzehnte | |
beschäftigt war, zeigten die Straßen der Vereinigten Staaten, aber nicht | |
nur dort, das Bild einer neu erstarkenden Frauenbewegung. Schon die ersten | |
Bilder des neuen Präsidenten und seiner Freunde suggerierten, dass Macht | |
wieder weiße Männlichkeit ist, während das Weibliche vor allem äußerlich | |
glatt und makellos zu sein hat. 90-60-90. Das ist nicht der Code für die | |
Atomwaffen. Obwohl – wer weiß. Ein Meer pinkfarbener Pussyhats leuchtete | |
dagegen an. | |
Doch das ist nicht die alleinige Realität. Im vergangenen Jahr habe ich für | |
mein Buch über das Rotlichtmilieu Gespräche mit Frauen geführt, die an | |
einem Samstagvormittag nicht auf die Straße gingen, um mit einem rosa Hut | |
für ihre Rechte zu demonstrieren, sondern die an der Straße standen, um | |
sich für 50, vielleicht auch nur 30 Euro an den nächsten Freier zu | |
verkaufen. Das ist eine der vielen Realitäten, die wir oft übersehen und | |
übersehen wollen – weil sie zu weit von unserem Alltag entfernt scheint, | |
weil sie uns anscheinend nicht betrifft, weil wir auch nicht genau wissen, | |
was dagegen zu tun wäre. | |
Prostitution verbieten? Geht doch eh nicht! Das Prostituiertenschutzgesetz, | |
das im Juli in Kraft treten wird, ist zwar ein Zeichen des Umdenkens, da | |
nicht länger die Frauen, sondern die Freier und Zuhälter pönalisiert | |
werden, doch bleibt es überwiegend dabei: Während wir in anderen | |
Berufsfeldern über Frauenquoten und Binnen-I diskutieren, hat sich in | |
diesem Milieu fast nichts für die Frauen verändert. Doch, etwas schon: Die | |
Preise sind gesunken und mit den Preisen der Respekt. | |
Auf der Straße braucht es kein Binnen-I, braucht es nicht das Wort | |
Prostituiertin, denn wer Prostituierte sagt, Hure, Nutte, Flittchen, meint | |
sowieso Frauen. Auch wenn männliche Prostituierte sich oft ebenfalls in | |
miserablen Verhältnissen befinden, ist es doch bezeichnend für unsere | |
Gesellschaft, dass nach wie vor 90 Prozent der Sexarbeit in Deutschland von | |
Frauen geleistet wird. Es ist das eine, wenn in der Führungsetage des | |
Ergo-Konzerns auch mal Frauen sitzen sollten. Es wäre das andere, wenn auch | |
ihre Leistungen durch Orgien mit Prostituierten belohnt würden. | |
Wünschenswert mag diese Vergütung nicht sein – allein, dass sie noch | |
unvorstellbarer erscheint als die erste Forderung, sagt einiges über unser | |
Verhältnis zu Geld, Macht und Besitz aus. | |
Früher, vor fünfzehn, zwanzig Jahren, seien die Anliegen der Frauen auf der | |
Straße auch die Anliegen der „bürgerlichen“ Frauen gewesen. Das sei heute | |
anders, so erzählte es mir eine Mitarbeiterin der Organisation Hydra, der | |
„ersten Hurenorganisation Deutschlands“, wie sich die Gründerinnen | |
selbstbewusst nennen. Damals habe es Solidarität und ein Verständnis von | |
Feminismus gegeben, der nur übergreifend funktionieren konnte, nicht | |
parzelliert auf Milieus, Berufsgruppen, Bedürfnislagen. Ob das wirklich so | |
ist oder eine nostalgische Behauptung, wäre die eine Frage. Die andere | |
Frage, die wir uns noch dringender stellen müssen, ist, ob wir in den | |
letzten Jahren blind waren für Schieflagen, die uns nicht direkt zu | |
betreffen schienen – und wie wir dieser Blindheit begegnen können. | |
## Gemietete Geschlechtsorgane | |
Der Verfall an Respekt, der sich auf der Straße manifestiert, wenn eine | |
Frau 30 Euro wert ist, wenn sie gekauft und besessen werden kann, wenn | |
jemand noch eine Runde mehr mit dem Auto dreht, um den Preis einer | |
Heroinsüchtigen weiter zu drücken, all das trägt sich auch in die | |
Wohnzimmer, die in den bürgerlicheren Teilen der Republik liegen, trägt | |
sich in unseren Berufsalltag, trägt ein Ungleichgewicht in jedes | |
Beziehungsleben hinein. Die eine Seite muss sich um körperliche Zuwendung, | |
um sexuelle Befriedigung bemühen, die andere kann sie sich im Zweifelsfall | |
einfach kaufen. Und einige wollen nicht einmal kaufen, sie wollen lieber | |
ihre Übermacht ausreizen. So weit muss man gar nicht gehen, viel weniger | |
genügte schon, es müsste nicht einmal jemand tatsächlich tun, die reine | |
Möglichkeit führt bereits zu einem Ungleichgewicht. Und wer die Möglichkeit | |
ausschöpft, wird ein Überlegenheitsgefühl erleben, das abzuschütteln feste | |
moralische Integrität verlangt. | |
Frauen lernen derzeit wieder, auf der Straße für ihre eigenen Rechte | |
einzutreten. Auf der anderen Seite der Straße lernt man aber auch, dass | |
Frauen besessen werden können. Dass man sie herunterhandeln kann. Dass sie | |
für einen bestimmten Betrag zur Verfügung stehen, zumindest ihre | |
Geschlechtsorgane. | |
Das, was wir derzeit aus dem Weißen Haus, aber nicht nur von dort sehen, | |
ist etwas, das die ganzen Jahre über existiert hat, neben uns, bis vor | |
Kurzem ohne gesetzgebende Mehrheiten. Die Bürgerrechtlerin Angela Davis | |
erinnerte auf einer Kundgebung daran, dass Geschichte nicht gelöscht werden | |
könne wie eine Webseite. Daran zu erinnern ist und bleibt wichtig, gerade | |
in Wochen wie diesen, nur ist Löschen gar nicht die alleinige, wohl nicht | |
einmal die vorrangige Methode, auf die sich Trump und seine Mitarbeiter | |
genauso wie die europäischen Reaktionäre und Rechtsrevolutionäre verlassen. | |
Sie agieren viel simpler, kehren einfach die Rückseite jener Entwicklungen | |
hervor, die von Menschen mit gehörnten Wollmützen und Plakaten laut und | |
selbstbewusst verteidigt werden. Sie setzen auf jene Spur der Gesellschaft, | |
in der sich wenig verändert hat, vielleicht sogar der Ton härter und | |
zynischer geworden ist, und die all die Jahre über stillschweigend mitlief. | |
Jetzt holt sie uns mit immenser Wucht ein. | |
5 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Nora Bossong | |
## TAGS | |
Frauenrechte | |
Prostitution | |
Feminismus | |
Prostitution | |
Prostitution | |
Sexarbeit | |
Feminismus | |
Intersektionalität | |
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten | |
Feminismus | |
Sexarbeit | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kommentar Gütesiegel für Bordelle: Die Fiktion vom kritischen Freier | |
Wie bei Sterne-Hotels soll man zukünftig an der Anzahl der Krönchen ablesen | |
können, welche Standards ein Bordell einhält. Die Idee hat Tücken. | |
Prostituiertenschutzgesetz ist in Kraft: Jetzt sprechen die Sexarbeiterinnen | |
Aufhören, ins Ausland gehen oder illegal weitermachen? Prostituierte | |
entwickeln neue Strategien. Das Gesetz lässt Platz für Interpretation. | |
Klage gegen Prostituiertenschutzgesetz: Hurenpass und Betriebskonzept | |
SexarbeiterInnen müssen sich anmelden und regelmäßig gesundheitlich beraten | |
lassen. Auch behördliche Kontrollen sind vorgesehen. | |
Nora Bossong über Lust und Macht: Auf der Suche nach dem kleinen Tod | |
Was sagen uns Pornokino und Swingerclub über Lust? Nora Bossong hat im | |
Rotlichtmilieu recherchiert, wo sich Sex und Geld verbinden. | |
Feministisches Streitgespräch über Macht, Diskriminierung und Generationenkon… | |
Über allen Diskriminierungsmerkmalen steht das Geschlechterverhältnis, sagt | |
Bremens Landesfrauenbeauftragte Ulrike Hauffe. Diese privilegierte Haltung | |
reproduziert Hierarchien, sagt Queerfeministin Nissar Gardi. | |
Berliner Szene vor dem Frauenkampftag: Notwendiges Räumeschaffen | |
Feministische Gruppen gibt es viele. Nur sind sie oft homogen. Wie arbeiten | |
Weiße, Schwarze, Queere und Behinderte zusammen? Eine Exkursion. | |
Frauen gratulieren „Emma“ zum 40.: Konstruktive Glückwünsche | |
Sieben Frauen, sieben Feministinnen. Sie alle sind irgendwie mit der „Emma“ | |
großgeworden. Zu deren Geburtstag wollen sie auch was loswerden. | |
Frauenrechte vs. Rechtspopulismus: Was Feminismus bedeutet | |
2016 war geprägt von einem kulturell-gesellschaftlichen Rückschlag. Der | |
neue Faschismus verlangt einen schärferen feministischen Widerstand. | |
Rechte von Sexarbeiterinnen: Versicherte Arbeit – wie jede andere | |
Haben SexarbeiterInnen die gleichen Rechte wie andere ArbeitnehmerInnen? | |
Darüber entscheidet jetzt das Hamburger Sozialgericht. |