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# taz.de -- Feministisches Streitgespräch über Macht, Diskriminierung und Gen…
> Über allen Diskriminierungsmerkmalen steht das Geschlechterverhältnis,
> sagt Bremens Landesfrauenbeauftragte Ulrike Hauffe. Diese privilegierte
> Haltung reproduziert Hierarchien, sagt Queerfeministin Nissar Gardi.
Bild: Feminismus oder nix, da sind sich Ulrike Hauffe und Nissar Gardi einig. N…
taz: Frau Hauffe, Frau Gardi, wie kann es gelingen, dass alle Feministinnen
gemeinsame Sache machen?
Ulrike Hauffe: Ich finde das gar nicht so schwer. Praktisch machen wir gute
Erfahrungen. Wir haben in unserer Behörde zum Beispiel ein
Schwerpunktprojekt „Frauen und Flucht“. Da sind auch islamische
Feministinnen dabei, die unsere Arbeit begleiten und bewerten. Wir wollen
nicht so daherkommen, dass wir ihnen sagen, wo es langgeht, sondern wir
diskutieren, ob unsere Ansätze die richtigen sind. Begegnung ist die
Grundlage der Zusammenarbeit.
Frau Gardi, denken Sie auch, das ist gar kein großes Problem?
Nissar Gardi: Ich glaube, es gibt in der Praxis wenig gelingende Bündnisse,
weil unklar ist, um wen und worum es eigentlich geht. Geht es darum,
feministische Perspektiven, die für uns in Deutschland Lebende relevant
sind, gemeinsam zu reflektieren und Forderungen aufzustellen? Oder geht es
in Ihren Beispielen, Frau Hauffe, eher darum, dass Strukturen, die
Ressourcen in der Hand haben, partizipativer arbeiten als noch vor 20, 30
Jahren – und das auch nur punktuell?
Worum sollte es gehen?
Gardi: Wir brauchen reflexive Bündnisse, um uns über feministische
Forderungen auszutauschen, und nicht Integrations- und punktuelle
Partizipationsmaßnahmen. Wir haben einen massiv präsenten Rassismus in
Deutschland. Wenn wir also von feministischen Bündnissen sprechen, müssen
wir auch über Rassismus sprechen. Da geht es nicht nur um Begegnungen,
sondern um gemeinsame Analysen und darum, Forderungen einlösen.
Hauffe: Ich bin gar nicht weit entfernt von Ihnen, aber wir reden von
verschiedenen Positionen aus. Meine Rolle als Landesfrauenbeauftragte ist
es, Frauen zu ermöglichen, hier gut leben zu können. Wir haben in Bremen
ein riesiges Armutsproblem, und das trifft eher Frauen. Sie sind arm oder
armutsgefährdet, weil sie an bestimmten biografischen Schnittstellen andere
Wege einschlagen als Männer – hier ist die Armuts- eine Geschlechterfrage.
Gleichzeitig dürfen wir den akademischen Zugang zur Debatte nicht
verlieren. Ich hab das Gefühl, dass wir mit dem Wort Feminismus gar nicht
das Gleiche verbinden.
Was verbinden Sie mit Feminismus?
Hauffe: Feminismus ist immer die Bewegung, die Gleichberechtigung von
Frauen herstellen will. Früher geschah das sehr viel stärker in Abgrenzung
zu Männern. Heute sind wir da viel differenzierter. Feminismus stellt immer
die Machtfrage, aber Macht definiert sich nicht nur zwischen Männern und
Frauen, sondern in Institutionen und allem, was Sie, Frau Gardi, schon
angedeutet haben.
Wie definieren Sie Feminismus heute?
Hauffe: Ich denke, es ist gerade nicht die Zeit, hier zu sitzen und
Feminismus zu definieren, sondern zu gucken: Wie kriegen wir Bewegung in
verkrustete Machtverhältnisse? Da ist mir egal, wie die sich nennt.
Gardi: Ich denke, dass es gerade jetzt wichtig ist, sich darüber zu
verständigen, was wir mit einer gemeinsamen feministischen Bewegung meinen.
Zudem sehe ich nicht, dass die feministische Bewegung sich von Anfang an
auf die Gleichstellung von Männern und Frauen bezogen hat. „Frauen“ denke
ich aus einer queerfeministischen Perspektive, die weitere
Machtverhältnisse mitdenkt. Diese binäre Konstruktion von Frauen und
Männern – um die geht es nicht allein. Der vermeintliche Konsens über die
Gleichstellung von Frauen und Männern ist weiterhin ausschließend.
Hauffe: Wir verstehen uns miss. Hier entwickelt sich ein künstlicher
Widerspruch. Selbstverständlich ist Rassismus ein Gleichberechtigungsthema
sowie auch Sexismus und die soziale Frage. Die zentrale Frage aber ist für
mich die Armutsfrage. Aber da sind Frauen, lesbische, queere, alle
möglichen, einbezogen.
Worin besteht Ihrer Meinung nach der künstliche Widerspruch?
Hauffe: Ich werde unruhig, wenn wir anfangen, Frau infrage zu stellen. Nach
wie vor haben Männer die meisten Machtpositionen inne. Das heißt nicht,
dass es dort nicht auch Diskriminierte gibt. Diese Debatte hilft nur nicht
weiter, wenn ich mich über Macht und Ohnmacht und Ausgrenzung unterhalten
will. Gerne können wir uns auch über rassistische Ausgrenzungen oder die
Ausgrenzung bestimmter Lebensformen unterhalten. Das sind alles Themen, die
unterhalb des Themas Gleichberechtigung laufen.
Gardi: Wir werden uns da nicht so schnell einig. Die Aussage, dass Sie
nicht diskutieren wollen, wer mit „Frau“ gemeint ist, macht eine
privilegierte Position deutlich. Damit werden nämlich Stimmen von queeren,
Trans- und Interpersonen verdeckt. Ich kann nicht Sexismus und Rassismus
getrennt voneinander diskutieren. Wenn wir uns die Armutsfrage stellen,
müssen wir uns anschauen: Welche Frauen sind im Konkreten davon betroffen
und wer außerdem? Da muss ich mich fragen: Mit wem kämpfe ich zusammen? Da
sehe ich auch die Kämpfe von migrantischen Männern. Aber wenn ich mir die
Armutsfrage aus einer traditionell weißen feministischen Perspektive
anschaue, sind es wahrscheinlich Bündnisse zwischen bestimmten Frauen. Und
das ist mir zu kurz gedacht.
Hauffe: Das ist klar. Jede politische Arbeit, die nicht intersektional ist,
ist eine schlechte Arbeit. Selbstverständlich weiß ich, dass Menschen
verschieden stark diskriminiert sind. Meine Sorge ist: Wenn wir aufhören,
über die Gruppe „Frau“ zu reden, weil es sie so als Gruppe nicht geben
soll, lösen wir die Grundlagen der Diskussion über Macht und Ohnmacht auf.
Weil ich der Überzeugung bin, dass Macht und Ohnmacht an der Linie von
Geschlecht zentral definiert werden. Unterhalb dessen gibt es
selbstverständlich sehr viele Diskriminierungsmerkmale.
Ist die Geschlechterfrage der Hauptwiderspruch?
Gardi: Diese Hierarchie der Gewaltverhältnisse können wir nicht machen. Es
ist sehr relevant, ob wir von Frauen und Männern sprechen oder von mehr.
Wenn ich mit Transfreund_innen ins Schwimmbad gehe, ist es Realität, dass
sie immer wieder ihre Präsens in den Duschräumen für Frauen und Männer
rechtfertigen müssen.
Hauffe: Diese Frage wird vermehrt in akademischen Kreisen diskutiert. Wir
haben in der praktischen Arbeit eher das Problem, dass Begriffe wie Gender
Mainstreaming, Diversity, Feminismus und Frauengleichstellung benutzt
werden, um vorzugeben, das Leben sei in Ordnung, wenn ich das Wort
aussprechen kann. Auch Horst Seehofer ist in der Lage, gendergerechter zu
sprechen als vor zehn Jahren, ohne dass sich irgendeine politische Position
verändert hätte. Diversity ist ein Wirtschaftskonzept. Es dient der
kapitalistischen Zielerreichung und gilt als schick.
Gardi: Hier wird deutlich, dass Machtverhältnisse wenig komplex gedacht
sind und schnell ein hegemonialer Konsens besteht, der tatsächlich wenig
bewirkt. Deshalb müssen wir Frau und Feminismus differenzierter denken als
die Gleichstellung auf der einen Ebene.
Zeigt sich an Ihren unterschiedlichen Auffassungen von Feminismus ein
Generationenkonflikt?
Hauffe: Nein, der ist medial inszeniert. Wir haben ein Projekt mit jungen
Frauen gemacht. Die haben die gleichen Themen wie wir älteren, zum Beispiel
ungleiche Bezahlung. Der große Unterschied ist aber, dass wir früher die
Vergemeinschaftung und kollektive Erfahrung von Problemen erlebt haben und
männlich geprägte Strukturen ungeheuer mächtig waren – sprich: das, wogegen
wir waren, war sehr viel offensichtlicher. Heute ist einerseits viel
erreicht und andererseits eine so starke Individualisierung da, dass viele
Frauen glauben, sie seien selbst schuld und die Lösung allein ihre Sache.
Gardi: Es geht um verschiedene Traditionen des Feminismus, aus denen wir
sprechen. Ich kann auch gut an Kämpfe von Frauen anknüpfen, die Jahrzehnte
älter sind als ich, aber aus einer kritischen postkolonialen, schwarzen,
migrantischen Perspektive sprechen. Mit denen habe ich mehr gemeinsame
Fragestellungen, als wenn wir beide zusammensitzen.
Ist das Erstarken der rechtspopulistischen Bewegung der Kitt, der die
innerfeministischen Differenzen zusammenbringt?
Gardi: Gerade Trump oder die AfD und andere rechte, antifeministische und
rassistische Bewegungen sind keine Gründe, die FeministInnen stärker
zusammenbringen. Das wird deutlich, wenn wir uns den Schulterschluss weißer
Frauen mit gewaltverherrlichenden, sexistischen PolitikerInnen und
rassistischen Strukturen anschauen. Da wird eher deutlich, wie groß der
Graben ist und wie wichtig Bündnisse mit migrantischen Kämpfen,
muslimischen Frauenbewegungen, Queere und Of-colour-Perspektiven sind.
Hauffe: Ich glaube, in Teilen bewegt sich da schon etwas aufeinander zu.
Aber nicht unter dem Begriff Feminismus, sondern unter: Scheiße, was läuft
hier gerade, wir müssen uns zusammentun und einen generalisierten
Widerstand organisieren. Wenn es uns nicht gelingt, diese Zusammenschlüsse
zu schmieden, und die Themen, die uns hier bewegen zu implementieren, dann
werden wir es brutal merken.
8 Mar 2017
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
## TAGS
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