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# taz.de -- Prostituiertenschutzgesetz ist in Kraft: Jetzt sprechen die Sexarbe…
> Aufhören, ins Ausland gehen oder illegal weitermachen? Prostituierte
> entwickeln neue Strategien. Das Gesetz lässt Platz für Interpretation.
Bild: Fabienne Freymadl alias Lady Velvet Steel
Vielleicht war die Abschiedsorgie von Sexy Susi etwas verfrüht: Am
Dienstagabend gab es die letzte Gangbangparty des Pornostars in Berlin.
Denn Exfrauenministerin Manuela Schwesig hatte lange den Eindruck erweckt,
dass [1][das neue Prostituiertenschutzgesetz, das am 1. Juli in Kraft
getreten ist], diese Praktik, bei der meist eine Frau Sex mit mehreren
Männern gleichzeitig hat, verbieten würde.
Auf der Homepage von Sexy Susi jedenfalls wird getrauert: „Eine lange Reihe
von schönen Partys geht zu Ende.“ Jetzt will Sexy Susi ihre Aktivitäten ins
Ausland verlegen, Niederlande, Schweiz und so. Auch der bekannte
Gangbanganbieter Erlebniswohnung Berlin bietet ab sofort nur noch
„Sexpartys“ an.
Dabei hätte Sexy Susi wohl noch in Deutschland bleiben können. Zwar
verbietet das neue Gesetz Betriebskonzepte, die gegen die „Wahrnehmung der
sexuellen Selbstbestimmung von Prostituierten“ verstoßen. Oder anders
ausgedrückt: Wer gleichzeitig mit mehreren Leuten Sex hat, könne keinen
Spaß haben, dahinter stecke doch Zwang, und der gehöre verboten.
So kann man das sehen.
Sexy Susi aber ist über diese Sicht empört. Auch bei Gangbang sage sie,
Susi selbst, wo es langgeht: „Die Frau bestimmt alles.“ Sie findet, Frau
Schwesig bestreite die sexuelle Selbstbestimmung von Sexarbeitenden.
Vielleicht ist es mit dem Prostituiertenschutzgesetz ja ähnlich wie mit
anderen Gesetzen: Sie lassen Spielraum für Interpretationen.
## Prostituierte müsssen sich anmelden
Auf Nachfrage bei der Berliner Senatsgesundheitsverwaltung, die für die
Umsetzung des Gesetzes in der Hauptstadt zuständig ist, wird rasch klar,
dass das an vielen Punkten schwierig werden könnte. Gangbangpartys sind so
ein Punkt. Sprecher Christoph Lang gibt zu bedenken, dass eine
Prostituierte behaupten könne, sie mache das freiwillig und gerne. Er sagt:
„Dann ist der Verstoß gegen die sexuelle Selbstbestimmung natürlich kaum
nachweisbar.“
In anderen Paragrafen ist das Gesetz eindeutiger. So müssen sich
Prostituierte künftig anmelden. Dann erhalten sie eine Anmeldebestätigung,
in der Szene „Hurenpass“ genannt. Fabienne Freymadl, die als Lady Velvet
Steel in einem Dominastudio in Berlin ihre Dienste anbietet, fragt sich,
was das soll: „Geht es um mehr Schutz von Sexarbeitenden? Oder eher um
Kontrolle und den Zugriff des Staats auf eine stark stigmatisierte
Branche?“
Freymadl muss sich demnächst anmelden, sonst kann sie als Sexarbeiterin nur
illegal weitermachen. Aber das wäre in ihrem Fall unmöglich. Lady Velvet
Steel ist ein Promi in der Szene, sie hat eine Website, Männer buchen sie
online oder telefonisch. Die Behörden wissen das.
Am 1. Juli will sich Fabienne Freymadl alias Lady Velvet Steel aber noch
nicht anmelden. Sie kann es auch nicht. Sie sagt: „Es ist in manchen
Bundesländern noch nicht klar, welche Behörde zuständig ist.“ Sie rechnet
damit, dass die Ordnungsämter diese Dienste übernehmen müssen.
Sie rechnet auch damit, dass viele ihrer KollegInnen den Job aufgeben
werden. „Manche Frauen sind als Sexarbeitende nicht geoutet“, sagt sie.
Deren Familien, die Nachbarn, Freunde wissen nichts vom Job, mit dem
„Hurenpass“ könnte der auffliegen. „Die Behörden sind untereinander
vernetzt“, sagt sie, „da gibt es immer jemanden, der sich verquatscht.“
Deshalb hat Hamburgs bekannteste Domina, Undine de Rivière, ihr Studio
aufgegeben. „Ich weiß nicht, ob sich meine Kolleginnen anmelden“, sagt sie,
„ich will das aber auch nicht kontrollieren.“ Sie macht fortan als
Soloselbstständige weiter.
In der Sexbranche wird geschätzt, dass sich nur ein Drittel der
Prostituierten anmelden. Andere würden ihre Dienste verschleiern als
Massage, Personal Training, so was. Wie früher, als Prostitution in
Deutschland verboten war. Manche würden illegal arbeiten. Laut Schätzungen
soll es zwischen 400.000 und 1.000.000 Sexarbeitende in Deutschland geben
und täglich 1,2 Millionen Freier. Den Jahresumsatz der Branche beziffert
das Statistische Bundesamt auf 14,6 Milliarden Euro.
Das Gesetz habe, so sieht es Freymadl, weitere Tücken: Prostitutionsstätten
wie Bordelle, Swingerklubs, SM-Studios oder Wohnwagen müssen fortan ein
Betriebskonzept vorlegen, wenn die Einrichtungen bestehen sollen. In so
einem Betriebskonzept steht zum Beispiel, wer Chefin oder Chef im Bordell
ist. Darin soll auch stehen, was in der Prostitutionsstätte stattfindet:
Bondage, oral, anal, solche Sachen.
## Getrennte Toiletten
Das kann man amüsant finden. Oder okay, weil auch jede Currywurstbude so
ein Papier vorlegen muss. Mit dem Unterschied, dass das neue Gesetz den
Bordellen Auflagen erteilt, die sie vielfach nicht umsetzen können. So muss
es fortan getrennte Toiletten für die Prostituierten und die Kunden geben.
„Viele Kleinbordelle können allein aus Platzgründen keine zweite Toilette
einbauen“, sagt Freymadl. Ebenso müssen die Sexeinrichtungen künftig
feuerfeste Türen haben. Freymadl sagt: „Die können viele Sexarbeitende gar
nicht bezahlen.“ Die Folge: Drei Viertel der kleinen Bordelle würden
schließen müssen, schätzt die Domina.
Und dann ist da noch die Sache mit der Gesundheitsberatung, die das Gesetz
zur Pflicht macht. Die sei komplett einseitig, klagt Freymadl: „Freier
müssen sich nämlich nicht beraten lassen.“ Dahinter stecke eine abwertende
Haltung gegenüber Prostituierten, sagt Freymadl: „Du dumme Nutte, du weißt
nicht, was gut für dich ist.“
„Das Gesetz ist unfair“, findet auch Huschke Mau. Aber die Exprostituierte,
die das Ausstiegsprojekt Sisters mitgegründet hat, steht auf der anderen
Seite. Sie gehört zu den GegnerInnen der Prostitution und möchte, dass
Sexarbeit verboten wird. „Prostitution ist Gewalt“, meint sie, „eine Frau
hat Sex, obwohl sie es nicht will“.
## Absicherung der Frauen und Männer
Mau glaubt, der Staat verbiete Prostitution deshalb nicht, weil er damit
leicht Geld verdiene. Mit der Anmeldung würden viele Steuern eingenommen,
aber für die Absicherung der Frauen und Männer werde nichts getan. So
würden jene, die aussteigen wollen, nicht ohne Weiteres Hartz IV beziehen
können. Das Sozialministerium widerspricht: Stimmt nicht.
Einzig die Pflicht zur Gesundheitsberatung hält Mau für „erprobenswert“:
„Viele Frauen kennen ihre Rechte nicht und haben auch keinen Kontakt nach
außen.“ Die Beratung sei eine Chance, ihnen etwa Kontakt zu
Hilfsorganisationen zu verschaffen. Auch gegen Menschenhandel, der oft mit
dem Sexgewerbe in Verbindung gebracht wird, werde nicht konsequent
vorgegangen, findet Mau.
364 Fälle von Menschenhandel im Zusammenhang mit sexueller Ausbeutung hat
das Bundeskriminalamt 2015 festgestellt. Mau sagt: „Die meisten Frauen
werden nicht gefunden.“ Freymadl aber hat einen anderen Blick darauf: „Wenn
Polizei und Justiz es nicht schaffen, Menschenhandel einzudämmen, wie soll
denn ein einziges Gesetz das verhindern?“
5 Jul 2017
## LINKS
[1] /Klage-gegen-Prostituiertenschutzgesetz/!5420194
## AUTOREN
Simone Schmollack
Heide Oestreich
## TAGS
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