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# taz.de -- Ausstellung über Sexarbeit: Die Huren melden sich zu Wort
> In der Ausstellung „With Legs wide Open“ im Schwulen Museum in Berlin
> erzählen Sexarbeiter*innen selbst ihre Geschichte – und eigenen sie
> sich an.
Bild: Die Garderobe mit Kleidung von Sexarbeiter*innen aus dem Mittelalter ist …
Berlin taz | Ausstellungen über Sexarbeit gibt es viele. Doch nur selten
stammen sie auch von Sexarbeiter*innen selbst. Das ändert sich jetzt:
Seit diesem Dienstag haben Huren, wie sich die Mitglieder des kuratierenden
Sexarbeiter*innen-Kollektivs selbstbewusst nennen, das Schwule Museum in
Schöneberg zu einem Museum der Sexarbeit umgewandelt.
„Es ist Hurengeschichte von Huren, also von uns, nicht über uns“, sagt
Isaak Rion stolz. Rion trägt ein schwarzes Netzhemd unter einer
lilafarbenen Trainingsjacke, Goldkettchen und eine Käppi. Gemeinsam mit
Ernestine Pastorello und Rori Dior führt Rion durch die [1][Ausstellung
„With Legs wide Open] – Ein Hurenritt durch die Geschichte“, die am
Dienstag um 19 Uhr Vernissage feiert.
Und es ist tatsächlich ein Ritt, wenn auch kein linear-historischer und aus
einer erfrischend anderen Perspektive. Denn statt die Verfolgung von
Sexarbeit und damit die Täterperspektive in den Vordergrund zu stellen,
wollen sich Isaak Rion und die Kolleg*innen ihre Geschichte aneignen und
neu erzählen.
Es geht um eine queere und dekoloniale Geschichtsschreibung statt einer
polizeilichen, sagt Rion. Schließlich seien die Communities von
Sexarbeiter*innen und queeren Menschen, aber auch ihre Kämpfe schon
immer eng verbunden. Und das nicht nur in Berlin.
## Eine sinnliche Erzählung
Diese Kämpfe und Realitäten werden in zehn verschiedenen Räumen auf sehr
unterschiedliche Weise erzählt: Es ist Geschichte zum lesen, hören,
anfassen und auch riechen. So kann man in der „Garderobe“ Kleidung von
Sexarbeiter*innen aus dem Mittelalter bestaunen, im
„Arzneimittelkabinett“ an Beifuß – was abtreibend wirken soll – oder
krampflösendem Wermut riechen und sich in der „Abteilung für horizontale
Arbeit“ auf ein riesiges, rotes herzförmiges Bett legen und sich über die
Geschichte hinter den umliegenden Sex-Utensilien informieren.
So spaßig geht es jedoch nicht in allen Räumen zu, wobei sich auch die
dunklen Kapitel der Hurengeschichte mit Humor angeeignet werden. Wie in der
„Abstellkammer der Bürokratie“, wo es um Vorschriften und Gesetze geht, die
Sexarbeitenden das Leben schwer machen. Hier ist etwa [2][ein „Hurenpass“]
zu sehen, wie Sexarbeiter*innen den Ausweis nennen, den sie nach ihrer
Anmeldung als Prostituierte jederzeit bei sich tragen müssen, wenn sie
nicht Strafen von bis zu 1.000 Euro riskieren wollen. Dazu gibt es
unbequeme Stühle und Akten, das soll den Amtscharakter hervorheben, erklärt
Rion augenzwinkernd.
Der Hurenpass ist nur eines von vielen Beispielen, wie der Staat vorgibt,
Prostituierte zu schützen, ohne sie einzubeziehen – und damit oft das
Gegenteil erreicht. Das lässt sich auch in der „Gesundheitsabteilung“
erleben. „Sexarbeiter*innen durften nicht mitreden, welcher Schutz für sie
am besten funktioniert. Dabei haben sie am meisten Ahnung von sexuell
übertragbaren Krankheiten – weil sie es müssen“, sagt Ernestine Pastorell…
die, ebenso wie die Ausstellungstexte, auf deutsch und englisch
kommuniziert.
## Zwischen Verfolgung und Instrumentalisierung
Richtig düster wird es schließlich in der Abteilung über Kolonialismus und
im „Vernichtungsdezernat“. Hier werden die persönlichen Geschichten von
Prostituierten im Nationalsozialismus erzählt, vom Konzentrationslager bis
zu Wehrmachtsbordellen. Geschichten, die meist unsichtbar sind. „Vielen
Opfern war es nach dem Krieg nicht möglich, über ihr Leid zu sprechen, weil
sie weitere Verfolgung fürchten mussten“, sagt Isaak Rion. Ein Denkmal für
verfolgte Sexarbeitende im NS gibt es bis heute nicht – ebensowenig wie für
die als „asozial“ Verfolgten.
Ganz am Schluss, im Raum über aktuelle Kämpfe und Forderungen, führt die
Ausstellung überraschenderweise in eine Kapelle – wenn auch eine bunte,
deren Verzierungen mit Heiligenfiguren nicht viel gemein haben. Dennoch,
warum ausgerechnet eine Kapelle, die Kirche ist ja nun nicht gerade eine
Verbündete von Sexarbeiter*innen?
„Auch das ist als Aneignung zu verstehen“, erklärt Rion. Hier könnten die
Besucher*innen das Erlebte verarbeiten und eigene Geschichten
aufschreiben und in die aufgestellte Box werfen. Denn die Geschichten der
Sexarbeit in Berlin sind mit dieser Ausstellung noch lange nicht
auserzählt.
26 Mar 2024
## LINKS
[1] https://www.schwulesmuseum.de/ausstellung/with-legs-wide-open-ein-hurenritt…
[2] /Klage-gegen-Prostituiertenschutzgesetz/!5420194
## AUTOREN
Marie Frank
## TAGS
Berlin Ausstellung
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Queer
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