# taz.de -- Erstes LGTBIQ-Museum in Osteuropa: Verflochtene queere Geschichten | |
> In Warschau ist das QueerMuzeum eröffnet worden. Es erzählt von Stolz, | |
> Freude und Sex, aber auch von Stigmatisierung und Verfolgung. | |
Bild: Museumsleitung, Beiräte und bedeutende Personen der polnischen LGBTIQ-Ge… | |
Warschau taz | Krzysztof Kliszczyński steht auf der Wendeltreppe im soeben | |
eröffneten [1][QueerMuzeum in Warschau]. Vor 27 Jahren war er bei der | |
Gründung von Lambda Warszawa, der ältesten LGBTIQ-Organisation Polens | |
dabei. Seitdem haben er und seine Mitstreiter*innen darum gekämpft, | |
einen Ort für die Beschäftigung mit queerer Geschichte zu schaffen. | |
„Für mich geht ein Traum in Erfüllung. In Polen haben wir noch kein | |
Lebenspartnerschaftsgesetz, aber wir haben jetzt ein Museum. Für uns – die | |
Community – und für alle, die ganze Gesellschaft.“ Kliszczyński ist der | |
Leiter des QueerMuzeum und damit des ersten queeren Museums in Osteuropa. | |
Es ist Freitag, der 6. Dezember. Den ganzen Nachmittag stehen Menschen | |
Schlange, um die neu eröffnete Dauerausstellung zu besuchen. Internationale | |
Presseteams filmen und interviewen Besucher*innen. Jede Führung an diesem | |
Tag ist so voll, dass man sich im Museum kaum bewegen kann. Es befindet | |
sich auf der Ulica Marszałkowska, einer der Hauptstraßen im Zentrum | |
Warschaus, gerade mal vier Tramstationen vom berühmten Kulturpalast | |
entfernt, umgeben von sozialistischer Architektur, vielen Läden und Cafés. | |
Circa 60 Quadratmeter misst der ehemalige Büroraum, der in den vergangenen | |
zwei Jahren mit finanzieller Unterstützung der Stadt Warschau renoviert | |
wurde. Über die Treppe gelangt man in den ersten Stock. Dort wird die | |
Sammlung des Lambda Archivs mit über 100.000 Objekten queerer Geschichte | |
Ende Dezember für Besucher*innen öffnen. Dass Kliszczyński und viele | |
der Zuhörenden im Publikum sich persönlich kennen, ist spürbar. Immer | |
wieder verweist er in seiner Rede auf die Arbeit der anwesender | |
Aktivist*innen aus verschiedenen Generationen und Bewegungen. | |
## Ein „Ozean an Quellen“ | |
Auf kleinem Raum und mit begrenzten Ressourcen ist es dem Team des | |
ehrenamtlichen Museumsbeirats unter der kuratorischen Leitung des | |
Historikers Piotr Laskowksi gelungen, nicht eine, sondern viele queere | |
Geschichten zu erzählen. Der zwölfköpfige Beirat besteht aus | |
Expert*innen aus Kunst, Literatur und Geschichtswissenschaften, dem | |
NGO-Bereich und Aktivismus. Die queere Historikerin Joanna Ostrowska ist | |
eine von ihnen. | |
Sie erinnert sich an das allererste Meeting im Dezember 2023. „Uns war von | |
Anfang an klar, dass diese Ausstellung nur einen kleinen Ausschnitt all des | |
Materials zeigen kann, das wir mitbringen.“ Ostrowska spricht von einem | |
„Ozean an Quellen“, in dem sie und das Team zu schwimmen versuchten. | |
„Während meines Studiums sagten meine Professor*innen immer, dass ich | |
nicht zu queeren Themen forschen könne, weil es dazu keine Quellen gäbe. | |
Das QueerMuzeum zeigt, dass das Unsinn ist. Wir haben eine lange Geschichte | |
und unglaublich viele Quellen.“ | |
Lokale wie internationale Wissenschaftler*innen und queere Initiativen | |
sollen durch das offene Archiv des Museums nun Möglichkeiten und Zugänge | |
bekommen, die es so bislang in Polen noch nicht gab. Mit ihrer eigenen | |
Forschung zu queeren Opfern des Zweiten Weltkriegs sowie zu sexualisierter | |
[2][Gewalt in Konzentrationslagern] stieß Ostrowska in Institutionen wie | |
dem Museumsarchiv Auschwitz-Birkenau häufig auf verschlossene Türen. | |
Dennoch glaubt sie, dass eine Zusammenarbeit zwischen dem QueerMuzeum und | |
den großen Mahn- und Gedenkstätten irgendwann möglich sein wird. | |
## Eine queere Geschichte | |
Bei der Auswahl der historischen Fragmente für die Ausstellung ging es laut | |
der Historikerin um Inklusivität auf mehreren Ebenen: Es sollte explizit | |
keine schwule Geschichtsschreibung werden, sondern eine queere Geschichte, | |
die verschiedene Geschlechtsidentitäten und sexuelle Orientierungen, | |
genauso wie unterschiedliche nationale und Klassenhintergründe | |
berücksichtigt. | |
„Grenzen haben sich in dieser Region Europas ständig verändert. Die | |
Geschichten der Tschechischen Republik, der Slowakei, Ukraine, Belarus und | |
Deutschland sind miteinander verwoben. Wir können sie deshalb auch nicht | |
allein erforschen, sondern nur in Zusammenarbeit mit Forschenden aus all | |
diesen Kontexten“, erklärt sie im Gespräch mit der taz. | |
Die Kooperation mit unterschiedlichen Communitys in Warschau als auch mit | |
Archiven und Initiativen andernorts findet laut Krzysztof Kliszczyński | |
bereits statt, wie er der taz erzählt. „Belarusische Queers brachten auf | |
Eigeninitiative Objekte ins Lambda Archiv, die in Belarus derzeit nicht | |
sicher wären.“ Dabei gehe es auch um digitale Quellen, deren | |
Onlinezugänglichkeit in Belarus verunmöglicht werde. | |
## Homosexualität nie offiziell unter Strafe | |
Die Frage, wie queere Geschichte erzählt werden kann, wo so viel davon | |
ausgelöscht wurde und wird, zieht sich auch durch die Dauerausstellung in | |
Warschau. Ein Zeitstrahl mit zwei Strängen, unterteilt in acht Kapitel, | |
spannt sich über die Wände des Raums: „Der obere Strang handelt vom | |
politischen Kampf um Rechte, von Stolz, Freude und Sex. Damit wollen wir | |
zeigen, dass es bei queerer Geschichte nicht nur um [3][Verfolgung und | |
Diskriminierung] geht“, erläutert Ostrowska. | |
Der untere Strang widmet sich der Kriminalisierung und Pathologisierung, | |
durch Gesetze, medizinische Institutionen und Kirchen. Tatsächlich ist | |
Polen eines der wenigen Länder in Europa, wo Homosexualität nie offiziell | |
unter Strafe stand. Stigmatisierung, Diskriminierung und Verfolgung gab es | |
trotzdem. | |
Nebst kurzen Texten zu jedem Kapitel auf Polnisch und Englisch werden | |
Originaldokumente und Archivmaterialien gezeigt. Daneben gibt es Hörstücke | |
und künstlerische Arbeiten. 132 Objekte queerer Geschichte versammelt die | |
Ausstellung derzeit, 30 davon sind Originale. Auf einem Tablet können | |
Besucher*innen durch eine Reihe an Fotos aus den 20er und 30er Jahren | |
swipen. Sie zeigen Menschen, deren Namen und Geschichten den | |
Historiker*innen bislang nicht bekannt sind. Die Art und Weise, wie | |
sie sich auf den Bildern begegnen und aufeinander beziehen, lässt jedoch | |
Hinweise auf queere Lebensweisen erahnen. | |
## Auch jüngere Generationen involviert | |
Entgegen dem Narrativ, dass es queeren Aktivismus in Osteuropa erst viel | |
später als im Westen gab, erzählt das Museum von der politischen | |
Organisierung der 80er Jahre, von ersten queeren Zeitschriften, der | |
Thematisierung von Aids in Polen, dem ersten lesbischen Treffen am | |
Ostseestrand von Mielno bis zur Gründung von Lambda Warszawa im Jahr 1997. | |
Daneben stehen die Bühnenschuhe von [4][Lulla La Polaca]. Sie startete ihre | |
künstlerische Karriere in den 1970ern und gilt als älteste polnische | |
Dragqueen. | |
Die Ausstellung endet mit einem Plakat der ersten polnischen Pride, die | |
2001 in Warschau stattfand, sowie dem ersten Entwurf zur Legalisierung von | |
gleichgeschlechtlichen Partnerschaften aus dem Jahr 2003. Nach drei | |
Lesungen und einer Abstimmung im Senat wurde der Entwurf dem Sejm | |
übergeben. Er scheiterte. Keine der späteren Initiativen kam im | |
Gesetzgebungsprozess so weit. | |
„Wir haben bewusst keine endgültige Schlusserzählung geschaffen, sondern | |
zeigen viele Enden, die Anknüpfungspunkte zur Fortsetzung der Erzählung | |
bieten sollen“, erzählt Joanna Ostrowska. Die Ausstellung sei so | |
konzipiert, dass sie jederzeit verändert werden könne. Die letzten Jahre | |
bis zur Gegenwart sollen gemeinsam mit der Community und unter Einbezug | |
jüngerer Generationen erzählt werden. | |
## Glücklich, stolz…und müde | |
Das Museum als offener Ort, die Ausstellung als Anfang für die weitere | |
Beschäftigung – darum geht es am Eröffnungswochenende immer wieder. Am | |
Samstagmittag sitzt Krzysztof Kliszczyński auf einem Panel des Neuen | |
Museums für Moderne Kunst, das auch kürzlich auf der Ulica Marszałkowska | |
unweit des QueerMuzeum eröffnet wurde. | |
Vertreter*innen verschiedener queerer Initiativen diskutieren über die | |
Frage, was für ein queeres Museum Warschau brauche. Unter ihnen ist auch | |
Karol Radziszewski, der vermutlich berühmteste zeitgenössische queere | |
Künstler Polens. Er hat dem QueerMuzeum eine Siebdruck-Arbeit geschenkt. | |
Die Veranstaltung findet in einem lichtdurchfluteten, offenen Auditorium | |
statt. Alle Stuhlreihen sind besetzt, viele Museumsbesucher*innen | |
verweilen und hören zu. Kliszczyński hält fest, dass es so eine öffentliche | |
Debatte zu queeren Themen an einer Institution dieser Größenordnung bislang | |
noch nicht gegeben habe, eine weitere Premiere. Er sei unendlich glücklich | |
und stolz, aber auch unglaublich müde, erzählt Kliszczyński nach dem Event | |
im Gespräch mit der taz. | |
## Noch von staatlicher Förderung abhängig | |
Jetzt, wo das Museum eröffnet ist, stehen er und der Beirat vor der großen | |
Aufgabe und Verantwortung, das Museum offenzuhalten. Fast die gesamte | |
Arbeit läuft derzeit noch ehrenamtlich. Zunächst wird das Museum deshalb | |
nur an zwei Wochentagen offen sein. Zum Jahresende läuft die Förderung der | |
Stadt Warschau aus. An die Förderung war auch eine Mietmäßigung für die | |
Räumlichkeiten gebunden. „Ab Januar brauchen wir eine neue Förderung, weil | |
wir den vollen Mietpreis nicht zahlen können“, erklärt Kliszczyński. | |
Einerseits strebe man eine langfristige Finanzierung an, gleichzeitig wolle | |
man sich nicht komplett von staatlicher Förderung abhängig machen. Die | |
letzten Jahre PiS-Regierung haben gezeigt, wie schnell Gelder gestrichen | |
und Inhalte zensiert werden, wenn sich die politischen Verhältnisse ändern. | |
Durch eine anteilige Finanzierung über Fundraising und private Spenden | |
hoffen Kliszczyński und der Beirat dem Museum eine gewisse Autonomie zu | |
bewahren. | |
Auch für Joanna Ostrowska steht nach der Eröffnung noch eine Aufgabe an. Im | |
Frühjahr soll eine Gedenkplakette für die queeren Opfer und Überlebende des | |
Zweiten Weltkriegs an der Außenseite des Museums angebracht werden, es wäre | |
die erste dieser Art in Polen. Die Stadtverwaltung hat bereits zugestimmt. | |
Jetzt gilt es noch, die Mieter*innen des Hauses zu überzeugen. | |
Anm. der Redaktion: Die Arbeit an diesem Text wurde unterstützt von | |
[5][n-ost]. | |
17 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://queermuzeum.pl/ | |
[2] /Homosexuelle-NS-Opfer/!5961199 | |
[3] /Kommentar-Schwulenverfolgung/!5507659 | |
[4] https://www.cbc.ca/arts/meet-lulla-la-polaca-poland-s-oldest-drag-queen-and… | |
[5] https://n-ost.org/ | |
## AUTOREN | |
Juri Wasenmüller | |
## TAGS | |
Schwerpunkt LGBTQIA | |
Ausstellung | |
Polen | |
Queer | |
Warschau | |
GNS | |
wochentaz | |
Schwerpunkt LGBTQIA | |
Berlin Ausstellung | |
Schwerpunkt Stadtland | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Schutz vor Gewalt gegen queere Menschen: Der Noteingang | |
In München gibt es jetzt eine Gewaltschutzunterkunft für trans*, inter und | |
nicht-binäre Personen. Nur: Es ist die einzige ihrer Art in Deutschland. | |
Kontroverse um queeres Denkmal: Ohne Capri und Roxi | |
Der Wettbewerb für ein queeres Denkmal in Hamburg ist abgeschlossen. Aber | |
nicht der erstplatzierte Entwurf soll realisiert werden, sondern der | |
zweite. | |
Ausstellung über Sexarbeit: Die Huren melden sich zu Wort | |
In der Ausstellung „With Legs wide Open“ im Schwulen Museum in Berlin | |
erzählen Sexarbeiter*innen selbst ihre Geschichte – und eigenen sie | |
sich an. | |
Ausstellung zu LGBTIQ*: Queeres Leben | |
Die Ausstellung „To Be Seen“ macht Geschichten von LGBTIQ* in der ersten | |
Hälfte des 20. Jahrhunderts sichtbar. Auch und gerade unter den Nazis. |