| # taz.de -- Ausstellung zu LGBTIQ*: Queeres Leben | |
| > Die Ausstellung „To Be Seen“ macht Geschichten von LGBTIQ* in der ersten | |
| > Hälfte des 20. Jahrhunderts sichtbar. Auch und gerade unter den Nazis. | |
| Bild: Ihrer Zeit voraus: „Tagung für Sexualreform auf sexualwissenschaftlich… | |
| Theodora Anna Sprüngli war vielleicht die weltweit erste Frau, die sich | |
| öffentlich zu ihrer Homosexualität bekannte. Das war 1904 auf der | |
| Jahresversammlung des von [1][Magnus Hirschfeld] gegründeten | |
| Wissenschaftlich-humanitären Komitees – in der ersten bislang bekannten | |
| politischen Rede, in der auf die Probleme lesbischer Frauen verwiesen | |
| wurde. | |
| Sprüngli ist eine der Personen, mit der sich die Ausstellung „To Be Seen“ | |
| im [2][NS‑Dokumentationszentrum München] befasst. Auch diese Ausstellung | |
| über queeres Leben versucht eine Lücke in der Geschichte zu schließen und | |
| Sichtbarkeit zu schaffen, die während der NS-Zeit den Tod bedeuten konnte | |
| und noch heute zu Ausgrenzung führt. | |
| Die Ausstellung beschränkt sich auf die Zeit zwischen 1900 und 1950 und | |
| erzählt vom Aufblühen der queeren Szene und ihrer jähen Unterbrechung nach | |
| der Machtübernahme. Von „Queer“ sprechen die Kurator:innen in den | |
| Beschreibungen, wenn die frühere (Selbst-)Bezeichnung nicht bekannt oder | |
| aus heutiger Sicht missverständlich ist. | |
| Um 1920 entwickelten sich in Großstädten, vor allem in Berlin, queere | |
| Strukturen in Form von Gruppen, Lokalen oder Magazinen. Aber auch im | |
| ländlichen Raum gab es vereinzelt Treffpunkte, die beispielsweise im | |
| Internationalen Reiseführer des Karl Schultz-Verlags vermerkt waren. Wie | |
| wirksam diese Strukturen auf dem Land und in Kleinstädten waren, lässt sich | |
| bislang nur schwer sagen. Auch damals allerdings zog es queere Menschen | |
| jedenfalls in die Städte, wo sie weniger soziale Ausgrenzung erfuhren. | |
| ## Nicht gleichermaßen betroffen | |
| Schon weit vor dieser Zeit – ab 1878 – wurden schwule Männer in Deutschland | |
| durch den Paragrafen 175 kriminalisiert. Österreich weitete das Gesetz auf | |
| Frauen aus. So organisierten sich viele im Versteckten und kommunizierten | |
| zum Beispiel in Kontaktanzeigen mit Codes. | |
| Eine bekannte Figur im Berliner Nachtleben war zu dieser Zeit Claire | |
| Waldoff, eine Volkssängerin. Gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin Olga von | |
| Roeder führte sie einen kulturell-politischen Salon zum Austausch unter | |
| Lesben. Nach der Machtübernahme 1933 hatte Waldoff für einige Zeit | |
| Auftrittsverbot, das nach ihrem Beitritt in die Reichskulturkammer aber | |
| wieder aufgehoben wurde. | |
| Ein Beispiel dafür, dass [3][nicht alle queeren Personen gleichermaßen | |
| betroffen waren]. Einige, so beschreibt es ein Text der Ausstellung, wurden | |
| vom Regime auch „gebraucht“, wie etwa Gustaf Gründgens. Dessen | |
| Homosexualität war kein Geheimnis, dennoch war er während des | |
| Nationalsozialismus Intendant am Schauspielhaus Berlin und machte als | |
| Schauspieler Karriere. | |
| ## Er wusste nicht, warum er verhaftet wurde | |
| Dieses „Glück“ konnte ein gewöhnlicher Bürger wie Heinz Fleischer nicht | |
| teilen. In einem Videoausschnitt erzählt er von seiner Zeit in den | |
| Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald. Acht Jahre verbrachte er | |
| insgesamt dort. Nach Dachau kam er ohne Verhandlung. Warum er damals | |
| verhaftet wurde, wusste er nicht. Nach seiner Freilassung verfolgten ihn | |
| Beamte und nahmen ihn erneut fest, als er mit einem anderen Mann im Urlaub | |
| war. Verurteilt durch den Paragraf 175 kam er nach Buchenwald. | |
| Über seine Erfahrungen sprach Heinz Fleischer erst im Alter von 92 Jahren. | |
| Einerseits, weil Homosexualität noch lange strafbar war in Deutschland, | |
| andererseits aus Scham. „Hätten Sie gerne mit jemandem darüber | |
| gesprochen?“, fragt der Interviewer im Film. „Vielleicht mit meinem Vater�… | |
| antwortet er und weint. | |
| Bei der Aufarbeitung der Verbrechen der Nationalsozialisten gegen queere | |
| Personen lag der Fokus bislang vorwiegend auf schwulen Männern. Dass beim | |
| [4][diesjährigen Holocaust-Gedenktag] am 27. Januar erstmals den queeren | |
| Opfern des Nationalsozialismus gedacht wurde, führte auch zu Diskussionen, | |
| zum Beispiel über die Betroffenheit von Lesben, die von manchen nicht oder | |
| nur zu Teilen anerkannt wird. Dabei gab es durchaus Frauen, die aufgrund | |
| ihrer Homosexualität inhaftiert wurden. Vielen Lesben und trans* Frauen | |
| wurden weitere Strafen auferlegt. | |
| Diese Diskussionen verfolgt auch Heiner Schulze vom Schwulen Museum Berlin. | |
| In seinen Augen ist die Aufarbeitung noch lange nicht abgeschlossen. „Es | |
| benötigt mehr Sichtbarkeit und eine Anerkennung ohne Opferhierarchien“, | |
| sagt er gegenüber der taz. Dabei müsse man mehr auf die Komplexität achten | |
| und weniger darauf, die Betroffenen in starre Opferkategorien wie lesbisch | |
| oder jüdisch einzuordnen. | |
| ## Anerkennen ist nicht genug | |
| „Menschen ohne Geschichte sind Staub“, sagt Schulze. Wichtig sei es nun, | |
| die Opfer zu Menschen mit Geschichte werden zu lassen. Und dabei auch die | |
| Vergangenheit durchaus differenzierter zu betrachten. Zur Aufarbeitung | |
| gehöre zum Beispiel auch, dass unter den Täter:innen ebenfalls queere | |
| Menschen waren. | |
| „Bisher wurde [5][queere Geschichte immer als Nischengeschichte] betrachtet | |
| und Erinnerungskultur von Aktivist:innen betrieben“, sagt er. Durch die | |
| Anerkennung der Politik finde diese Erinnerungskultur nun weitere | |
| Legitimation. | |
| Doch diese Anerkennung allein reicht nicht. Das nach eigenen Angaben | |
| vermutlich weltweit größte Archiv queerer Geschichte im Keller des Schwulen | |
| Museums steht voll. Stapel über Stapel mit Nachlässen, die bislang niemand | |
| gesichtet hat. „Es fehlt an finanzieller Unterstützung, um Personal | |
| bezahlen zu können, die diese Arbeit leistet“, sagt Schulze. Die meisten | |
| seien Ehrenamtliche. | |
| Wie groß das Spannungsfeld zwischen Sichtbarkeit und Ausgrenzung heute noch | |
| ist, zeigt sich immer wieder – im Großen wie im Kleinen. Als Kim Petras vor | |
| wenigen Tagen in Los Angeles gemeinsam mit Sam Smith im Duo als erster | |
| trans* Frau ein Grammy verliehen wurde, wurde sie in den Kommentarspalten | |
| der Sozialen Medien angegriffen. Gleichzeitig aber erscheinen mittlerweile | |
| auch in kleinen Lokalzeitungen wie die Illertisser Zeitung Artikel über | |
| trans* Personen im ländlichen Raum, die sie innerhalb der Gesellschaft | |
| sichtbarer machen – und gleichzeitig verdeutlichen, wie wenig sie es sind. | |
| 12 Feb 2023 | |
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| [2] https://www.nsdoku.de/ | |
| [3] /Queerfeindlichkeit-in-Deutschland/!5880996 | |
| [4] /Internationaler-Holocaustgedenktag/!5908048 | |
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| ## AUTOREN | |
| Laura Mielke | |
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