# taz.de -- Film über männliche Sexarbeit: Schwul sind immer nur die Kunden | |
> In Berlin bieten männliche Sexarbeiter ihre Dienste an. Filmemacher Biko | |
> Julian Voigts erzählt über deren Arbeit in seinem Kurzfilm „Boys Club“. | |
Bild: Ionel, der Protagonist aus dem Kurzfilm „Boys Club“ von Biko Julian V… | |
Berlin taz | „Es ist ein Geschäft, das ist alles“, sagt der gut aussehende | |
Mann und blickt selbstbewusst in die Kamera. Der junge Typ in dem gut fünf | |
Minuten langen Film [1][„Boys Club“] von Biko Julian Voigts heißt Ionel. | |
Der 19-Jährige bietet sexuelle Dienstleistungen in einer Schöneberger | |
Szenekneipe im Nollendorfkiez an. | |
Ionel braucht Geld für sich selbst und noch mehr für seine schwangere Frau | |
und seine Familie daheim in Rumänien. Deshalb prostituiert er sich in | |
Berlin. „Die Leute hier“, sagt Ionel, „haben alle zu viel Geld.“ | |
Wir sehen ihn in einer Bar mit einem älteren Herren schäkern, es werden vor | |
allem Blicke getauscht, auch erste zaghafte Berührungen – und am Ende | |
Geldscheine. Es gibt nur eine einzige Regel für seinen Job, wie Ionel auf | |
Englisch erzählt: „Immer ficken. Nie gefickt werden.“ | |
Das ist hier natürlich wörtlich gemeint, kann aber auch als Metapher | |
verstanden werden. Und so sehen wir Ionel erst bei einem Handjob im Auto | |
und später, wie er sich auf einem schummerigen Innenhof einen blasen lässt. | |
Der Film zeigt ihn aber auch jenseits seiner Arbeit, bei der Körperpflege | |
oder bei Liegestützen. Filmemacher [2][Biko Julian Voigts] thematisiert | |
aber auch die Selbstzweifel des jungen Mannes in seinem Job. | |
## „I’m not gay, you know“ | |
Ionel nennt sich selbst einen „Rentboy“ – also einen Jungen, den man miet… | |
kann, ein „Strichjunge“, wie man früher auf Deutsch gesagt hätte. Aber, u… | |
das ist wichtig für sein Selbstverständnis: „I’m not gay, you know.“ De… | |
schwul sind die anderen, seine Kunden. | |
Seine Geschichte, das macht der Film klar, steht beispielhaft für viele | |
rumänische Jugendliche und junge Männer – oft Roma –, die in Schöneberg … | |
anderswo ihre sexuellen Dienste anbieten. Es sind meist Migranten ohne | |
deutsche Papiere, wie es im Abspann zum Film heißt. Die wenigsten von ihnen | |
haben Zugang zu Hilfsangeboten – obwohl es diese gibt in Berlin. Gegen Ende | |
wird auf [3][Subway] und [4][Gangway] hingewiesen, zwei Projekte, die | |
Hilfen für Jugendliche und junge Männer wie Ionel anbieten. | |
Der 32-jährige Biko Julian Voigts studiert Werbung an der Filmakademie | |
Ludwigsburg. „Boys Club“ entstand im Rahmen seines dritten Studienjahres | |
mit einem Budget von 6.000 Euro. Voigts ist in Schöneberg aufgewachsen. | |
„Ich liebe meinen Bezirk“, sagt er, „und bin gleichzeitig sehr dankbar f�… | |
meine multikulturelle Erziehung, die sich aus Deutschland, Südafrika und | |
Namibia speist. In Schöneberg ist viel Multikulti.“ | |
Die Idee für seinen „Social Spot“ hatte Voigts bei einem Barbesuch im | |
Nollendorfkiez. „Dort gingen männliche Sexarbeiter ihrem Job nach“, erzäh… | |
Voigts. „Es war überraschend, dass ich nichts von der Szene wusste, die | |
quasi vor meiner Haustür stattfindet.“ | |
## Voigts arbeitete mit Subway zusammen | |
Recherche und Drehbuchschreiben nahmen rund fünf Monate in Anspruch. Voigts | |
führte Interviews mit Sexarbeitern, aus den Gesprächen generierte er die | |
Sätze, die Ionel im Film sagt. Außerdem arbeitete Voigts mit dem Projekt | |
Subway und einem Sozialarbeiter zusammen. „Diese Treffen ermöglichten mir | |
einen tieferen Einblick in die Welt der männlichen Sexarbeit“, sagt er. | |
„Die [5][Tabasco-Bar], die oft als Drehkulisse diente, wurde zu meinem | |
zweiten Zuhause, und die Interviews mit den Jungs vor Ort lieferten | |
wertvolle Perspektiven.“ Der gesamte Dreh erstreckte sich über fünf Tage. | |
Der Filmemacher war von den Widersprüchen im Männerbild der Sexarbeiter | |
fasziniert: „Es ist interessant, dass sich der Protagonist des Films als | |
Macho versteht, aber einen Beruf ausübt, der unter Machos geächtet ist“, | |
sagt er. Aber weil er den Job nur mache, um seine Familie zu unterstützen, | |
sei er „der Ernährer“ – was wiederum als männlich angesehen wird. „Da… | |
die Dualität des Lebens: Geld regiert. Und die Mittellosesten leiden | |
darunter am meisten.“ | |
Diese Spannung reizt den Filmemacher. „Für mich sind viele Dinge im Leben | |
sehr viel komplexer, als sie auf den ersten Blick erscheinen“, sagt Voigts. | |
Das gilt natürlich auch und vor allem im Bereich der Sexarbeit. Deshalb hat | |
er sich auf die Perspektive der Sexarbeiter fokussiert. Natürlich gebe es | |
sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel in dieser Branche. Aber er will | |
niemanden kriminalisieren. | |
## Nur ein Zwischenstopp | |
Und der Satz mit dem „sich nicht ficken lassen“ kommt aus der Perspektive | |
einer Person, die sich von der Gesellschaft verletzt und übergangen sieht. | |
So gesehen fühlt sich der ausgebeutete Migrant Ionel ohnehin schon | |
„gefickt“, um im Jargon zu bleiben. Am Ende des Films kehrt er per Anhalter | |
zurück zu seiner Frau – der Job zum Geldverdienen war nur ein Zwischenstopp | |
in ihrem gemeinsamen Leben. | |
„Boys Club“ ist damit ein wertvoller Beitrag zu einer längst fälligen | |
Debatte über männliche Sexarbeit. Der Film bewegt sich im Spannungsfeld von | |
Selbstbild, Gesellschaftsnormen und Parallelwelten. | |
Gut, dass Biko Julian Voigts aus seinem Kurzfilm eine Serie machen möchte. | |
Dafür sucht er momentan Geldgeber und eine Produktionsfirma. | |
23 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://vimeo.com/835157657 | |
[2] https://www.bikobln.com/ | |
[3] https://subway-berlin.de/ | |
[4] https://gangway.de/ | |
[5] https://tabascobar.de/ | |
## AUTOREN | |
Andreas Hergeth | |
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