# taz.de -- Kai Wegner und der CSD-Zwist: Es geht auch ohne den Regierenden | |
> Der Regierende Bürgermeister hält keine Eröffnungsrede. Kai Wegner hat | |
> den CSD-Verein enttäuscht – er hatte eine Bundesratsinitiative | |
> versprochen. | |
Bild: So voll war es im Juli 2023 auf dem Christopher Street Day in Berlin | |
Der Vorstand des Berliner CSD e.V. ist sauer. „Wir hatten ein Ultimatum | |
gestellt und auf ein deutliches Signal gehofft, dass wir in der Sache ein | |
ordentliches Stück weiterkommen“, sagte Marcel Voges auf der | |
Pressekonferenz im Vorfeld des 46. Christopher Street Day mit Nachdruck in | |
der Stimme. | |
Doch Ultimatum und langes Warten nutzten am Ende nichts. Kai Wegner (CDU) | |
hat nicht geliefert. Deshalb wird der Regierende Bürgermeister von Berlin | |
nicht – wie noch im Jahr zuvor und ohnehin üblich – am Samstag die | |
Eröffnungsrede für den CSD, den Berlin Pride, halten ([1][taz berichtete]). | |
Aber der Reihe nach und ein notwendiger Blick zurück: Vor einem Jahr hatte | |
Wegner den Berliner CSD zum Anlass genommen, um vollmundig eine | |
Bundesratsinitiative zur Reform des Grundgesetz-Artikels 3 zum Schutz | |
queerer Menschen zu versprechen. Er wollte eine entsprechende Initiative | |
dazu in der Länderkammer starten. | |
Genau das ist eine der sechs Kernforderungen – ein „Sechs-Punkte-Plan für | |
die Community“ – des Berliner CSD e.V. zum diesjährigen Pride: „Auf Worte | |
müssen nun Taten folgen“, fordert der Verein. „Auf Bundesebene blockiert | |
insbesondere die CDU das Vorhaben. Wir fordern daher eine schnelle | |
Bundesrats- und Kommunikationsinitiative des Berliner Bürgermeisters, um | |
den Druck in der eigenen Partei zu erhöhen.“ Für eine solche | |
Grundgesetzänderung braucht es eine Zweidrittelmehrheit – und dafür müssten | |
Wegners Parteikollegen von der CDU mit ins Boot geholt werden. | |
Doch daraus wird erst einmal nichts, jedenfalls nicht vor dem CSD am | |
Samstag. Auch ein Gespräch mit Wegner in der Woche vor dem Großereignis | |
(angemeldet sind 500.000 Menschen) brachte keinen Fortschritt. Fazit: Er | |
wird keine Rede halten, aber wohl am CSD teilnehmen. | |
Immerhin gibt es einen vagen Hoffnungsschimmer: Die angekündigte | |
Bundesratsinitiative befinde sich schon in einer „senatsinternen | |
Abstimmung“, wie Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) dieser Tage | |
verlauten ließ. „Das Papier könne frühestens in zwei Wochen bei der | |
nächsten Senatssitzung beschlossen werden“, so das [2][Nachrichtenportal | |
queer.de] (mit dem der Berliner CSD e.V. kooperiert). „Allerdings sei | |
unklar, ob ein Entwurf bis dahin vorliegt, dem auch die Union zustimmen | |
kann.“ | |
## Kai Wegner war vorgewarnt | |
Der CSD-Verein hatte schon im Mai dieses Jahres damit gedroht, den | |
Regierenden Bürgermeister nicht mehr als Eröffnungsredner zu akzeptieren, | |
sollte er nicht endlich sein Versprechen aus dem Vorjahr wahrmachen. Kai | |
Wegner und mit ihm der gesamte Senat waren also vorgewarnt. | |
Diese Ankündigung hatte vor zwei Monaten auch den Queerbeauftragten des | |
Senates, [3][Alfonso Pantisano] (SPD), auf den Plan gerufen, der den | |
Berliner CSD-Verein via Facebook wissen ließ: „Die Ergänzung des | |
Grundgesetzes ist eine berechtigte Forderung. Das schaffen wir durch Dialog | |
und ein konstruktives Miteinander aller demokratischen Kräfte. Der Berlin | |
CSD darf diesen Dialog nicht durch eine unüberlegte Erpressung gefährden – | |
denn das schadet am Ende der gesamten Community.“ | |
Von einer „unüberlegten Erpressung“ zu sprechen, ist dabei ein starkes | |
Stück. „Unüberlegt“ ist angesichts des Zeitraums von einem Jahr hier | |
ohnehin falsch am Platz. Und „Erpressung“ sowieso. Denn dem Berliner CSD | |
e.V. als dem veranstaltenden, organisierenden und durchführenden Verein | |
(der das nur dank vieler ehrenamtlich arbeitender Leute schafft) obliegt es | |
ganz allein, sich auszusuchen, wer die Eröffnungsrede der Pride-Parade | |
hält. | |
Das muss kein Regierender Bürgermeister sein. Das ist ein Nice-to-have, | |
kein Muss, Tradition hin oder her. Nicht wenigen queeren Menschen dürfte | |
ohnehin egal sein, ob Kai Wegner eine Rede hält oder nicht. Der hat in | |
letzter Zeit immer wieder von der Regenbogen-Hauptstadt und Stadt der | |
Vielfalt fantasiert. Reine Lippenbekenntnisse, heißt es von verschiedenen | |
Seiten. Wegner muss liefern, will er ernst genommen werden. | |
## Klaus Lederer teilt aus | |
„Einfach mal machen“, sagt dazu auch Klaus Lederer. Der queerpolitische | |
Sprecher der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus [4][bedauert], dass | |
der Senat in seiner Sitzung in dieser Woche „die letzte Gelegenheit | |
verstreichen ließ, noch vor dem Berliner CSD eine Bundesratsinitiative des | |
Landes zur Ergänzung des Artikel 3 des Grundgesetzes um den expliziten | |
Schutz queerer Menschen zu beschließen“. | |
Vor einem Jahr habe Wegner viel Lob für seine Bekundung erhalten, sich auf | |
Bundesebene für eine Grundgesetzänderung starkzumachen. Ein Jahr später | |
aber stünde fest: „Mit dieser weiteren seiner inzwischen gewohnt | |
vollmundigen Ankündigungen war der Regierende auf schnellen Beifall aus. Es | |
folgten keine ernsthaften Bemühungen Wegners, die Initiative zügig auf den | |
Weg zu bringen.“ Es genüge eben nicht, hin und wieder mit Beschwörungen der | |
„Regenbogen-Hauptstadt“ symbolisch pathetisch zu werden. | |
Und nun? Der 46. CSD Berlin/Berlin Pride wird am Samstag ab 11.30 Uhr an | |
der Leipziger Straße/Ecke Charlottenstraße eröffnet. Die Rede zum | |
Paradenstart findet traditionell auf dem Vorstandstruck mit der Nummer Eins | |
statt – und nun wird sie von einer Aktivistin kommen, das ist ein guter | |
Schachzug: Sophie Koch vom LAG Queeres Netzwerk Sachsen wird die | |
Eröffnungsansprache halten. Wer braucht da schon Kai Wegner? | |
Die Politik ist dennoch vertreten: Bundesfamilienministerin Lisa Paus | |
(Grüne) wird ein Grußwort sprechen, auch darin soll es um Artikel 3 gehen. | |
Dann ist der CSD-Vorstand mit seinen Eröffnungsreden dran. Aber mal | |
ehrlich: Warum verzichtet der Verein nicht ganz auf Politiker:innen | |
und ihre wohlfeilen Reden? An ihren Worten kann man sie kaum messen – wohl | |
aber an ihren Taten. | |
Das Motto des diesjährigen großen Berlins CSD lautet „Nur gemeinsam stark �… | |
Für Demokratie und Vielfalt“. Wie hatte doch Vorstand Marcel Voges auf der | |
Pressekonferenz des CSD-Vereins gesagt: „Es geht darum, den Zusammenhalt in | |
der Community zu stärken“, und darum, „die Demokratie zu festigen, weil wir | |
gerade einen gesellschaftlichen Rollback erleben.“ In diesem Sinne: Auf die | |
Straßen! Und Happy Pride! | |
26 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Kai-Wegner-und-der-CSD-in-Berlin/!6024711 | |
[2] https://www.queer.de/detail.php?article_id=50352 | |
[3] https://www.queer.de/detail.php?article_id=49747 | |
[4] https://www.klaus-lederer.de/presse/pressemitteilungen/detail/einfach-mal-m… | |
## AUTOREN | |
Andreas Hergeth | |
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