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# taz.de -- Bewegungstermine in Berlin: The First Pride Was A Riot
> Der Christopher Street Day wurzelt in militanter Selbstbehauptung. Auch
> in diesem Jahr gibt es ein Gegenprogramm zu Pinkwashing und Kommerz.
Bild: Der queere Befreiungskampf ist international
In den ersten Stunden des 28. Juni 1969 brechen Polizist:innen in die
queere Kneipe Stonewall Inn in der Christopher Street in New York ein. Sie
sind einerseits hinter den Mafiosi her, die die Bar betreiben, andererseits
wollen sie die Identitäten der queeren Gäste feststellen und
Crossdesser:innen verhaften. Sich nicht „geschlechtskonform“ zu
kleiden, war damals illegal, solche Razzien Teil der alltäglichen
Repression gegen die queere Community, die unter den Cops als unterwürfig
und gehorsam galt. Doch in dieser Nacht hatte die Unterdrückung queeren
Lebens ihren Siedepunkt erreicht.
In seinem Buch Stonewall: The Riots that Sparked the Gay Revolution hat der
Autor David Cater die Ereignisse detailliert aufgearbeitet. Cater
beschreibt, wie irgendetwas in dieser Nacht anders ist: Einige trans
Personen wehren sich, als Polizistinnen sie inspizieren wollen, um in
dieser entwürdigenden Form auszumachen, wessen Kleidung zu den
Geschlechtsmerkmalen passt. Andere Gäste kooperieren nicht wie üblich,
weigern sich, ihre Identitäten herauszugeben. Draußen bildet sich eine
Menschenmenge.
„We all had a collective feeling like we’d had enough of this kind of
shit“, zitiert Cater einen Augenzeugen. Irgendwie – wahrscheinlich, als die
Polizei beim Abführen einiger Gäste Gewalt anwendet – entfacht der Funken.
Erst fliegen Münzen, dann Flaschen gegen die Polizei, die sich schließlich
in der Kneipe verbarrikadieren muss. Der Aufstand entfacht sich spontan,
ohne jede Organisation. Als die Rioteinheiten eintreffen, schallt den
Phalanx-Formationen entgegen: „We are the Stonewall girls / We wear our
hair in curls / We don’t wear underwear / We show our pubic hair.“
Nächtelang setzen sich die Ausschreitungen fort.
Die Stonewall Riots sind ein Testament dafür, wie Krawalle – oft als Akte
sinnloser Gewalt geschmäht – befreiend wirken können. Bis dahin hatte die
Bewegung vor allem versucht, die Gesellschaft von der eigenen Harmlosigkeit
zu überzeugen. Doch nach Stonewall wandelte sich die Strategie in militante
Selbstbehauptung und Stolz über die eigene Identität – Queer Pride war
geboren. Der Dichter Allen Ginsberg bemerkte bereits nach einem Besuch am
Ort des Geschehens: „You know, the guys there were so beautiful – they’ve
lost that wounded look that fags all had 10 years ago.“
## The First Pride Was A Riot
Im Jahr 1970 – ein Jahr nach den Stonewall Riots – fand der erste
Christopher Street Liberation Day statt, der Beginn der jährlichen
Gay-Pride-Paraden, die inzwischen weltweit gefeiert werden. Auch in Berlin
ist es am Wochenende wieder so weit. Der 46. Berliner Christopher Street
Day startet am Samstag, 27. Juli, um 11.30 Uhr an der Leipziger Straße. Von
dort aus geht es über den Potsdamer Platz und Nollendorfplatz zur
Siegessäule. Das Motto in diesem Jahr lautet: [1][„Nur gemeinsam stark! –
für Demokratie und Vielfalt!“].
Der Berliner CSD hat allerdings nur noch wenig mit der aufrührerischen
Geschichte der Parade zu tun. Die Parade ist eine riesige und wichtige
Zelebrierung queerer Lebensweisen, gleichzeitig pinkwashen sich Politik und
Großkapital hier jedes Jahr aufs Neue in der Bewegung. Abstrus wird das,
wenn zum Beispiel auch die publizistische Frontorganisation gegen
Gendergaga und Wokewahnsinn, die Axel Springer SE, mit eigenem Wagen dabei
sein darf. Weitere Beispiele ließen sich anführen.
Einen Lichtblick gibt es aber doch: Wenigstens die Eröffnungsrede von
CDU-Wegner bleibt dem Partypublikum dieses Jahr erspart. Wegner darf als
Regierender Bürgermeister den CSD nicht wie üblich eröffnen, weil er sein
großkotziges Versprechen vom vergangenen Jahr, [2][sich für eine
Erweiterung des Grundgesetzes um den Schutz von queeren Menschen
einzusetzen], natürlich nicht gehalten hat. Dass die Orga diese
Vereinnahmung nicht auf sich sitzen lässt, ist zu begrüßen.
Mehr Politik und weniger Kommerz gibt es beim jährlichen [3][Dyke*-March
für lesbische Sichtbarkeit] in und außerhalb der LGBTIQ*-Community. Bereits
zum elften Mal ziehen Tausende Dykes und Allies am Vorabend des CSD durch
die Stadt. Auch in diesem Jahr wird es dabei einen
[4][Dykes-on-Bikes-Motorradblock] geben, der Protestzug ist aber
fußgänger:innengeeignet. Los geht es am Freitag, 26. Juli, um 18 Uhr am
Karl-Marx-Platz in Neukölln, von wo aus die Demo zum Oranienplatz in
Kreuzberg zieht. Anschließend gibt es eine [5][Party im Ritter Butzke]
(Ritterstraße 24-27).
## Der Kampf um Befreiung ist international
Während sich der Dyke*-March als Ergänzung zum CSD sieht, will die
Internationalist Queer Pride eine explizite Alternative anbieten. Unter dem
Motto [6][„None of us are free until all of us are free“] wird die
Verbindung des queeren Befreiungskampfes mit allen weltweiten Kämpfen gegen
kapitalistische, koloniale und imperialistische Unterdrückung
hervorgehoben. Los geht die palästinasolidarische Veranstaltung am Samstag
(27. 7.) um 15 Uhr am Hermannplatz. Es gibt auch einen [7][anarchistischen
Block] der Perspektive Selbstverwaltung (Treffpunkt Sparkasse).
Wer sich im Vorfeld inhaltlich mit einem ansonsten eher unterbeleuchteten
Aspekt queerer Sichtbarkeit befassen will, kann sich am Donnerstag im
Kiezhaus Agnes Reinhold mit [8][feministischen Perspektiven auf die
Landwirtschaft] auseinandersetzen. Die Veranstaltung ist Teil einer von
[9][den Interbrigadas] organisierten Delegationsreise von Betriebsrätinnen,
Arbeiterinnen und Aktivist*innen aus der andalusischen Landwirtschaft
(25. 7., 18 Uhr, Kiezhaus Agnes Reinhold, Afrikanische Straße 74).
Miteinander diskutieren werden etwa die [10][Jornaleras de Huelva en Lucha]
(eine selbstorganisierte Gruppe von Landarbeiterinnen), [11][das Kollektiv
Common Ecologies] und das [12][Emanzipatorische Landwirtschaftsnetzwerk]
für FLINTA-Personen ELAN. Vorgestellt wird unter anderem [13][das Zine
Queere Landlust] über queere Perspektiven auf das Landleben in Deutschland
und das Buch [14][„Ökofeminismus – Zwischen Theorie und Praxis“] von Lina
Hansen und Nadine Gerner.
Wer sich lieber anderweitig für das heiße Pride-Wochenende aufwärmen will,
darf am Donnerstag in die Oya Bar zur [15][Flirt Night Pride Edition]
erscheinen. Die Bar will ein Rückzugsort sein, an dem sich die Community in
schwierigen Zeiten austauschen, trösten und bestärken kann. In diesem Sinne
kann flirten auch politisch sein: Denn was gibt es heißeres, als gemeinsam
Pläne für den Widerstand zu schmieden? (Oya, Mariannenstr. 6, 25. 7., 19
Uhr)
23 Jul 2024
## LINKS
[1] https://csd-berlin.de/
[2] /Kai-Wegner-und-der-CSD-in-Berlin/!6024711
[3] https://asanb.noblogs.org/?event=dyke-march-berlin-2024
[4] https://csd-berlin.de/programm/ride-with-pride
[5] https://club.ritterbutzke.com/event/260724-QueerGarten-DykeMarchAfterShowPa…
[6] https://stressfaktor.squat.net/node/306443
[7] https://stressfaktor.squat.net/node/306675
[8] https://asanb.noblogs.org/?event=feminismus-und-landwirtschaft
[9] https://www.interbrigadas.org/
[10] https://www.instagram.com/jornaleras_de_huelva_en_lucha/?hl=de
[11] http://commonecologies.net/
[12] https://elannetzwerk.wordpress.com/
[13] https://elannetzwerk.wordpress.com/queere-landlust-zine/
[14] https://unrast-verlag.de/produkt/oekofeminismus-zwischen-theorie-und-praxi…
[15] https://asanb.noblogs.org/?event=flirt-night-%f0%9f%aa%85%f0%9f%8f%b3%ef%b…
## AUTOREN
Timm Kühn
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