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# taz.de -- Sexy Scherenschnitte: Lustvolle Überblendung der Blicke
> Die Frankfurter Künstlerin Sonja Yakovleva macht Scherenschnitte der
> besonderen Art. Jetzt liegen die Bilder auch in Buchform vor.
Bild: Ausgesprochen explizit geht es auf Sonja Yakovlevas Scherenschnitten zu: …
Im Sommer 2009 schaltete Bobbi Davis, Besitzerin der „Shady Lady Ranch“ in
Nevada, im lokalen Newsblättchen eine eher rare Stellenanzeige: Gesucht
waren ein bis zwei Männer, „gut in Form, Mitte 30 bis 50“, zur Arbeit in
ihrem Bordell für Frauen. Das Geschäftsmodell hatte auch im vergleichsweise
liberalen Nevada seine Schwierigkeiten, die Shady Lady Ranch schloss wenige
Jahre später.
Ob es an mangelnder Nachfrage lag, an ungeeigneten Bewerbern oder auch an
den erschwerenden Gesetzen des Bundesstaates, der mit seinen Regularien für
Prostitution wie der Anordnung regelmäßiger Gebärmuttelhalsuntersuchungen
(„es ist ziemlich schwierig, das mit einem Mann zu tun,“ wie Davis trocken
anmerkte) [1][käuflichen Sex] ganz ausschließlich einem Geschlecht zuwies,
ist nicht überliefert.
Fest steht, es bleiben solch geradezu anekdotisch vereinzelte Beispiele, in
denen die Verhältnisse, wer kauft und wer käuflich ist, derart auf den Kopf
gestellt werden. Inwieweit dies mit einem generellerem Schauen und
Beurteilen vs. Angeschaut- und Beurteiltwerden korreliert, das lässt sich
eindrücklich bei Sonja Yakovleva nachvollziehen.
Auf den Scherenschnitten der Frankfurter Künstlerin, die ihre Arbeiten
gerade im Buch „Soaplands“ veröffentlicht hat, geht es ausgesprochen
explizit zu: pornoästhetikgeschulte Blicke auf Männer- und Frauenkörper,
beim Einräumen der Waschmaschine oder dem selbstgewissen Blick in den
Spiegel; in akrobatischer Selbstbefriedigung, zu zweit, Gangbang, entblößt,
gestählt, trainierend, posierend; ein Überschuss an Sexyness an der
hauchdünnen Grenze zur Lächerlichkeit (oder zum großen Spaß).
Zur Groteske verdichtet
Das Betrachten der Bilder, die man in dieser Dichte und Wiederholung erst
mal aushalten muss, führt rasch zur künstlerischen Strategie: Ist das hier
überhaupt eine motivische Übertreibung – oder reproduziert Yakovleva bloß,
vervielfacht und verdichtet zur Groteske, was eh überall schon vorhanden
ist?
Im Scherenschnitt entwickeln ihre real teils wandgroßen Panoramen eine
Prägnanz, der man sich nicht entziehen kann. Und doch sind die keineswegs
nur hart und unbarmherzig, treten Menschen und Szenarien in Yakovlevas
wellenförmig dahinrauschenden Cuts lustvoll (das eh), manchmal geradewegs
sanft in den Blick. Der female gaze auf einen expliziten „male gaze“ führt
zu schönen Verstrickungen, die sich nicht auflösen werden. Yakovleva ist
nämlich nicht allein kritische Beobachterin, sondern selbst Voyeurin.
Eine gute Entscheidung daher, ihren Bildern neben klugen Textbeiträgen von
so unterschiedlichen Autor:innen wie [2][Oliver Koerner von Gustorf]
oder Sabrina Günther auch die eigenen Kommentierungen zur Seite zu stellen,
die Yakovleva auch auf ihrem Instagram-Kanal in einem Art fortlaufenden
stream of commentary veröffentlicht. All die ambivalenten Gefühle
beispielsweise zum Thema männliche Prostitution oder Freudenhäuser für die
Frau werden hier erbarmungslos subjektiv durchdekliniert.
Neben dem Sujet ist es natürlich auch das Medium selbst, das eine Art von
Selbstermächtigung mit sich bringt – und wenn es nur darum geht, den
Maler-Egos in der Kunstakademie seinerzeit ziemlich auf die Nerven gefallen
zu sein mit dem kunsthandwerklich vermeintlich rangniedrigeren,
wahnsinnig penetranten, wahnsinnig verführerischen Scherenschnitt.
21 Apr 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Katharina J. Cichosch
## TAGS
Kunst
Buch
Porno
Voyeurismus
Nacktheit
Sexarbeit
Schwerpunkt LGBTQIA
Oberhausen
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