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# taz.de -- Bildhauerin Hannah Hallermann: Hirnströme und Scheuklappen
> Die Künstlerin Hannah Hallermann hinterfragt in ihrer Einzelausstellung
> unseren Umgang mit Information. Eröffnet wird sie parallel zum Gallery
> Weekend.
Bild: Blick in die Ausstellung „Information“ von Hannah Hallermann in der H…
Auf dem Weg zum Werkhof nahe dem Kreuzberger Paul-Lincke-Ufer schneit es.
Es ist noch einmal sehr kalt geworden an einem dieser letzten Apriltage.
Vorbei an einer Metallwerkstatt und Tischlerei liegt das Atelier der
Bildhauerin Hannah Hallermann.
Hinter einem Schreibtisch mit Skizzen und Vorstudien zu den Skulpturen
ihrer parallel zum offiziellen Programm des Gallery Weekend Berlin
eröffnenden Einzelausstellung „Information“ [1][in der HOTO Gallery] blickt
man durch große Fenster auf Bambusbüsche. Dahinter steht ein
Schiffscontainer, in dem die Künstlerin ihre Arbeiten lagert. Es sind
großformatige Objekte aus Stahl, Eisen und schweren Schläuchen, die schon
durch ihr Gewicht eine dichte Spannung erzeugen.
Aber auch textbasierte Arbeiten gibt es, mit Sätzen, die Paradigmen
hinterfragen, festgefügte gesellschaftliche Strukturen und Denkweisen.
Darunter „Freedom of Equality / Equality of Freedom“ oder „Are you
satisfied with your descision?“ Auch Sprache kann für Hallermann einen Raum
definieren. Wie die Gedichte und Texte von Rainer Maria Rilke und
[2][Mascha Kaléko]: „Das ist wie Bildhauerei. Du machst so einen Raum auf
mit Bildern und eröffnest, zwischen den Zeilen, Zugang zu einer anderen
Welt.“
Ein Jahr lang hat sie für ihre Ausstellung recherchiert, in der sie sich
mit der Informationsflut auseinandersetzt, die über Nachrichten und
Social-Media-Kanäle täglich sortiert und eingeordnet werden muss. Da geht
es um Informationen, die Selbstvergewisserung, aber auch Ängste erzeugen
und die eigene Informationsautonomie infrage stellen. Etwa mittels
Algorithmen, die eigene Sucheingaben auslösen und die sich dann auf allen
Kanälen permanent wiederholen.
Scheuklappen als Metapher
Als Metapher nutzt sie stilisierte, bewegliche Scheuklappen, zu unserer,
wie sie sagt, „ständigen Anpassung des Bewusstseinsfeldes“. Diese können
ein Schutzraum sein, um zur Ruhe zu kommen und eigene Gedanken zu
entwickeln, aber auch die Gefahr bergen, in der eigenen, abgekapselten
Filterblase zu verharren und diese als real zu verorten. Teilweise sind die
Scheuklappen aus Stahl geschweißt oder aus Harz gegossen, so dass
Informationen undeutlich durchschimmern.
Die größte Arbeit sind zwei wie weiche Kissen aufgerichtete Klappen aus
Metall. Diese, so Hallermann, habe sie nach dem Zusammenschweißen an einem
Gabelstapler auf dem Hof aufgehängt und mit Hunderten von Litern Wasser
aufgepumpt, um diese Form zu erhalten. Kleinere, weicher anmutende Klappen
wurden mit Luft aufgeblasen. „Luft“, so Hallermann, „geht sehr viel
schneller, aber kann explodieren. Das war für die großen Arbeiten zu
gefährlich.“
Eine weitere Serie mit dem Titel „Medusa“ zeigt eingeschweißte Elektroden
aus dem EEG-Labor des Max-Planck-Instituts: Ein Geflecht aus Sonden und
Drähten, die genutzt werden, um Hirnströme aufzuzeichnen und in Daten
umzuwandeln. Das dient zur Früherkennung von Schlaganfällen oder auch zur
Beobachtung von Depressionen und Schlafverhalten.
Verarbeitung intimer Daten
Der Prozess des Einschweißens hält symbolisch den Prozess der
Datenverarbeitung auf und stellt die Frage, was mit diesen intimen
Informationen geschieht. So wurde in den USA 2019 aufgedeckt, dass die
Perioden-App „Flo“ die Daten ihrer Nutzerinnen an Facebook weitergegeben
hatte. Zur Strafverfolgung von Schwangerschaftsabbrüchen, wie etwa in
Texas, wurden diese Daten verwendet.
Die 1982 in Nürnberg geborene Hallermann studierte Bildende Kunst,
Philosophie und Kunstgeschichte an der Kunstakademie Villa Arson in Nizza
sowie Videokunst und Postproduktion an der Kunsthochschule für Medien Köln.
2010 machte sie ihr Meisterschüler-Diplom an der Hochschule für Bildende
Künste Dresden. Nach anfänglich raumgreifenden Arbeiten setzte sie sich
zunehmend mit verschiedenen Materialien auseinander.
Diese hätten für sie, so Hallermann, immer auch ein erzählerisches Element
und eine Zuschreibung, die man infrage stellen könne. Wie etwa die [3][dem
Material Stahl] zugeschriebene Härte und Kälte, aber auch Stabilität. „Es
hat mich“, so Hallermann, „bildhauerisch interessiert, dem auch etwas
Weiches mit einzuschreiben.“
Geprägt haben sie die Arbeiten von Rebecca Horn – und von Bruce Nauman:
„Ich finde es faszinierend, wie Nauman unserer dunklen Seite den Spiegel
vorhält, wie grausam wir als Menschen sein können.“ Wie bei ihm geht es in
Hallermanns Kunst immer auch um Macht und wie sie in gesellschaftlichen
Prozessen wirkt.
25 Apr 2024
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## AUTOREN
Maxi Broecking
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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