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# taz.de -- Arabische Filmtage in Berlin: Feminismus in Wellen
> Frauen in Nordafrika verschaffen sich Gehör. Im Kampf für mehr
> Gleichberechtigung zeigt sich die arabische Filmszene kreativ und
> unerschrocken.
Bild: Am Internationalen Frauentag protestieren Demonstrantinnen in Tunis für …
Berlin taz | Das Bild, das westliche Medien von Frauen in der arabischen
Welt zeichnen, ist oft kümmerlich. Die Berichterstattung wird von den
negativen Nachrichten aus den Krisengebieten dominiert und zeigt dabei nur
einen kleinen, aber wirkungsmächtigen Ausschnitt der Lebenswirklichkeit von
Frauen. Im Allgemeinen wird ihnen kein großer Spielraum zugeschrieben, eher
herrscht das Bild der unemanzipierten und unterdrückten Frau vor.
Dass sich Frauen jedoch politisch und sozial engagieren und für ihre Rechte
kämpfen, ist seit letztem Donnerstag [1][auf den Arabischen Filmtage zu
sehen.] Ausgerichtet werden sie von der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin.
„Wie sehen die Lebenswirklichkeiten der Frauen in Nordafrika aus? Welche
Fort- und auch Rückschritte machen sich bemerkbar?“, wollte Antonie Nord zu
Beginn einer Podiumsdisskussion der Heinrich-Böll-Stiftung wissen. Die
Leiterin des Nahostreferats hatte zu diesem Zweck Filmemacherinnen und
Experten aus der Region eingeladen. Auf dem Podium saßen Wafa Ben Haj
Otmar, eine Literaturwissenschaftlerin, die für NGOs in Tunesien arbeitet,
Viola Shafik, Filmemacherin und Filmwissenschaftlerin an der Universität
München sowie Cynthia Cjoucair, Regisseurin und Produzentin aus dem
Libanon.
Das selbstbewusste Auftreten der Aktivistinnen verstärkt schon zu Anfang
schnell das eindrückliche Bild, dass die Aktivistinnen von ihrem Kampf für
mehr Gleichberechtigung zeichnen. Zwar ist die rechtliche Gleichstellung
der Frau in Tunesien, Ägypten und dem Libanon fest in der Verfassung
verankert – problematisch ist jedoch die faktische Gleichstellung.
Nach wie vor haben Frauen, etwa bei Scheidungen und
Sorgerechtsverhandlungen, weniger Rechte als Männer. Nach wie vor kommt
ihnen in den konservativ geprägten Gesellschaften die Aufgabe der Hausfrau
zu, die für die Kindererziehung verantwortlich ist. Und nach wie vor werden
Frauen sexistisch angegriffen. Das schildert die Regisseurin und Aktivistin
Cynthia Cjoucair. 2015 kam es im Libanon zu Protesten gegen die staatliche
Korruption. Einflussreiche Politiker und Medien versuchten den Einfluss der
Frauen zu untergraben und belächelten die Demonstrantinnen als „girls with
short tights“ („Mädchen mit kurzen Hosen“).
Doch Feminismus ist in der arabischen Welt kein neues Phänomen. Schon die
ägyptischen Filme der zwanziger und dreißiger Jahre befeuerten die Debatte
über Zwangsehen. In den achtziger Jahren wurde die Frau als autonomes
Subjekt gefeiert. Viola Shafik spricht von einem Feminismus, der in
„Wellenbewegungen“ verläuft.
## Arabellion und Feminismus
Seit diesem Jahrtausend prägen vor allem der stärker werdende islamische
Fundamentalismus und die Folgen der Arabellion die Frauenbewegung. In
Tunesien, das als eines der demokratischsten und tolerantesten Länder in
Nordafrika gilt, gewinnen die Islamischen Kräfte seit dem Arabischen
Frühling an Einfluss. Sie wollen die traditionellen Rollenbilder wieder
verfestigen und begründen sie mit Passagen aus dem Koran.
Reflexartig den Islam für die Schwierigkeiten im Kampf für mehr
Gleichberechtigung verantwortlich zu machen, sei jedoch der falsche Weg,
mahnt Viola Shafik. Vielmehr spielten soziale und wirtschaftliche Faktoren
eine entscheidende Rolle. So führe die steigende soziale und ökonomische
Ungerechtigkeit zu Verunsicherung und Abstoßungseffekten in der
Bevölkerung.
„Manche Männer glauben doch tatsächlich, dass Frauen eine zu große
Konkurrenz auf dem angespannten Arbeitsmarkt darstellten“, kritisiert Wafa
Ben Haj Otmar. Die Globalisierung verstärke dieses Gefühl noch zusätzlich.
Immer mehr Menschen hätten das Gefühl, abgehängt worden zu sein. So suchten
vor allem junge Menschen Halt und wirtschaftliche Stabilität bei radikalen
islamischen Gruppierungen.
Zusätzlich macht sich der starke ideologische Einfluss der Golftstaaten
bemerkbar. Länder wie Saudi-Arabien investieren seit mehr als 20 Jahren in
Bildungsinstitutionen und üben Druck auf die großen Satellitensender aus.
So verbreiteten sie den Wahabismus, eine radikale Auslegung des Islams auch
in Nordafrika.
## Gesellschaftskritik im arabischen Film
Frauen überlassen diesen konservativen und fundamentalistischen Kräften
jedoch keineswegs kampflos das Feld. „Die ‚arabische Welt‘ ist berühmt
dafür, sehr kreativ zu sein, wenn es darum geht, seinen Willen
durchzusetzen“, bekräftigt Viola Shafik.
Auch die Digitalisierung habe vieles erleichtert. Frauen organisierten
Proteste über Online-Netzwerke und filmten Dokumentarfilme, nurausgestattet
mit ihrem Smartphone. Sie machen mittlerweile einen großen Anteil an
sozialen Protesten aus – und werden dabei auch von Männern unterstützt.
Die Aktivistinnen sind optimistisch, gerade mit Blick auf die arabische
Filmwelt. Mutige Regisseurinnen stoßen gesellschaftskritische Themen an,
die sonst in der Öffentlichkeit kaum Platz fänden. Dabei zeigen sie sich
unerschrocken und brechen regelmäßig Tabus. Die staatliche Zensur wird
dabei geschickt umgangen. „Glauben Sie mir, im Libanon sind die Menschen
schon gelangweilt von der ständigen Thematisierung von Homosexualität im
Film“, sagt Viola Shafik und schmunzelt.
Auch in Tunesien, wo Homosexualität nach wie vor ein Tabu ist,
thematisierte die Regisseurin Nadia El Fani in ihrem Film Bedwin Hacker
eine bisexuelle Hackerin. Moderne Theorien der Genderforschung treffen auf
Queer-Theeorien – ganz wie im europäischen Feminismus.
20 Nov 2016
## LINKS
[1] https://www.boell.de/de/arabische-filmtage-yallah-brave-women-arab-world
## AUTOREN
Diana Pieper
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