# taz.de -- Verfassungsschutzchefin zum Populismus: „Nicht auf dem rechten Au… | |
> Beate Bube und ihre Behörde in Baden-Württemberg haben die Entwicklung | |
> der AfD genau im Blick. Ein Beobachtungsobjekt sei sie aber nicht. | |
Bild: Beate Bube bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts im Juni 2016 | |
taz: Frau Bube, der Rechtspopulismus ist auch in Deutschland auf dem | |
Vormarsch. Sind rechte Populisten eine Gefahr für unsere | |
Verfassungsordnung? | |
Beate Bube: Was verstehen Sie unter Populismus? Wir verstehen darunter eher | |
eine Methode als einen Inhalt. Populismus, das ist eine plumpe | |
Gegenüberstellung „wir hier unten“ gegen „die da oben“, oder es werden | |
vermeintlich einfache Lösungen für tatsächlich doch eher komplexe Probleme | |
angeboten. So etwas machen gelegentlich auch demokratische Parteien. | |
Viele glauben, die Verfassungsschützer seien ratlos im Umgang mit AfD, | |
Pegida und Hassbürgern. Ende November zog das Bundesamt eine lange | |
erwartete Handreichung im letzten Moment wieder zurück. Waren Sie | |
enttäuscht? | |
Nein, im Gegenteil. Die Diskussion, wo der Extremismus beginnt und damit | |
der Verfassungsschutz zuständig ist, ist sehr wichtig und ist sensibel zu | |
führen. Wir sollten sie nicht vorschnell mit starren Konzepten beenden. Im | |
Übrigen ist der Verfassungsschutz nicht ratlos. | |
Wann also beginnt der Verfassungsschutz, eine Partei oder eine Bewegung zu | |
beobachten? Gibt es da feste Regeln, oder sagt Ihnen der Innenminister, was | |
er gerade für gefährlich hält? | |
Natürlich arbeiten wir nach festen Maßstäben, die bundesweit im | |
Verfassungsschutzverbund abgestimmt wurden – und nicht auf Zuruf der | |
Politik. | |
Der Stuttgarter CDU-Innenminister Thomas Strobl hat Sie im Juli zur Prüfung | |
aufgefordert, ob die AfD überwacht werden kann, sein SPD-Vorgänger Reinhard | |
Gall hat dies im Februar ebenso getan. | |
Ein Auftrag zur Prüfung ist keine Weisung zur Beobachtung. Auch die Politik | |
erkennt an, dass wir nach klaren Regeln arbeiten. | |
Wo kann ich diese Regeln nachlesen? | |
Im Verfassungsschutzgesetz des Landes. Im Kern sind wir dafür zuständig, | |
Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung frühzeitig | |
zu erkennen und Informationen darüber zu sammeln. Das gilt entsprechend in | |
allen Bundesländern und auch im Bund. | |
„Freiheitliche demokratische Grundordnung“ – den Begriff hat fast jeder | |
schon mal gehört. Aber was ist das genau? | |
Der Begriff stammt aus dem Grundgesetz und wurde 1952 vom | |
Bundesverfassungsgericht näher definiert. Dazu gehören die im Grundgesetz | |
konkretisierten Menschenrechte, das Wahlrecht des Volkes, die | |
Verantwortlichkeit der Regierung, das Recht auf Bildung einer | |
parlamentarischen Opposition, die Unabhängigkeit der Gerichte … | |
Sie beobachten also nur Bestrebungen, die das große Ganze kippen wollen – | |
oder zumindest einzelne dieser Megaprinzipien angreifen. Was ist aber mit | |
Leuten, die Schwule hassen, die die Emanzipation von Frauen zurückdrängen | |
wollen und die Flüchtlinge für Deutschlands Unglück halten – haben die vom | |
Verfassungsschutz demzufolge nichts zu befürchten? | |
Was einzelne Menschen individuell denken – ihre Einstellungen etwa zu | |
Homosexuellen oder Flüchtlingen – geht uns zunächst nichts an. Für den | |
Verfassungsschutz sind politisch bestimmte Handlungen in einer oder für | |
eine verfassungsfeindliche Gruppierung relevant, die sogenannten | |
Bestrebungen. Dabei können aber auch die von Ihnen beschriebenen Haltungen | |
eine Rolle spielen – wenn sie darauf abzielen, bestimmten Gruppen das Recht | |
auf gleichberechtigte Teilhabe an dieser Gesellschaft zu verwehren. | |
Wenn eine Partei also zum Beispiel die Grundrechte von Homosexuellen | |
infrage stellt, wäre sie ein Fall für den Verfassungsschutz? | |
Das wäre ein Baustein in der Gesamtbewertung, bei der wir die gesamte | |
Programmatik, die Reden und die Kontakte zu anderen extremistischen | |
Organisationen auswerten. | |
Sind auch „völkische“ Bestrebungen ein Fall für den Verfassungsschutz, we… | |
sie unsere individualistische Lebensart ablehnen? | |
Wenn der Begriff „völkisch“ in ausgrenzender Weise meint, dass das ethnisch | |
definierte Volk über dem Individuum steht, dann ist das sehr problematisch. | |
In der AfD mehren sich die Stimmen, die den Begriff des „Völkischen“ | |
enttabuisieren wollen. Nähert sich die AfD damit der | |
Verfassungsfeindlichkeit? | |
Wir haben diese Entwicklung sehr genau im Blick. | |
„Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ heißt es im Grundsatzprogramm der | |
AfD. Die wachsende Zahl der Muslime sei eine „große Gefahr für unseren | |
Staat“. Ist das nicht Ausgrenzung pur? | |
Wer auf Gefahren eines politisch instrumentalisierten Islams hinweist, | |
bewegt sich im Rahmen einer zulässigen gesellschaftlichen Diskussion. Wenn | |
jedoch Muslimen in Deutschland generell die Religionsfreiheit abgesprochen | |
wird, dann ist das verfassungsfeindlich. Allerdings finden sich im | |
AfD-Programm auch relativierende Sätze. Auch das muss in eine | |
Gesamtbewertung einbezogen werden. | |
Sie sagen, Sie hätten die AfD „im Blick“. Heißt das, der Verfassungsschutz | |
„beobachtet“ die AfD? | |
Nein, das ist nicht dasselbe. Wenn der Verfassungsschutz eine Organisation | |
zum Beobachtungsobjekt erklärt, dann folgt daraus eine systematische | |
nachrichtendienstliche Beobachtung, die wiederum gerichtlich überprüfbar | |
ist. Wir müssen daher zunächst fundiert prüfen, ob die vom Gesetz | |
geforderten „tatsächlichen Anhaltspunkte“ vorliegen und bewiesen werden | |
können. | |
In Politik und Zivilgesellschaft halten viele die AfD schon seit Langem für | |
eine rechtsextremistische Partei, spätestens seit sich im Juli 2015 der | |
Gründer Bernd Lucke mit seinem Flügel abgespalten hat. Doch das | |
„Frühwarnsystem“ Verfassungsschutz prüft immer noch, wägt ab und zaudert… | |
Die Zivilgesellschaft kann leichter Urteile abgeben und sich dabei auf die | |
Meinungsfreiheit berufen. Der Verfassungsschutz ist dagegen eine staatliche | |
Behörde, deren Handeln nur auf eindeutiger rechtlicher Grundlage zulässig | |
ist. „Frühwarnsystem“ heißt ja nicht, dass wir uns schneller festlegen als | |
alle anderen. Gemeint ist damit auch, dass sich der Verfassungsschutz auch | |
um Verhaltensweisen im Vorfeld strafbaren Handeln kümmern darf und muss. | |
Ist der Verfassungsschutz also quasi die letzte Instanz, die eine | |
gesellschaftliche Diskussion nach vielen, vielen Jahren auswertet und | |
zusammenfasst? | |
Nein, aber diese Gründlichkeit gebietet uns die Bindung an Recht und | |
Gesetz. Wenn eine Organisation zum „Beobachtungsobjekt“ des | |
Verfassungsschutzes erklärt wird, ist damit ja auch eine explizite | |
staatliche Warnung verbunden, dass diese Gruppierung nicht mehr zum | |
demokratischen Spektrum gehört. Das kann schwerwiegende Folgen haben. | |
Manche sprechen sogar von einer staatlichen „Verrufserklärung“. | |
Tun Sie sich bei der AfD auch deshalb schwer, weil diese mit einem | |
Wahlergebnis von 15 Prozent als drittstärkste Fraktion im Landtag sitzt? | |
Nein. Die Republikaner haben wir ab 1992 auch beobachtet, obwohl sie | |
parallel mit 10,9 Prozent der Stimmen in den Landtag einzogen. Sie sehen: | |
Wir sind auf dem rechten Auge nicht blind. | |
Haben Sie weitere Beispiele dafür? | |
Nehmen Sie die Identitäre Bewegung, die gegen den Verlust der europäischen | |
und nationalen Identität durch angebliche Überfremdung kämpft. Unser | |
Landesamt war eines der Ersten, das nach entsprechender Prüfung diese | |
islamfeindliche Bestrebung als extremistisch einstufte. | |
Was ist mit den Reichsbürgern? Zu denen findet sich in Ihrem letzten | |
Verfassungsschutzbericht von 2015 kein Wort. | |
Die sehr heterogene Reichsbürgerszene stand auch bisher schon – in ihren | |
klar extremistischen Teilen – unter Beobachtung, etwa die „Exilregierung | |
des Deutschen Reichs“ und die „Reichsbewegung – neue Gemeinschaft der | |
Philosophen“. Aber beide Gruppen waren bislang zu unbedeutend, so dass eine | |
Erwähnung im Verfassungsschutzbericht nicht gerechtfertigt war. | |
Sie haben also nichts verpasst? | |
Die Gewalteskalation in diesen Kreisen hat sich 2016 zugespitzt. Das war so | |
nicht abzusehen und davor nicht gleichermaßen prägend für diese Szene. | |
Und was ist mit Pegida und ihren baden-württembergischen Ablegern? In Ihrem | |
Bericht ist zu diesem Thema von einem Phänomen aus der „Mitte der | |
Gesellschaft“ die Rede, das auch für Rechtsextremisten interessant sei. | |
„Mitte der Gesellschaft“ soll heißen, dass Pegida nicht von vornherein und | |
ohne Weiteres als extremistisches Phänomen angesehen werden kann. | |
Die Islamfeindlichkeit bei Pegida ist nicht extremistisch? | |
Diese Bewegung ist bundesweit sehr heterogen und regional unterschiedlich | |
zu bewerten. Teilweise gibt es eine klar rechtsextremistische Einflussnahme | |
oder Steuerung und zum Teil haben wir es mit offener Islamfeindschaft im | |
Sinne einer verfassungsschutzrelevanten Aberkennung von Grundrechten zu | |
tun. Das Thema Islam hat bisweilen bei Pegida aber auch nur eine Nebenrolle | |
gespielt. Vielfach ging es eher um den Ausdruck einer allumfassenden | |
Unzufriedenheit mit dem „etablierten politischen System“. | |
Ist ein solcher „Wir sind gegen alles“-Extremismus kein Fall für den | |
Verfassungsschutz? | |
Mit solchen Haltungen verantwortungsvoll umzugehen, ist Aufgabe von Politik | |
und Gesellschaft und nicht des Verfassungsschutzes. | |
1 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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