| # taz.de -- Neues Riotgrrrl-Album von Sleater-Kinney: Trauerarbeit beim Weiters… | |
| > US-Riotgrrrl-Duo Sleater-Kinney veröffentlicht das neue Album „Little | |
| > Rope“, es hilft Musikerin Carrie Brownstein, eine Familientragödie zu | |
| > meistern. | |
| Bild: Muss irgendwie weitergehen: Carrie Brownstein und Corin Tucker | |
| Einschneidende Erlebnisse können ein Leben aus den Angeln heben. Etwa wenn | |
| nahestehende Menschen völlig unerwartet sterben. [1][Diesen Albtraum machte | |
| US-Musikerin Carrie Brownstein durch], während sie mit Corin Tucker in der | |
| Produktion des Albums „Little Rope“ ihrer Band Sleater-Kinney steckte. Im | |
| Herbst 2022 bekam die 49-Jährige eine Hiobsbotschaft: Mutter und Stiefvater | |
| waren im Urlaub in Italien tödlich verunglückt. | |
| Obwohl der Schock tief saß, war es für Carrie Brownstein keine Option, die | |
| Aufnahme inklusive der fünf bereits existierenden Songs auf Eis zu legen. | |
| Im Gegenteil, Musik wurde zum Rettungsanker, Brownstein spielte wie | |
| besessen Gitarre. Stundenlang. Auf diese Weise erinnerte sie sich daran, | |
| dass ihre grundlegenden motorischen Fähigkeiten nicht verloren gegangen | |
| waren. Trotz ihres seelischen Schmerzes war sie in der Lage, als Künstlerin | |
| weiter zu existieren. | |
| Zwangsläufig wurde Carrie Brownsteins Kummer zur Inspirationsquelle für | |
| alle weiteren Songs von Sleater-Kinney. Brownstein und Corin Tucker fragten | |
| sich: Wie geht man mit Trauer um? Was verändert sie in einem? Schließlich | |
| verheilt Seelenkummer nicht einfach so wie ein gebrochener Arm. | |
| ## Nicht um den heißen Brei reden | |
| An dieses Lebensthema wagt sich Sleater-Kinney gleich beim Eröffnungsstück | |
| „Hell“ heran. In den Zeilen „I pull myself in pieces / Pull myself apart / | |
| It's like looking in a mirror / And seeing a stranger looking back“ | |
| entspinnt sich Carrie Brownsteins Seelenqual ohne Umschweife. | |
| Der Songtext stellt Verwundbarkeit zur Schau und blendet dabei wie eine | |
| nackte Glühbirne: In der Musik bricht nach dem ruhigen Prolog ein | |
| Gitarreninferno los. Dynamisch geschrammelten Indie-Rock bringen die beiden | |
| Musikerinnen seit jeher in ihre Songs ein. Der Lärm lässt sie nicht bloß | |
| ihre Pein vergessen, sie zollen damit zugleich ihrer eigenen Vergangenheit | |
| Tribut. | |
| Nicht ohne Grund hoben sie 1994 Sleater-Kinney, benannt nach einer | |
| Straßenkreuzung, mit der Drummerin Janet Weiss in Olympia im US-Bundesstaat | |
| Washington aus der Taufe. Die Kleinstadt galt damals als [2][Epizentrum der | |
| Riot-Grrrl-Bewegung]. Und Sleater-Kinney-Stücke liefern immer eine Idee | |
| davon, wofür sich die Band, die 2019 schließlich zum Duo schrumpfte, | |
| starkgemacht hat – für punkige Rockmusik mit feministischer Haltung. Ihre | |
| Songs waren von jeher Statements für Gleichberechtigung und gegen Sexismus. | |
| ## Lauernde Abgründe | |
| Diesmal muss das zivilgesellschaftliche Engagement allerdings den | |
| emotionalen Befindlichkeiten weichen. Songs wie „Needlessly wild“ winden | |
| sich düster, wenn es um Wesentliches geht: Vergänglichkeit, Verletzlichkeit | |
| und letztlich Machtlosigkeit. Vom aufgepeitschten „Don't feel right“ sollte | |
| man sich nicht auf eine falsche Fährte locken lassen, hinter der rauen | |
| musikalischen Oberfläche lauern Abgründe. Inhaltlich kreist die Nummer um | |
| Einsamkeit, um die Sehnsucht nach etwas, das unwiederbringlich vergangen | |
| ist. | |
| „Hunt you down“ hat eigenwilligen Rocktouch. Dahinter steckt die | |
| Erkenntnis: Das, was wir am meisten fürchten, wird uns zur Strecke bringen. | |
| „Small Finds“ klingt fast wie ein Ableger aus der Garbage-Frühphase. Kein | |
| Wunder: Sängerin Shirley Manson zählt zu jenen Künstlerinnen, die Carrie | |
| Brownstein und Corin Tucker aufrichtig bewundern. | |
| „Six Mistakes“ besticht mit seiner Rohheit, Corin Tucker positioniert sich | |
| hier mühelos als Punk-Frontfrau. Der Reiz von „Crusader“ liegt aber in | |
| seinen Gegensätzen – mal klingt es eingängig, mal aufwiegelnd. | |
| ## Aufruf, den Schmerz zu vergessen | |
| Was beim Hören sofort ins Ohr geht: In diesem Song steckt gewisser | |
| Optimismus, wenn Corin Tucker im Songtext dazu aufruft, den Schmerz zu | |
| vergessen. Sleater-Kinney ist mit den zehn Songs von „Little Rope“ auf | |
| jeden Fall ein Gegenentwurf zur Schneller-höher-weiter-Mentalität gelungen. | |
| Seine Musik spendet Trost: Für diejenigen, die in einer Sackgasse gelandet | |
| sind und nicht weiterwissen. Denn Sleater-Kinney erinnern nicht nur sich | |
| selbst, sondern auch ihre Zuhörer:innen daran, dass das Leben irgendwie | |
| weitergehen muss. Unabhängig davon, wie übel es einem mitgespielt hat. | |
| 19 Jan 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dagmar Leischow | |
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