# taz.de -- Kathleen Hanna über Sexismus im Punk: „Immer ein Register weibli… | |
> Kathleen Hanna, Ex-Sängerin der Punkband Bikini Kill und Mitgründerin der | |
> Gruppe Le Tigre, hat ihre Autobiografie veröffentlicht. Ein Interview. | |
Bild: Kathleen Hanna bei einem Konzert von Bikini Kill 2019 in Los Angeles | |
taz: Kathleen Hanna, in Ihrer Autobiografie geht es oft um Debatten | |
innerhalb der Riot-Grrrl-Subkultur der Neunziger. Übergriffiges männliches | |
Verhalten, Gender-Stereotype, „weißer“ und „schwarzer“ Feminismus. War… | |
Grrrl diesbezüglich wegweisend? | |
Kathleen Hanna: Riot Grrrl war in erster Linie eine Intervention innerhalb | |
der Punkszene. Punk wollte anders sein als der Mainstream, aber auch | |
innerhalb der Szene wurden Rassismus, Sexismus und Homophobie reproduziert. | |
Riot Grrrl hat die Frage gestellt: Für wen ist die Underground-Musikszene | |
eigentlich, wen inkludiert sie und wen exkludiert sie? Und ja, genau diese | |
Fragen werden heute gesamtgesellschaftlich erörtert. | |
Sie beschreiben in Ihrem Buch viele grenzüberschreitende Begegnungen mit | |
unterschiedlichen Männern, von Ihrem Vater angefangen bis zu jemandem, von | |
dem Sie dachten, dass er ein guter Freund sei, und der Sie vergewaltigt. | |
Was hat Ihnen dabei geholfen, all diese schrecklichen Begegnungen zu | |
verarbeiten? | |
[1][Auf der Bühne zu stehen und zu singen]. Diese eine Stunde am | |
Konzertabend hat mich damals gerettet. Obwohl ich auch an | |
Veranstaltungsorten oft von sexueller Belästigung betroffen war. In der Ära | |
von Bikini Kill konnte ich mir eine Therapie nicht leisten und war auch gar | |
nicht bereit zu sagen, dass ich Hilfe brauche. Später hatte ich die Kraft | |
zu sagen: Moment mal, was mir passiert ist, ist wirklich schlimm. Und nur | |
weil es anderen schlechter geht, heißt das nicht, dass ich mich nicht mit | |
diesem Trauma auseinandersetzen muss. | |
Sie haben schon früh in der NGO Safe Place Olympia gearbeitet, die sich um | |
Opfer sexueller Gewalt kümmert. | |
Ja. Wobei ich, anstatt meine eigenen Probleme zu verarbeiten, anderen | |
Leuten geholfen habe, und zwar in einem Ausmaß, das sehr anstrengend war. | |
Auch das Tagebuchführen hat mich gerettet. Das mache ich immer noch, hier | |
ist es! (hält ihr Tagebuch in die Kamera) Der einzige Weg, wie ich meinen | |
Verstand bewahren konnte, war, jeden Morgen aufzuwachen und zu schreiben. | |
[2][Fanzines] waren auch sehr wichtig für Sie. Sie haben selbst mehrere | |
herausgegeben. | |
Eigentlich habe ich zunächst Chapbooks gemacht, weil ich gar nicht wusste, | |
was Fanzines sind. Eines hieß „Fuck Me Blind“, ein weiteres „The Most | |
Beautiful Girl is a Dead Girl“. Das waren selbstveröffentlichte Hefte mit | |
meinen Arbeiten, Zeichnungen und Fotos. Aber sie hatten nicht wirklich | |
etwas mit Musik zu tun. 1996 habe ich ein langes Zine über Sucht erstellt, | |
„April Fool’s Day“. Das war meine Art, mit dem Tod meines Freundes [3][Ku… | |
Cobain] umzugehen. Alles fühlte sich damals so schrecklich an. In Olympia, | |
wo ich lebte, nahmen viele Leute Heroin und tranken bis zum Exzess. Ich | |
habe auch eine Suchtgeschichte. Ich wollte etwas Positives, etwas | |
Produktives machen. | |
Sie nennen Kurt Cobain in Ihrem Buch einen feministischen Mann, der bereit | |
war, seine weiblichen Freunde zu verteidigen. | |
Die kurze, aber intensive Freundschaft zu ihm war für mich sehr wichtig. | |
Diese Beziehungen in den eigenen Zwanzigern, wenn man so viele Dinge | |
entdeckt, prägen einen für den Rest des Lebens, denke ich. Lange war ich | |
überhaupt nicht in der Lage, Nirvanas Musik zu hören. Es war zu | |
schmerzhaft. Da ist die Stimme dieses Menschen, den du magst und der auf so | |
tragische Weise gestorben ist. Nachdem ich nun darüber geschrieben hatte, | |
konnte ich endlich auch wieder die Musik von Nirvana genießen. Ich bin | |
wirklich stolz auf die Musik und auf die Dinge, die Kurt gemacht hat. Er | |
hat zum Album „Incesticide“ Linernotes geschrieben, in denen er über | |
Rassismus, Sexismus und Homophobie gesprochen hat. Es war damals absolut | |
unüblich, dies als weißer, männlicher Rockstar zu tun. | |
Sie erzählen auch, wie Sexarbeiterinnen in der Hardcore-Punk-Szene gesehen | |
werden. Sie haben zeitweise in einem Stripclub gearbeitet und wurden | |
angefeindet. | |
In meiner lokalen Szene, die damals in Washington, D. C., war, war das | |
weniger der Fall – um so mehr in England. Als wir dort auf Tour gingen, | |
fand ich heraus, dass es eine Menge Anti-Porno-Feministinnen in der | |
Punkszene gab, die richtig wütend auf mich waren. Ich finde das seltsam. | |
Wir alle tun manchmal Dinge, die wir nicht tun wollen, aber aufgrund | |
unserer wirtschaftlichen Situation tun müssen. Ich konnte mit dem Strippen | |
Geld verdienen und so gleichzeitig meine Kunst machen. Warum diskutiert man | |
nicht über Männer, die es sexuell erregend finden, Frauen zu sehen, die aus | |
wirtschaftlichen Gründen gezwungen sind, sich für sie auszuziehen, sondern | |
regt sich über die Frauen auf? Wir sollten lieber überlegen, wie wir | |
Sexarbeit sicherer machen können. Denn es gibt – anders als in meinem Fall | |
– wirklich gefährliche Sexarbeit. | |
Sie huldigen in Ihrem Buch Figuren und Bands wie Kathy Acker, Joan Jett, | |
Babes in Toyland, Poly Styrene und vielen weiteren. Waren das die | |
Vorgängerinnen Ihrer Bands Bikini Kill und Le Tigre? | |
Ja. Ich könnte noch weiter aufzählen, Delta Five, ESG, The Raincoats, The | |
Mo-Dettes und Kleenex, all diese tollen Bands haben uns beeinflusst. Oder | |
Alison Moyet – sie war und ist eine unglaubliche Sängerin, ich wollte ein | |
Kraftpaket wie sie sein. Auch die Lunachicks waren mir wichtig – ich wollte | |
sie damals unbedingt treffen, das brachte mich dazu, nach New York zu | |
gehen. Ich hatte also immer so eine Art Register weiblicher Helden. Es ist | |
dermaßen wichtig, dass es Labels, Agent*innen und Manager*innen gibt, | |
die mit feministischen und auch mit antirassistischen Bands | |
zusammenarbeiten. Nur so können deren Inhalte ein großes Publikum | |
erreichen. Die Performancekünstlerin Karen Finley war wahrscheinlich noch | |
prägender für mich als [4][die Schriftstellerin Kathy Acker]. Aber Kathy | |
Acker war es, die mir gesagt hat, dass ich eine Band gründen soll, deshalb | |
kommt sie im Buch vor. | |
War Kathy Acker wirklich der Grund, warum Bikini Kill gegründet wurden? | |
Sie hat mir sozusagen die Absolution erteilt. Ich interviewte sie, als ich | |
sehr jung war und noch Spoken-Word-Auftritte machte. Sie sagte, ich solle | |
eine Band gründen. | |
Sie schreiben von einem „tiny tornado“ in Ihnen, der sich beim Singen | |
austoben darf. Fühlt sich das auch heute noch so an, wenn Sie mit Bikini | |
Kill oder Le Tigre Konzerte geben – oder geht es Ihnen auch darum, ein | |
Stück Kulturgeschichte und Aktivismus weiterzugeben? | |
Für mich fühlt sich das nicht historisch an, ich lebe ja weiter dieses | |
Leben, ich bin ja nicht Benjamin Franklin. Es fühlt sich genauso vital an | |
wie damals in den Neunzigern. Aber heute muss ich mich nicht mehr mit | |
sexistischen Mischern herumschlagen, weil wir unseren eigenen Tontechniker | |
haben. Ich habe also die Mittel, die ich brauche, um die bestmögliche Show | |
abzuliefern, und das ist ein viel besseres Gefühl. Ich bin mit viel neuer | |
Energie zurück, und das in einer Zeit, in der so viele Staaten nach rechts | |
rücken und autoritärer werden. Ich habe das Gefühl, dass die Wut über | |
diesen Autoritarismus bei unseren Shows dankbar aufgenommen wird. Die USA | |
sind völlig gespalten, es fühlt sich an, als würden wir auf einen | |
Bürgerkrieg zusteuern. Unsere Shows sind da für mich ein Hoffnungsschimmer, | |
der mich durch die nächste Woche bringen kann. | |
20 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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