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# taz.de -- Bikini Kill wieder auf Tour: Riot Grrrl kehrt zurück
> Bikini Kill sind so laut wie eh und je, tun aber auch nicht so, als wären
> sie noch 17. Am Sonntag spielten sie in Huxleys Neuer Welt in Berlin.
Bild: Kathleen Hanna und ihre Kolleginnen rocken wie eh und je. Hier in Berlin …
Es dauert nur wenige Minuten, bis Kathleen Hanna die Sorge zerstreut, an
diesem Konzertabend könne sich ein auch nur irgendwie peinlich geartetes
Comeback ereignen. Die inzwischen 53-jährige Sängerin von Bikini Kill
shoutet und schreit, heult und kreischt wie eh und je; ihre gellende Stimme
klingt auch heute noch so, als könne sie eher Panzerglas zerbersten als
bloß Gläser zerspringen lassen. „You’re dumb, I’m not / You’re fucked…
not / Me and my girlfriends gonna push on through / Riot Grrrl is gonna
stomp on you“, singt Hanna [1][im Song „This is not a test“], während
Besucher:innen freudig hin- und herhüpfen und sich unter so mancher
Maske wohl ein breites Lächeln abzeichnet.
Bikini Kill waren in den neunziger Jahren die wohl wichtigste Band der
[2][Riot-Grrrl-Bewegung], die sich damals in Olympia, Washington,
formierte. Die Gruppe um Kathleen Hanna sowie Schlagzeugerin und Sängerin
Tobi Vail gründete sich 1991 und ging 1997 auseinander. Mit selbst
gemachten Fanzines – eines davon trug den Titel „Bikini Kill“ –, dem
Organisieren von Shows und einer florierende Bandszene (neben Bikini Kill
etwa Team Dresch und Bratmobile) brachte diese Subkultur damals [3][eine
ganze Generation junger Frauen zum Punk, zum Selbermachen, zur
Selbstermächtigung].
## Viele queere Frauen
Bei einem Auftritt und Book-Release der britischen Postpunkerinnen The
Raincoats spielten Bikini Kill vor fünf Jahren erstmals wieder zusammen,
seit 2019 touren sie auch wieder. Neben Bassistin Kathi Wilcox aus dem
Original-Line-up steht nun die neue Gitarristin Sara Landeau mit auf der
Bühne.
In Deutschland sind Bikini Kill erstmals seit 1996 auf Tour, rund 1.600
Besucher:innen sind am Sonntagabend ins ausverkaufte Huxleys in
Berlin-Neukölln gekommen. Der Großteil scheint die Heldinnen von einst noch
mal bestaunen zu wollen, jedenfalls sind überwiegend nicht mehr ganz
faltenfreie Gesichter im Publikum zu sehen. Dazwischen sind aber auch Fans,
die wohl noch nicht geboren waren, als Bikini Kill Klassikeralben wie
„Pussy Whipped“ (1993) oder „Reject All American“ (1996) veröffentlicht
haben.
Viele queere Frauen sind gekommen – wenig verwunderlich, schließlich
standen Bikini Kill dafür, Punk nicht nur (wieder) weiblicher, sondern auch
queerer zu machen. „We are tired of boy band after boy band, boy zine after
boy zine, boy punk after boy punk after boy …“, stand auf einem
manifestartigen frühen Flyer der Band.
## Feministische Hymnen
Heute, rund dreißig Jahre nach der Blütezeit von Riot Grrrl, strahlen
Bikini Kill noch immer etwas Ikonisches aus. Kathleen Hanna trägt
navygrünes Oberteil mit Glitzer und pinkfarbene Leggings, Gitarristin Sara
Landeau kommt in knallrotem Oversuit auf die Bühne, Bassistin Wilcox steht
in schwarz-silbernem Glitzeroberteil da, während hinten am Schlagzeug das
rote Haar Tobi Vails immer wieder über ihre bunte 80er-Sonnenbrille weht.
Vail wechselt zwischendurch ans Mikrofon, singt etwa „Distinct Complicity“
(1996) und „I hate danger“ (1995), auch ihre Stimme hat nichts an Wut und
Wucht verloren.
So reiht sich feministische Hymne an feministische Hymne; tanzend und die
Arme schwingend singt Kathleen Hanna Songs wie „Sugar“ (1993) und „Lil Re…
(1993), in denen sie gegen männliche Selbstbedienungsmentalität
polemisiert: „These are my tits, yeah / And this is my ass / And these are
my legs / Watch them walk fucking away / These are long nails to scratch
out your eyes“, heißt es etwa in letzterem Stück. Vor 30 Jahren klangen
diese Zeilen dabei sicher anders als heute, wo der Pop-Mainstream von
emanzipierten Künstlerinnen dominiert wird.
## Warum redet man sich Negatives ein?
Doch auch heute singt Hanna jede Zeile so, als wolle sie das Patriarchat
endgültig zum Einsturz bringen – und das Publikum singt viele Verse
schlafwandlerisch mit. Auf politische Ansagen verzichten Bikini Kill,
dagegen streuen sie mal ein Lob für die – wirklich gute – Vorband Snoozers
ein, oder aber Kathleen Hanna erzählt von ihrer Therapie und einem
bemerkenswerten Satz ihrer Therapeutin: „She said to me: ‚If you wouldn’t
say it to your best friend, why would you tell it to yourself?‘“ Warum
redet man sich selbst negative Dinge ein, die man gegenüber der besten
Freundin nicht äußern würde?
Aus den Riot Grrrls von einst sind inzwischen natürlich gestandene Riot
Wmmmn geworden, so versucht das Quartett auch gar nicht erst, die
jugendliche Energie damaliger Shows zu erreichen – und das ist auch gut so.
Eher geben Bikini Kill ein routiniertes Set, das es den zu spät Geborenen
und Gekommenen ermöglicht, diese großen Songs live zu erleben.
Nach gut einer Stunde folgt während einer kurzen Zugabe „Rebel Girl“, das
programmatischste Bikini-Kill-Stück überhaupt. „Rebel girl you are the
queen of my world“, shoutet Kathleeen Hanna mit ihrem charakteristischen
hohen Stimmtimbre. Die ersten Reihen hüpfen nun kollektiv, der Boden des
Huxleys biegt sich und vibriert. Es sind zweifelsohne good vibrations, die
da übertragen werden.
11 Aug 2022
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=pTZbBia0iBs
[2] /Riot-Grrrl-Carrie-Brownstein/!5347711
[3] /Feministisches-zwischen-Pop-und-Punk/!5427940
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
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