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# taz.de -- Punk aus Berlin: Angst haben und führen lassen
> Die Pandemie, Faschos, und sonst funktioniert auch nichts – die Verlierer
> spielen Punk. Ihr Debütalbum ist ein Versprechen: Da kommt noch mehr.
Bild: Die Verlierer: besser angezogen, als ihr schneller, roher Sound vermuten …
Welches Jahr haben wir, 1980 oder 2022? Ein lauer Juliabend in einem
Skatepark in Prenzlauer Berg. Fünf Punkmusiker stehen erhöht auf einer
Bühne zwischen Halfpipes und Rampen, sie brettern zwei- bis dreiminütige
Songs herunter. Bei manchen Liedern schlagen gleich drei Gitarristen in
einem Wahnsinnstempo ihre Instrumente an. Der Schlagzeuger drischt auf
Becken und Hi-Hat ein. Gemeinsam mit dem Bassisten hält er den rohen,
schnellen Sound der Band zusammen.
In den ersten Reihen pogen und hüpfen Teenager mit gefärbten Haaren und
zerrissenen Klamotten. Mit kehliger Stimme singt Hannes Berwing, einer der
Sänger der Band, über Unbehagen, Angst, die Krisenhaftigkeit der Welt: „Du
stehst am Fenster/ du liegst auf dem Bett/ du hattest Träume, doch/ jetzt
sind sie weg/ Die Zeit/ rennt dir weg.“
Die Verlierer heißt die Band, die an diesem Abend am Thälmannpark ihr
erstes Album vorstellt. Mehrere hundert Leute haben sich vor der Bühne
versammelt. Rotzig und unmittelbar klingt der Sound von Die Verlierer. Er
weckt Assoziationen an Punk- oder US-Hardcorebands wie etwa Black Flag,
Reagan Youth, Minor Threat oder The Spits.
Die Bandmitglieder sind im Berliner Underground keine Unbekannten: Lorenz
O’Tool (Lorenz Szukal), Oska Wald (Oskar Haßler) und Jiles (Julius Haß) von
der Band Chuckamuck haben sich 2020 mit Hannes Berwing und Jonas
Häussermann von der Punk-Kombo Maske zusammengetan, um diese neue Band zu
gründen.
## Rumpeliger und krachiger Punk
Ihr Debütalbum, das genauso heißt wie die Band, überzeugt mit rumpeliger,
krachiger Musik, [1][die so auch vor 40 Jahren hätte aufgenommen werden
können.] Doch es zeichnet das Quintett eben aus, dass ihr Sound dennoch
nicht retro klingt: Diese neun Songs sind mitten im Jetzt angesiedelt, sie
treffen einen Nerv. Den Stücken ist all das eingeschrieben, was sich in uns
mit einer never ending Pandemie, mit der Krise der (Sub-)Kultur, mit einem
wahnsinnig gewordenen Wohnungsmarkt, dem Ukrainekrieg und dem Klimakollaps
angestaut hat.
Das zeigt sich zum Beispiel im Titelsong („In meinem Kopf/ nur Schrott/ ich
geh nicht raus/ tagein, tagaus/ direkt verreckt/ im Dreck/ und das einsam“)
oder in „Nichts funktioniert“ („Faschos fisten, Pandemie/ Nichts
funktioniert/ Politik ist für die Galerie/ Nichts funktioniert“).
„Punk war schon immer ein Ventil für Frustration“, sagt Hannes, 26, einer
der Sänger von Die Verlierer. „Vor allem viele junge Leute sind
verzweifelt, weil so wahnsinnig viel schiefläuft gerade. Und dieser roughe
Sound spricht solche Gefühle halt am direktesten an.“ Hannes ist gemeinsam
mit Gitarrist und Sänger Oskar, 32, zum Interview in den Helmholtzkiez
gekommen, beide waren mit der Band gerade auf kleiner Deutschland-Tour.
## Blondes Haar, lackierte Fingernägel
Den Punk sieht man Hannes an, er hat blond gefärbtes Haar, lackierte
Fingernägel und trägt eine dicke Kette um den Hals. Ob die Band auch von
jüngeren Leuten aus seiner Generation geschätzt wird? „Ich habe schon das
Gefühl, dass die Band auch viele jüngere Leute anzieht, die den Punksound
vielleicht noch gar nicht so kennen“, sagt er. „Aber unser Publikum ist
insgesamt gemischt, [2][da kommen auch Studis, Fashionleute oder
Altpunks].“
Die pandemiebedingte Krise habe aber auch eine Trotzreaktion mit sich
gebracht, meint Hannes: „Die Subkultur ist meines Erachtens wieder stärker
zusammengerückt. Dadurch, dass der Kulturbetrieb erst eingefroren war und
immer noch in Schwierigkeiten ist, unterstützt man sich gegenseitig wieder
stärker. Die Pandemie ist in Berlin ja auch dazu genutzt worden, um linke
Orte zu räumen – zum Beispiel den Köpi-Wagenplatz. Davon waren viele Leute
angepisst, so ist ein größerer Zusammenhalt entstanden.“
Entstanden sind Die Verlierer nach einem gemeinsamen Auftritt von Maske und
Chuckamuck kurz vor Ausbruch der Pandemie im Februar 2020. Für das Konzert
spielten sie erstmals gemeinsame Songs ein, und sie stellten fest: Sie
harmonieren gut zusammen. Sowohl die 2007 gegründeten Chuckamuck als auch
die 2017 ins Leben gerufene Gruppe Maske sind [3][schon länger feste Größen
im Berliner Underground].
Oska Wald hat etwa mit King Khans Tochter Saba Lou Musik gemacht, gestaltet
zudem Artworks und zeichnet Comics. Maske sind verbandelt mit der
Postpunk-/Synthwave-Band Schwund, Jonas Häussermann spielt zudem in der
Band Hello Pity. Das Verlierer-Album wiederum ist bei Mangel Records
erschienen, ein für die jüngere Postpunk-Szene wichtiges Label. Auch
Chuckamuck werden im September übrigens auf dem neu gegründeten Berliner
Label Bretford Records ein neues Album veröffentlichen („beatles“).
## Musiker von Chuckamuck und Maske
Aufgenommen hat die Band das Album bereits 2020 innerhalb zweier Wochen im
Studio von Lorenz O’Tool in Ringenwalde in der Uckermark. Die
unterschiedlichen Arbeitsweisen ihrer beiden „Stammbands“ sei dabei sogar
von Vorteil gewesen. „Mit Chuckamuck machen wir schon so lange zusammen
Musik, dass wir bei manchen Stücken einfach nicht weiterkommen“, sagt Oska.
„Hannes und Jonas haben eine andere, spontanere Herangehensweise. Nicht so
lange drüber nachdenken, wenn’s nicht fetzt, dann gleich wegschmeißen. Das
hat uns inspiriert.“
Die Verlierer funktionieren wie ein kleines Kollektiv, es gibt keinen
festen Songwriter. Die Songs sind von vier verschiedenen Bandmitgliedern
komponiert und getextet worden (Oska, Hannes, Lorenz, Jonas). Dass das
Debütalbum – auch aus diesem Grund – in verschiedene Richtungen strebt,
hört man ihm an, „Mann im Mond“ etwa ist ein Stück, das an die Postpunks
von Messer erinnert. Ein Ausreißer ist dagegen das zäh vor sich hin
wabernde, noisige Abschlussstück „Into A“, das mehr als 11 Minuten lang
ist.
Textlich werden zum Teil auch zeitlosere Themen verhandelt. Das Stück
„Plastic Life“ ist etwa ein so wütendes wie treffendes Stück über
(deutsche) Biederkeit, blinden Konsumismus und Gleichgültigkeit, darin
heißt es: „Besoffen in den Döner beißen/ aus Faulheit auf die Umwelt
scheißen/ wegschmeißen – Neues kaufen/ kaufen kaufen kaufen kaufen/
schwarz-rot-goldene Flaggen hissen/ sich in guter Gesellschaft wissen/
Angst haben und führen lassen/ anders riechende Menschen hassen“.
In solchen Songs, mit Verve und Wut intoniert, erinnern Die Verlierer an
[4][(Proto-)Deutschpunks wie Ton Steine Scherben] oder [5][Slime]. Auch das
Artwork vermittelt etwas Zeitloses, darauf ist die Band auf einem
Schwarzweißfoto in feinem Zwirn zu sehen, alte Ska- oder Beatplatten kommen
einem in den Sinn. Die D.I.Y.-Ästhetik, die viele der jüngeren Berliner
Punkbands aktuell nutzen, bedienen sie da ganz bewusst nicht. Sie wollen
von ihren Stammbands unterscheidbar sein.
## Vinyl-Auflage ausverkauft
Eines dürfte klar sein: Die Verlierer bleibt kein temporäres Projekt, die
Band wird zusammenbleiben. Kein Wunder, wurde das Album doch von
Punkliebhaber:innen fast enthusiastisch aufgenommen.
Die erste Vinyl-Auflage ihres Albums war flugs ausverkauft. Inzwischen gibt
es auch erste Überlegungen für ein weiteres Werk. „Wir haben schon ein paar
Ideen und einen Albumtitel“, sagt Hannes. „Wir haben einfach noch nicht
alle Möglichkeiten ausgeschöpft, die es in dieser Konstellation gibt.“ Es
ist ein Satz, der fast wie eine Verheißung klingt.
23 Aug 2022
## LINKS
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[3] /Portraet-des-Labels-Mangel-Records/!5828949
[4] /Umbenennung-in-Berlin-Kreuzberg/!5872155
[5] /Das-Verhaeltnis-der-Linken-zur-Polizei/!5697127
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
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