# taz.de -- Punkband True Dreams: Nicht nur niedlich | |
> Zwei Riot-Grrrl-Punkerinnen räumen auf mit Rollenbildern. Ihr Debütalbum | |
> bewegt sich zwischen spielerischem R&B und dadaistischem Non-Sense. | |
Bild: Das feministische Punk-Duo „True Dreams“: Dicke Buddies | |
Ein Interview mit einer Band, die sich selbst als „teenager punx who are | |
tired of taking yr shit“ bezeichnet und die bei einer ersten vorsichtigen | |
Einordnung ihrer Musik sofort ihre [1][Riot-Grrrls-Attitüde] anführt, kann | |
ja eigentlich nur gut werden. Auf die Frage, ob sie nicht dennoch auch | |
irgendwie süß und niedlich herüberkämen, entgegnet Hannah Nichols, | |
Drummerin des Duos [2][True Dreams]: „Ich freue mich sehr, dass du unsere | |
Musik ‚süß‘ nennst...“ | |
Natürlich wollen die beiden Musikerinnen aber nicht primär niedlich sein, | |
eher geht es in ihrer Performance und Ästhetik darum, Rollenbilder zu | |
thematisieren, das ist ihrem jüngst erschienenen Debütalbum „No. 1“ in | |
jeder Sekunde anzuhören. | |
So nennt Nichols auch die US-Riot-Grrrl-Pionierinnen von Bikini Kill und | |
Bratmobile ebenso wie die britische Anarchopunklegende Crass als Einfluss, | |
in deren Kommune sie einst einen Sommer lang als Rucksackreisende gewohnt | |
hat. Außerdem zählt sie die New Yorker Band The Cramps zu den Gruppen, | |
deren „Camp- und Bondage-Ästhetik“ sie inspiriert habe. | |
Sängerin und Gitarristin Angela Carlucci führt im Mail-/Chat-Interview | |
zudem Motown-Soul und Doo-Wop als wichtigen Bezugspunkt an, wobei Doo-Wop | |
eine besonders spielerische R&B-Variante mit oft dadaistischen | |
Nonsense-Silbensongtexten ist, die seit den späten 1940er Jahren erst unter | |
afroamerikanischen Jugendlichen hip wurde und dann auf die ganze USA | |
überschwappte. „Außerdem“, ergänzt die Mittdreißigerin, „nennen wir | |
eigentlich immer die Ramones als gemeinsame Lieblingsband. | |
Die üben eine riesige Anziehungskraft auf uns aus – nicht nur ihrer Musik | |
wegen, sondern auch wegen ihrer komplizierten persönlichen Beziehungen | |
untereinander.“ | |
Womit man beim Dreh- und Angelpunkt des New Yorker Punkrockduos True Dreams | |
gelandet ist: Freundschaft in alle ihren Facetten. Ohne Freundschaft, | |
betonen beide Künstlerinnen, sei True Dreams nicht denkbar. Weshalb sie | |
sich auf der Bühne wie auf der nun beginnenden Europatournee zwar manchmal | |
von Bands oder einzelnen Musiker:innen unterstützen lassen, aber | |
grundsätzlich doch lieber weiterhin zu zweit spielen und aufnehmen. | |
So kapern True Dreams das sonst ja tatsächlich überwiegend männlich | |
besetzte Sujet der Freund- und Kameradschaft als Songthema und bringen es | |
auf ein ultrakurzweiliges Punkrock-Mitsinghymnen; auch in ihren Videos kann | |
man sich von deren Qualitäten überzeugen. Auf der Bühne kommen True Dreams | |
wie dicke Buddies rüber. | |
Beide erzählen offenherzig und nicht ohne Stolz von ihren sogenannten | |
Brotjobs – Carlucci ist ausgebildete Pâtissière und Chefbäckerin in einer | |
Brooklyner Bäckerei, Nichols wiederum hat sich als ausgebildete | |
Haarstylistin inzwischen auf den Herrenschnitt spezialisiert. Schlagzeug zu | |
spielen begann sie erst 2014, wie sie erzählt; ein Jahr später stand Hannah | |
Nichols dann mit der Band American Anymen auf der Bühne. | |
Angela Carlucci spielte seit ihrem Umzug nach New York in den frühen | |
Nullerjahren in diversen Bands, davon zehn Jahre mit The Baby Skins und | |
immer wieder als Backgroundsängerin der | |
französisch-schwedisch-amerikanischen Band Herman Dune. | |
Wer nun eine Verbindung zum beliebten Subgenre Antifolk vermutet, liegt | |
goldrichtig – beide Musikerinnen schätzen die Musik ihrer Kolleginnen und | |
Kollegen, Carlucci ist nebenbei die jüngere Schwester des New Yorker | |
Songwriters Toby Goodshank. Bedenken, ob man das überhaupt erwähnen | |
sollte, wo doch der Platz begrenzt ist und sie somit als „Schwester von...“ | |
festgelegt werden könnte, wischt sie mit einer der ausführlichsten | |
geschwisterlichen Liebeserklärungen ever fort, die in der Aussage gipfelt: | |
„Wenn ich sein könnte wie er, würd ich’s jederzeit tun!“ Bandkollegin | |
Nichols schließt sich dem Lob und den Komplimenten an. | |
Furchtlos-offenherzig gegenüber den eigenen Empfindungen, das scheint ein | |
bisschen das Prinzip, mit dem Nichols und Carlucci ihre eigene Band | |
angehen. Auf ihrem Debütalbum finden sich Songtexte, in denen in einem | |
Moment die kalifornische Slackerband Pavement gewürdigt wird und im | |
nächsten vom Mangel an weiblichen Role Models in der Musik die Rede ist, | |
die in der schlichten Feststellung mündet: „There aren’t enough female | |
artists.“ | |
Falls also noch jemand auf der Suche nach solchen sein sollte: True Dreams | |
sind ein undogmatisches „Feminist Punk“-Duo und nebenbei der lebende | |
Beweis, dass es auch jenseits der Zwanziger herum nicht zu spät ist, eine | |
eigene Band zu gründen und die Welt zu rocken. | |
22 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Popfeministische-Band-Doctorella/!5362004 | |
[2] https://truedreams.bandcamp.com/ | |
## AUTOREN | |
Katharina J. Cichosch | |
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