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# taz.de -- Japanische Freakrockband OOIOO: Dem Eisvogel huldigen
> Herzhaft ausgeflippt: Die legendäre Band OOIOO aus Japan veröffentlicht
> ihr drachenhaftes Album „Nijimusi“. Ein Schlachtfest des kumulativen
> Krachs.
Bild: Yoshimi (2. von links) und OOIOO
Filigran gesetzte Breaks, kontemplative Songtexte, hochtönendes
Frequenzgeblubber, eine schmetternden Trompete, fröhliches
Double-Bassdrum-Stakkato und floatende Unisonoparts, die vier Musikerinnen
der japanischen Freakrockband OOIOO (gesprochen Oh Oh Eye Oh Oh) aus Osaka
wenden sich stets ohne Umschweife an ihre Hörer:innen. Und alle
Eisenspäne im Magnetfeld so: Yeah!
Die acht Songs ihres neuen, „Nijimusi“ betitelten Albums dauern zwischen 48
Sekunden und 15 Minuten, setzen ihre Akzente mal in einer
Überwältigungsattacke somnambul pflügend, wie beim titelgebenden
Auftaktsong, mal endlos onomatopoetisch chantend wie im Song mit dem
einprägsamen Titel „Walk for 345 Minutes while saying ‚Ah Yeah‘! With a
Mounting Book in one hand until a Shower of Light pours down“.
Infernalisches Gekreische und Gemetzel in dem Song „Kawasemi Ah“, das dem
Eisvogel huldigt und seinen virtuosen Lautäußerungen von „tjii“ bis
„kriiht-rit-rit“, wechselt sich ab mit friedfertiger Melodiösität in dem
Song „Asozan5“, der von Einschlafproblemen handelt und wie diese gelöst
werden, „in dem ich mich mit ungeraden Takten beschäftige“.
Es gibt in dieser herzhaft ausgeflippten Musik alles, was einst bei den
Mothers of Invention, [1][Can] und [2][Captain Beefheart] verzückte, nur
kein Schema F, keine Abholung durch billige Klischees, Schockeffekte und
Stereotype.
## Gegen Ungeheuer kämpfen
Die Gitarren klingen bei OOIOO eher nach Perkussion, während die filigran
gestimmten Drums nachhallen und dadurch oft eigenwillig singende Töne und
Melodien erzeugen. Man kann den Musikerinnen stundenlang zuhören und immer
wieder Neues an ihren vertrackten Songs entdecken. Bandleaderin Yoshimi
P-We, die eines der beiden Schlagzeuge bedient, Gitarre spielt und singt,
wurde von ihren US-Kollegen Flaming Lips bereits mit dem Albumtitel
[3][„Yoshimi battles the Pink Robots“] gewürdigt, weil die Art ihres
Gesangs so wirke, als kämpfe sie gegen Ungeheuer.
„Nijimusi“ klingt, als hätte sie diese Ungeheuer bezwungen, aber nun winden
die Monster sich tödlich beleidigt am Boden und mucken auf. Nehmen wir den
Song „Bulun“, der von einem meisterhaft gesetzten Paukenwirbel angetriggert
wird, aber eigentlich nur einem Englisch gesungenem Refrain folgt, wie ein
Luchs einem humpelnden Reh im Schnee: „Thinking, Dowsing, Sowing, soooo
loud“ singt ein Chor. Denken, Wünschelrutengehen, Nähen, sooo laut. Was
würde Buddha zu dieser Zeile sagen? Auffallend ist die spektakelnde Unruhe
bei gleichzeitiger meditativer Balance im Sound von OOIOO.
Der Albumtitel „Nijimusi“ klingt für deutsche Ohren wie „Nischenmusik“…
„Nischenmuschi“. Gleich nach dem Auftaktsong, „Nijimusi“ kommt der Song
„Nijimu“. Laut Auskunft der Band ist der Titel ein Kompositum aus „Niji“
(Regenbogen) und „Mushi“ (Insekt). Allerdings sieht das Kanji für Insekt
eher aus wie eine Schlange. Das ähnlich klingende Verb „Nijimu“ wiederum
bedeutet Durchsickern. Und Mastermind Yoshimi lässt im Kommunique
durchsickern, dass sie „an Drachen gedacht habe, die sehen aus wie große
Schlangen in der Luft.
Drachen haben etwas mit Wasser zu tun, und Regenbogen entstehen nach einem
Regen, wenn die Sonne durch die Feuchtigkeit scheint und ein Prisma
kreiert, ausgehend von Rot.“ Yoshimi interpretiert das Verb „Nijimu“ eher
dahingehend, wie unterschiedlich sich Wahrheiten manifestieren. Wahrheit
könne für jedes Individuum etwas anderes bedeuten. „Wahrheit hat immer
damit zu tun, wer man selbst ist. Wer unser neues Album hört, wird davon
bewegt. Jede(r) auf eigene Art.“
Der britisch-holländische Autor Ian Buruma schrieb in seiner
Kulturgeschichte „A Japanese Mirror“, dass es [4][in der japanischen
Mythologie] keine Salome gäbe und im Film keine Femme fatale. Was es gibt,
seien fürchterliche Klischees für Japanerinnen, denen OOIOO aber
widersprechen. Sie orientieren sich an [5][Punk und Freejazz]. Als sich die
Band 1995 zusammenfand, war das für eine Modestrecke. Sie sollten posen,
nicht spielen, was den Künstlerinnen zu doof war. Danach haben sie acht
Alben selbst veröffentlicht, jedes ein Kleinod des kumulativen Krachs. Die
Inszenierung ist niemals harmlos. Manchmal scheinen sie über den Dingen zu
schweben wie ein Tier, über das sie singen.
Die Liebe zur Natur gilt als Grundlage für japanische Ästhetik. In der
Klangwelt von „Nijimusi“ wirkt diese bedroht, etwa von der
Nuklearkatastrophe in Fukushima. OOIOO scheinen ihre Musik deshalb „von
der Vergangenheit entgiftet“ zu haben. Wie hoffnungsvoll klingt ihre
Zukunft?
17 Jan 2020
## LINKS
[1] /Krautrock-Kunst-als-Retrokultur/!5106826
[2] /Captain-Beefhearts-Magic-Band/!5137762
[3] https://www.youtube.com/watch?v=ZdDHi5SSIlM
[4] /Japanischer-Musiker-Haruomi-Hosono/!5561617
[5] https://www.youtube.com/watch?v=Vjk01Wo-aEs
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Japan
Yoshimi
OOIOO
Musik
Wasser
Riot Grrrl
Haruomi Hosono
Haruomi Hosono
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