# taz.de -- Captain Beefhearts Magic Band: Die südkalifornische Verschwörung | |
> Ex-Schlagzeuger John "Drumbo" French schreibt über die Captain Beefhearts | |
> Magic Band. Herausgekommen ist ein rekonstruierter Wahnsinn auf 880 | |
> Seiten. | |
Bild: Captain Beefheart and the Magic Band mit John "Drumbo" French (li) und Ca… | |
Eigentlich geht nie etwas verloren in der Popmusik. Jede neue Generation | |
bringt auch neue Fans und Fachleute für altes Material hervor. Die Anzahl | |
der Informierten noch über die abgelegensten Attraktionen der 50er und 60er | |
Jahre des letzten Jahrhunderts erhöht sich mit jedem weiteren Jahr. | |
Internetforen, Spezialblogs und Datenbanken zeigen, dass nicht nur die | |
Begeisterten immer mehr werden, sondern auch dass sie ihre Objekte oft viel | |
genauer kennen als deren Zeitgenossen. | |
Eine Ausnahme ist Captain Beefheart. Zwar wurde er noch lange nach seiner | |
aktiven Zeit als Musiker (1966 bis 1983) von neuen Generationen immer | |
wieder entdeckt als das so ziemlich Unglaublichste, was Rockmusik je | |
hervorbrachte. Doch nimmt in den letzten zehn Jahren die Entdeckerfreude | |
für dieses Werk von zirka einem Dutzend immer noch exzeptionell gewaltiger | |
Alben deutlich ab. Beefheart gewinnt keine Fans mehr hinzu. | |
Der brachiale Individualismus, der exzessive Machoeigensinn, die Abgründe | |
altweltlichen Künstlerwahnsinns sind alle keine besonders hoch gehandelten | |
Attraktionen mehr für eine Generation, die an obskuren Schätzen der | |
Vergangenheit eher Atmo und Weirdness mag. Zu nahe tritt die monumental | |
individuelle Stimme dem Hörer, zu persönlich kommen der hochmögende | |
Sondersurrealismus und die animalisierende Naturlyrik des Captains und die | |
abgedrehten Polyrhythmen der Magic Band heute rüber. | |
Auch wenn man heute Beefheart hört, lädt man sich einen zudringlichen, | |
verwirrend präsenten Künstler ins Haus. Die irren Beats sind nicht einfach | |
schlau gedacht, sie werden von Typen unter Schmerzen und rauem Gelächter | |
wirklich gespielt, die es sehr, sehr ernst meinen - und zugleich irgendwie | |
zombiehaft nicht wissen, was sie tun. | |
Die Stütze des Exzentrikers | |
John French hat sich von Beefheart, so kann man es wohl sagen, sein Leben | |
über weite Strecken ruinieren lassen, zugleich hat dieser endlos | |
unterhaltsame Exzentriker Frenchs Existenz einen Sinn gegeben. Trotz aller | |
Demütigungen, Ausschließungen und Ausbeutungen ist French, den Beefheart | |
Drumbo taufte, immer wieder zu ihm zurückgekehrt - und Beefheart war auf | |
ihn angewiesen. | |
Beefhearts Magic Band funktionierte nie ohne einen musikalischen Direktor, | |
einen Freund, der Beefhearts Idiom aus wortreichen Erklärungen, kurzen | |
Pianoskizzen und Vorführungen auf Küchengeräten in eine Sprache übersetzen | |
konnte, die Musiker verstehen. Drumbo war darin wohl führend: Er erstellte | |
etwa eine Art Partitur für das neben seinem unmittelbaren Nachfolger "Lick | |
My Decals Off, Baby" wohl immer noch umwerfendste Beefheart-Album, das | |
Doppelalbum "Trout Mask Replica" - und fiel dabei in Ungnade: Noch heute | |
hat er keinen Credit auf dem Album. Wer spielt das überpräsente Schlagzeug? | |
Auf dem Drag-surrealen Bandfoto fehlt Drumbo wie Trotzki nach Stalins | |
Retusche. | |
Dennoch war Drumbo vor ein paar Jahren die treibende Kraft hinter einer Art | |
historisch-kritischen Ausgabe von "Trout" nebst anderen Raritäten auf 5 | |
CDs, genannt "Grow Fins". Die Liner Notes zu diesem Projekt bestehen aus | |
Erinnerungen und Interviews, in denen sich French um detaillierte | |
Rekonstruktion von schwer rekonstruierbaren Abläufen bemüht. Die stellen | |
auch den Kern seines nun erschienenen, eng bedruckten 880 Seiten starken | |
Schmökers "Beefheart: Through The Eyes of Magic" dar. | |
Rache am Genie | |
Man könnte sagen, es ist die Rache ultragenauer Erbsenzählerei an einem | |
ebenso herrischen wie kränkelnden Genie, das wohl zu gleichen Teilen | |
unerschöpflicher Quell köstlicher Einfälle ist wie ein trostloser Angeber, | |
der immer wieder dieselben Geschichten erzählt. Ausgerechnet Beefheart, | |
bürgerlich Don Van Vliet, der sein ganzes Leben hinter einer Kette von | |
Mythen und Halbwahrheiten versteckte, wird hier von Autofahrt zu | |
Supermarktbesuch minutiös von seinem Alltag her rekonstruiert. | |
Doch eine Rache ist es nicht, Drumbo hat die besten Absichten. Die Welt | |
soll wissen, wie das wirklich war. Da lesen sich manche Geschichten, von | |
denen man schon mal Teilstücke gehört hatte, ganz anders. Der in den | |
meisten Biografien erwähnte berühmte portugiesische Bildhauer, der den | |
jungen Don in der Grundschule entdeckt und mit Förderstipendien eingedeckt | |
haben soll, war mit Sicherheit nicht berühmt, wenn überhaupt Bildhauer, | |
falls er denn je existierte. Wahr scheint hingegen zu sein, dass der Umzug | |
der Familie Van Vliet vom fast urbanen Glendale ins hoffnungslos abgelegene | |
Wüstenkaff Lancaster viel damit zu tun hatte, dass die Familie den jungen | |
Don vor dem Einfluss der Homosexualität retten wollte, der angeblich von | |
allen Künstlern ausgeht. | |
In Lancaster leben zu dieser Zeit aber nicht nur der junge Zappa und der | |
junge, in frühen Magic-Band-Ausgaben brillierende, von den Umgangsformen | |
unter den Freaks aber eingeschüchterte Gitarrist Ry Cooder, auch die nahezu | |
komplette erste Besetzung der Magic Band existierte bereits, Beefheart | |
brauchte sie sich nur unter den Nagel zu reißen. | |
French selbst ist stolz auf die Prominenten, von Ornette Coleman bis Paul | |
McCartney, die den Weg der Magic Band kreuzen. Aufregender für den Leser | |
dieser nichts auslassenden Rekonstruktion ist aber, dass die ganze | |
südkalifornische Weirdness-Schule das Werk einiger weniger sich immer | |
wieder begegnender Schulfreunde war. Beefheart und Zappa waren nur die | |
bekanntesten. Diese mögen sich alle nicht besonders, sind aber oft | |
überraschend hilfreich und vor allem treu: Man hängt aneinander, als wäre | |
der Welt da draußen, auf die man doch nun wirklich einen gewaltigen | |
Einfluss hatte, nicht richtig zu trauen. French, der nicht die einzige | |
Stimme in dieser zwischen Tagebuchaufbereitung und Oral History | |
schwankenden Studie ist, der den Beteiligten, ihren Managern, ihren | |
Plattenfirmen, ja der ganzen Generation Weltverlust attestiert, findet auch | |
selbst nichts so richtig wichtig, was außerhalb dieser südkalifornischen | |
Verschwörung so passierte. | |
Auf Geständnisdroge | |
Einerseits ist der positivistische Lebensfragmentesammelwahn faszinierend | |
wie Pynchon auf Geständnisdroge. Andererseits hätte die Konzentration auf | |
ein paar übergeordnete Fragen gut getan. Die Vorgeschichte des | |
LA-spezifischen Phänomens Freaks und Freak Out, der Einfluss von wenig | |
dokumentierten und auch hier eher am Rande behandelten Missing Links | |
zwischen Freak Out, Fluxus und Freie-Liebe-Sekten wie den legendären Typen | |
Vito und Carlo Franzoni, die immer mal wieder in einschlägigen Geschichten | |
auftauchen, hätte etwas mehr Systematik vertragen können. | |
Dafür erzählt das Buch anekdotisch und im Klartext, wie unter günstigen | |
Bedingungen haltlose Angeberei und Geniedarstellertum mit genügend begabten | |
Gläubigen genau das erreichen, was das große Ego erstrebt - unter | |
beträchtlichen sozialen Kosten, versteht sich. Das Ziel ist ja, etwas ganz | |
und gar Unglaubliches auf die Beine zu stellen, das sich aber nicht einfach | |
als Privatwahnsinn herausstellen darf und deswegen der Bandform bedarf: | |
permanente empirische Bestätigung durch wiederholbare soziale | |
Rekonstruktion des Wahnsinns. Deswegen haben Bands immer mal wieder die | |
beste Kunst des Planeten machen können. Jeder kann behaupten, ein | |
kompletter Alien zu sein, der alle Regeln auf den Kopf stellt, aber nur | |
eine Band kann das ratifizieren. Alles, was es braucht, sind glückliche | |
Fügungen, um die fragile soziale Skulptur als Musik zu dokumentieren. | |
Dass die Ergebnisse dann allen zur Verfügung stehen, den vielen | |
begeisterten, verwirrten, rätselnden, Anschlüsse bildenden Fans, entzieht | |
dem Arcanum irgendwann die Struktur. Wenn zu viele Leute zu viel wissen | |
über die Leiter, mit der einer auf den Geniethron geklettert ist (oder | |
darauf projizieren), fällt die soziale Konstruktion des großen Mysteriums | |
in sich zusammen. Jetzt müsste man sie eigentlich als absolute Kunst | |
genießen können. Doch schwappt auch heute noch beim Hören von "The Dust | |
Blows Forward And The Dust Blows Back" zu viel ungeklärte soziale Energie | |
aus den Lautsprechern. Das vermiest den Retrokulten von heute den reinen | |
Genuss. | |
John "Drumbo" French: "Beefheart: Through the Eyes of Magic". Proper Music | |
Publishing, London, 2010, 880 S., 19,95 £ | |
8 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Diedrich Diederichsen | |
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