# taz.de -- Wassermusik von Tomoko Sauvage: Subaquatische Zombie-Apokalypse | |
> Die japanische Künstlerin Tomoko Sauvage experimentiert mit den | |
> Geräuschen des Wassers. Ihr neues Album „Fischgeist“ schärft die Sinne. | |
Bild: Feldforschung mal anders: Tomoko Sauvage bei einer Performance | |
Fischgeist“ zu hören, das neue, aus fünf Tracks bestehende Album der | |
japanischen Musikerin Tomoko Sauvage, ist eine bereichernde Erfahrung. Man | |
lernt beim Zuhören, Wasser als wirkmächtiges Element neu zu begreifen und | |
auf ungeahnte Details zu fokussieren, versinkt mitunter in Trance, weil die | |
hypnotische Kraft und latente Magie von Tomoko Sauvages Musik, ihre | |
behutsam an- und abschwellenden Klangkurven, die Sinne schärfen. | |
Die hallende und auf Echoeffekte sich stützende Klangsignatur funktioniert | |
wie eine Droge, die das Bewusstsein verengt: Durch Pochen und Klopfen, | |
[1][wellenförmiges Feedback], aber auch bedrückende Stille, kaum | |
wahrnehmbares Rauschen und sonores Brummen. Das Spektrum der Geräusche | |
wirkt sanft und streng zugleich, hart, jenseitig, unendlich weit weg, aber | |
es könnte genauso gut aus dem Gulli unten auf der Straße aufsteigen. | |
Die japanische Künstlerin, die in der Küstenstadt [2][Yokohama] | |
aufgewachsen ist und nach einem Aufenthalt in New York, seit 2003 in Paris | |
lebt, forscht seit Langem im Wasser. Inspiriert dazu hat sie Musik von | |
Alice Coltrane und Terry Riley und deren Beschäftigung mit ritueller | |
indischer Musik. In Paris hat sich Sauvage mit dem indischen Instrument Jal | |
Tarang beschäftigt, einer Porzellanschale, die mit kleinen Stöcken bespielt | |
wird. Ihre eigenen Wasserklänge zeichnet Tomoko Sauvage mit | |
Unterwasser-Mikrofonen auf, die sie in mit Wasser befüllten Schalen aus | |
Glas und Porzellan ablässt. | |
## Singende Reiskörner | |
Die Luftblasen von Mineralwasser und die Durchlässigkeit des Porzellans | |
helfen dabei. Manchmal lässt Sauvage auch Reiskörner in die Schüsseln | |
rieseln, die zu singen beginnen. Mit Handbewegungen erzeugt die Künstlerin | |
im Wasser Wellenbewegungen, gleitet mit den Fingern die nassen Ränder | |
entlang oder lässt Tropfen von ihren Händen in die Schalen fallen; | |
scheinbar minimale Veränderungen, die maximale Wirkung erzielen: | |
gigantisches Glissando. | |
Effektgeräte und ein Looppedal nehmen dieses subaquatische Stöhnen und | |
Seufzen auf, bringen deren Chronologie durcheinander und vervielfältigen | |
das fluide Timbre beim Re-Inszenieren durch Verschiebungen und | |
Erschütterungen zu sinuskurvenartigen Geräuschkulissen. | |
Zudem interessiert sich Tomoko Sauvage (Sternzeichen Fisch!) immer für die | |
Umgebung ihrer Aufnahmeorte. Auch auf „Fischgeist“, das in den Hallen einer | |
ehemaligen Konservenfabrik in Berlin aufgenommen wurde, schwingen die | |
akustische Umgebung und ihre Resonanzen mit. Es fungiert zugleich als | |
Field-Recording aus einem alten Industriegebäude. Drinnen befanden sich | |
leere Wassertanks und Aquarien, die Sauvage nach Klangquellen abgetastet | |
hat. | |
## Bedrohliche Geräusche | |
Was ist von den Lebewesen, die hier einst zu Nahrung verarbeitet wurden, | |
noch an Spuren erhalten? „Fischgeist“ ist an keiner Stelle Entspannung oder | |
Meditation. Oftmals klingen die Geräusche unheimlich und bedrohlich, man | |
denkt an [3][J. G. Ballards] SciFi-Roman „Paradiese der Sonne“, in dem die | |
Erde durch Klimaerwärmung und den Anstieg des Meeresspiegels in weiten | |
Teilen wieder überflutet ist und riesige Amphibien auf Beute warten. | |
Zombie-Apokalypse unter Wasser. | |
Der August gilt in Fernost als Geistermonat, zu dessen Ende das sogenannte | |
Ullambana-Fest gefeiert wird. An den Küsten werden kleine Papierboote und | |
Laternen zu Wasser gelassen, um die Geister nach ihrem Besuch im Diesseits | |
wieder den Weg ins Jenseits zu weisen. Wie der Titel „Fischgeist“ schon | |
sagt, spuken auch in der Musik von Tomoko Sauvage Gegenstände und Geräusche | |
im Wasser, in der Elektrizität, im Raum umher. | |
6 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] /FKK-Festival-in-Bamberg/!5708253/ | |
[2] https://www.cupnoodles-museum.jp/en/yokohama/ | |
[3] /Schluesselwerk-von-JGBallard-Crash/!5642885/ | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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