# taz.de -- Neue-Musik-Ensemble LUX:NM: Oh, wie ist das gruselig | |
> Rot glänzt das Blut auf der Nagelschere: Das Berliner Ensemble LUX:NM | |
> erforscht böse Welten und düsteren Klang mit dem Album „Dark Lux“. | |
Bild: Schon etwas geheimnisvoll: LUX:NM spielt „Dark Lux“ | |
So klingen musikalische Abgründe: Eine tonlose Stimme rezitiert „D wie | |
Doppelehe, E wie Exhibitionismus, F wie Freiheitsberaubung …“ Das Abc wird | |
von einem Beat aus Samples begleitet: fetzenhaftes Schnarren, Knarzen, | |
Klirren, Keuchen. Die gruseligen Geräusche mahlen langsam in Dauerschleife. | |
„Das Abc der Straftaten“ ist Teil des neuen Albums von LUX:NM, einem | |
zeitgenössischen Musikensemble mit internationalem Renommee. | |
Gegründet haben es 2010 die Saxofonistin Ruth Velten und die Akkordeonistin | |
Silke Lange, beide sind auch die künstlerischen Leiterinnen der Gruppe. Ihr | |
Ansatz: vielseitige und selbstbestimmte Kammermusik mit einer klanglich | |
flexiblen Besetzung. Die Mitglieder komponieren, improvisieren, | |
interpretieren und kuratieren, sie entwickeln ihre eigenen dramaturgischen | |
Konzepte und szenischen Ideen. Jetzt ist daraus das Album „Dark Lux“ | |
entstanden – Horrormusiken in Ersteinspielung! Denn die 22 kurzen Stücke | |
widmen sich der Welt der Abgründe: Es geht um Hohngelächter, bedrohliche | |
Klangcollagen, düstere Farben und Schauder. | |
Das Ensemble hat dafür die Hörspielautorin Sarah Trilsch, den Komponisten | |
Gordon Kampe und den Sounddesigner Jan Brauer (Teil des elektronischen | |
Trios [1][Brandt Brauer Frick]) beauftragt, gemeinsam Werke über das Böse | |
zu komponieren. Die Miniaturen sind Grusel mit Augenzwinkern. Sie strotzen | |
nicht vor gähnender Schwärze und Düsternis, sondern lassen auch Licht zum | |
Vorschein kommen. Das ist bei der Besetzung auch nicht verwunderlich – | |
gerade Gordon Kampe ist berühmt für seine humorvollen Kompositionen. | |
Auf die Spitze getrieben wird das in Kampes „Vogellied“. Das Stück erinnert | |
mit Akkordeon und Dreivierteltakt zunächst an ein simples Volkslied. Silke | |
Lange tritt als Liedermacherin auf, die wie die Naivität in Reinform von | |
einem Vögelchen in ihrer Hand singt – das sie letztendlich mit einer | |
Nagelschere killt und an dessen rot glänzendem Blut sie sich erfreut. | |
Makaber bis aufs Äußerste! | |
## Ausreizen der Grenzen | |
Hier hört das Konzeptalbum aber nicht auf, sondern legt noch eine Schicht | |
darüber. Die Musiker:innen von LUX:NM nehmen die Auftragswerke als | |
Vorlage, um darauf ihre eigenen Ideen und Inhalte zu platzieren. Das | |
„Vogellied“ wird beispielsweise mit Field Recordings von Vogelzwitschern | |
und Kinderstimmen verziert. Auch hier reizt das Ensemble die Grenzen des | |
Möglichen aus: Die „Tarantella“ wird so stark transformiert, dass dadurch | |
ein ganz neues Stück entsteht: „Dark Ego“, das mit Fragmenten der Vorlage, | |
neuen Klangebenen und Text weitere Deutungsräume aufspannt. | |
Jedes Stück besteht aus mehreren Folien, die sich übereinanderlegen: Die | |
Partitur und die Sounds des Ensembles, Komposition und Improvisation, | |
Dunkelheit und Licht. Diese Reichhaltigkeit macht das Album aus. | |
Das Ensemble LUX:NM beeindruckt durch seine Unerschrockenheit. Die | |
Musiker:innen begegnen Form, Klangsprache und Inhalt mit | |
Experimentierfreude. Sie spielen zielgerichtet, ohne sich dabei zu sehr | |
festzulegen. Ihre Klangsignatur ist bestimmt, aber nicht bestimmend. Mal | |
geht es um das Konkrete – in Einspielern wie Herzklopfen und | |
Autoreifenquietschen. Oder aber, der Fokus liegt auf einer spezifischen | |
Atmosphäre, in der düster-schräge Sounds umherwabern. Die Elektronik von | |
Jan Brauer unterstützt hier wunderbar die driftenden Klangsphären. | |
Die einzelnen Bestandteile des Albums greifen schlüssig ineinander – trotz | |
der Frickelarbeit im Studio, die einzelnen Schnipsel und vielen Schichten | |
miteinander zu verknüpfen. Besonders gut gelingt das zwischen dem Text und | |
der kommentierenden Musik. Wahrscheinlich ist hierfür der | |
Entstehungsprozess entscheidend: Noch vor der Musik des Albums entstand | |
nämlich ein gleichnamiges Hörstück. Für das Konzeptalbum haben die | |
Künstler:innen ihr Projekt noch einmal revidiert und primär die Texte | |
überarbeitet. | |
Ihre eigenen Ideen haben die Musiker:innen von LUX:NM wie Mörtel | |
zwischen den einzelnen Materialbausteinen platziert. Nicht bei allen | |
Stücken wird die Relevanz für das Album gleich klar – trotzdem: Alle | |
beeindrucken durch ihre künstlerisch-kreative Qualität. Das Böse in all | |
seiner Ambivalenz ist Teil unserer komplexen Wirklichkeit. Daher wirkt auch | |
der Humor nie fehl am Platz. „Dark Lux“ ist ein großartiges | |
Gesamtgruselwerk zwischen unterschiedlichen Disziplinen, Traditionen und | |
Widrigkeiten im alltäglichen Leben. | |
23 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Sophie Beha | |
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