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# taz.de -- Neneh Cherrys Raw Like Sushi: Straßenschlaue Rohkost
> Vor 30 Jahren hat die schwedische Sängerin Neneh Cherry ihr Debütalbum
> „Raw Like Sushi“ veröffentlicht – nun wird es mit einer Neuauflage
> geehrt.
Bild: „It’s about female strength, female power, female attitude“: Neneh …
Im Jahr 1989 gab es noch längst kein Sushi an jedem Bahnhofskiosk,
zumindest nicht außerhalb Japans. Und HipHop schaffte es damals eher selten
bis ganz nach vorn in die Charts. Bis, ja bis eine Frau namens [1][Neneh
Cherry] kam und ein Debütalbum namens „Raw Like Sushi“ vorlegte. Die
25-Jährige kreierte mit ihrer unorthodoxen Mischung aus HipHop, Pop und
Dancefloor einen Sound, den man so noch nicht gehört hatte.
Ein halbes Jahr zuvor hatte die Schwedin mit „Buffalo Stance“ einen
Smash-Hit gehabt. So mancher in der Musikindustrie glaubte schon, man könne
Cherry im Sinne von Madonna zu einem neuen Superstar aufbauen. Mit ihrem
Debüt machte [2][Neneh Cherry] hingegen eher deutlich, dass sie in ihrer
eigenen Liga spielt. Und dass sie – bei allem Popappeal – für eine Haltung
steht, die man aus der alternativen Musikszene kannte.
Tatsächlich wirkt die Zeile aus „Buffalo Stance“: „No moneyman can win my
love / It’s sweetness that I am thinking of“ geradezu wie eine Replik auf
Madonnas Geldscheingewedel in dem Song „Material Girl“ (1984). Rückblickend
wirkt auch ihre Kritik an maskulinem Geprotze und dem Hochjubeln von
Statussymbolen, die im HipHop bald eine zentrale Rolle spielen sollten,
fast prophetisch.
## 30 Jahre Jubiläum
Roh war „Raw Like Sushi“ tatsächlich – und zugleich ein bemerkenswerter
Kessel Buntes. Von heute aus verblüfft an Cherrys Soloalbum auch, weil
darin Themen und Positionen angelegt sind, die die (Musik)-Welt erst in den
Folgejahrzehnten umtreiben sollten – aber Cherry verhandelte sie zum
denkbar frühen Zeitpunkt, und zwar auf eine verspielte, ergebnisoffene
Weise. Insofern hat es seine Berechtigung, wenn das Album nun zum
30-jährigen Jubiläum der Veröffentlichung mit einer Neuauflage geehrt wird.
Ende der achtziger Jahre gab es ja nicht nur entscheidende historische
Umwälzungen in der Weltpolitik, um nur mal das Ende des Ostblocks und die
beginnende Demokratisierung der ehemaligen sozialistischen Staaten zu
nennen. Auch die Popwelt war in rapidem Wandel begriffen. Die
traditionellen Hegemonien USA und Großbritannien verloren allmählich an
Einfluss, speziell die männlich geprägte Rockmusik – und auch die damit
einhergehenden Narrative.
HipHop wurde zur weltumspannenden Jugendkultur, Soul und Funk in Reinform
rückten in den Hintergrund. In Europa ging Rave durch die Decke. Neneh
Cherry verkörperte all diese Veränderungen und mischte ihnen eine sehr
persönliche Note bei. Sie bildete die Diversifizierung und Globalisierung
des Pop ab wie kaum eine Künstler*in ihrer Zeit.
Die Schwedin war schon in ihrer Jugend zwischen ihrer Heimat und New York
gependelt, wo ihr Stiefvater, der Freejazz-Trompeter Don Cherry, seinen
Lebensmittelpunkt hatte. Tatsächlich klingt „Raw Like Sushi“ ziemlich
amerikanisch, eine eigenwillige Fusion aus Euro-Dancepop und US-HipHop.
## In der Londoner Punkszene
Auch in Großbritannien hatte Cherry ihre Homebases: Bereits 1980 hatte sie
als 16-jährige Teenagerin in London an die Punkszene angedockt. Bald darauf
war sie in Bristol mit dem avantgardistischen Post-Punk-Kollektiv Rip Rig +
Panic unterwegs, dann etwas später auch mit der Wild-Bunch-Posse (aus der
dann Massive Attack hervorgingen) – frühe Adepten von Rapkultur in Europa.
Nebenbei verdiente Cherry ihre Geld als Model. Sie saß auf spezielle Art
zwischen allen Stühlen, eine multiplikatorische Position, die sich als
produktiv erweisen sollte. Erwähnenswert etwa das fantastische
Massive-Attack-Debütalbum „Blue Lines“ (1991), es wurde von Cherry nach
ihrem Charterfolg mitfinanziert.
Verglichen mit dem immer noch geschmeidig wirkenden Sound des
Massive-Attack-Debüts klingt die Musik auf „Raw Like Sushi“ heute viel
eckiger – was wohl weniger an den Songs und ihren Themen als an der
Produktion liegt.
## Catchy, überfrachtet und launisch
„Raw Like Sushi“ wirkt zwar unfertig, aber zugleich wagemutig. Die Tracks
sind catchy, manchmal etwas überfrachtet und launisch. Organisch wirkendes
Songwriting sitzt Schulter an Schulter mit generischen Popsounds. Bei all
dem ist das Album bemerkenswert vielstimmig, auch auf der Textebene.
Abgenudelt wirkende Phrasen der romantischen Beschwerde („You took my man /
the only one I ever had“ aus „Heart“) stehen neben einer eigenen Sprache,
mit der sie griffig ihre Umgebung beobachtet (Who’s that gigolo on the
street / With his hands in his pockets and his crocodile feet? Hanging off
the curb, looking all disturbed“ aus „Buffalo Stance“).
In den Songs steckt neben einer radikalen Subjektivität ein recht
bedeutungsoffener Sozialkommentar – ein Ansatz, der sich auch in Cherrys
späterem Schaffen, zuletzt „Broken Politics“ (2018), wiederfand.
„Raw Like Sushi“ wirkt introspektiv und straßenschlau zugleich. Dazu kommt
eine dezidiert weibliche Perspektive, die seinerzeit frisch wirkte, die
Cherry aber nicht feministisch nennen wollte: „It’s not a feminist record �…
none of my songs are. It’s about female strength, female power, female
attitude“, sagte sie seinerzeit. Aus heutiger Sicht würde zumindest ihr
Publikum das wohl anders sehen und Empowerment dazu sagen.
Cherry schlug in den folgenden Jahren einen ruhigeren Weg ein. Mit dem
Nachfolger „Homebrew“ (1992) feierte sie, wie auch mit dem elegischen Song
„7 Seconds“ (1994, mit Youssou N’Dour), große Erfolge. Von Ende der
Neunziger an legte sie eine lange Pause ein, ehe sie 2014 mit „Blank
Project“ ein eindrucksvolles Comeback feierte.
Die Songs von „Raw Like Sushi“ taugen heute weniger als Alltagsbegleiter,
aber wer sich darauf einlässt, der tritt eine Zeitreise an, bei der
nachzuspüren ist, was damals in der Luft lag.
12 Feb 2020
## LINKS
[1] /Konzert-von-Neneh-Cherry-in-Berlin/!5572139
[2] /Neneh-Cherry-ueber-politischen-Hass/!5539585
## AUTOREN
Stephanie Grimm
## TAGS
Popgeschichte
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