# taz.de -- Neneh Cherry über politischen Hass: „Man muss diese Wut kanalisi… | |
> Taugt Zärtlichkeit als Antwort? Sängerin Neneh Cherry über den Glauben, | |
> dass man als Individuum Dinge verändern kann – und ihr neues Album | |
> „Broken Politics“. | |
Bild: Neneh Cherry beim Pop-Kultur-Festival in Berlin | |
Neneh Cherry, geboren 1964, wuchs in Schweden auf. Ihre Mutter war die | |
Malerin Monika Karlsson, ihr Stiefvater der Jazztrompeter Don Cherry. Im | |
Alter von 14 schmiss sie die Schule, ging nach London und dockte an die | |
Punkszene an. Anfang der Achtziger spielte sie in Bristol mit der Band Rip, | |
Rig&Panic, in den Neunzigern dann in der TripHop-Szene um die Band Massive | |
Attack. Mit ihrem Solodebütalbum „Raw Like Sushi“ (1989) landetet sie einen | |
Smashhit: „Buffalo Stance“. Es erschienen vier weitere Soloalben und | |
etliche Kooperationen, etwa mit dem Rock-Jazz-Electro-Duo RocketNumberNine. | |
Nach langer Pause brachte sie 2014 das Album „Blank Project“ heraus, nun | |
veröffentlicht die 54-Jährige mit „Broken Politics“ ein neues Werk. Wir | |
trafen die Musikerin in London. | |
taz am wochenende: Neneh Cherry, im Vergleich zu [1][dem rauen, | |
rhythmusgetriebenenn Vorgänger „Blank Project“] wirkt Ihr Album „Broken | |
Politics“ warm und knisternd – trotz aller Dissonanzen, die ebenfalls in | |
dem Sound stecken. Wollen Sie mit diesem triphoppigen Vibe Trost in | |
ungemütlichen Zeiten spenden? | |
Neneh Cherry: Vielleicht will ich vor allem mich selbst trösten. (lacht) | |
Unlängst ist mir aufgefallen, dass mich die Entwicklung zwischen den beiden | |
neueren Album an „Raw Sushi“ von 1989 und den Nachfolger „Homebrew“ | |
erinnert. „Raw Sushi“ klang roh und unbearbeitet, das darauf folgende Album | |
dann viel eleganter. Auf seltsame Weise hat sich das nun wiederholt. Es | |
ging mir tatsächlich auch darum, ein bisschen Schönheit und Zärtlichkeit in | |
die Welt zu bringen, einfach weil sich die Gegenwart so düster anfühlt. Es | |
ist mir ein Bedürfnis, darauf zu reagieren, auch auf Textebene den Dialog | |
zu eröffnen. | |
Taugt Zärtlichkeit als Antwort auf den Hass, der gerade aus allen Ritzen | |
kriecht? Wäre es nicht eher angebracht, wütend zu werden? | |
Mein Freundin Ari Up (die 2010 verstorbene Sängerin der Post-Punk-Band The | |
Slits) hatte einen tollen Titel, der hieß „Kill Them With Love“. Ich glaube | |
fest daran, dass im Leben eines zum anderen führt, und hoffe, dass dieser | |
ganze Mist uns wütend genug macht, um etwas dagegen zu tun. Für mich muss | |
es auch im Tunnel ein Licht geben – und den Glauben, dass man als | |
Individuum Dinge verändern kann. Anders kann ich nicht existieren. Wut ist | |
eine Energie, die in uns allen steckt und die es braucht. Es ist einfach, | |
selbstzufrieden die Zeit zu verdaddeln. Aber man muss diese Wut | |
kanalisieren. Es ist ein schmaler Grat zwischen Wut als positiver oder als | |
negativer Kraft. Vor diesem Grat habe ich großen Respekt. | |
Welche Rolle spielt Kunst in diesem Zusammenhang? | |
In dem Song „Synchronised Devotion“ geht es darum, welche Kraft etwa Musik | |
entwickeln kann. Selbst für Jugendliche, die irgendwo auf der Straße | |
abhängen, eigentlich nur alles kaputt machen wollen und zornig sind, kann | |
vieles plötzlich einen Sinn ergeben, wenn sie zusammen in einem Raum Musik | |
hören. Solche Momente können Großes bewirken. | |
Der Song „Shotgun Shack“ scheint davon zu handeln, mit welchen Waffen man | |
kämpfen, welchen Geist man aus der Flasche lassen will. Da singen Sie: | |
„Pick up a gun you know you gonna use it / Know that gun its gonna get | |
loaded.“ | |
In „Shotgun Shack“ geht es ganz konkret darum, dass Menschen, die eine | |
Waffe mit sich herumtragen, diese vermutlich auch benutzen werden – einfach | |
weil sie ihnen Macht verleiht. Das ist vielerorts ein Problem, nicht nur in | |
den USA und England. Das hat für mich auch Relevanz in einem weiter | |
gefassten Kontext: nämlich wie die westliche Welt funktioniert, womit wir | |
unser Geld verdienen. Die Waffen, die wir in alle Welt verkaufen, stacheln | |
Konflikte mit an. Auch das neutrale Schweden hat eine florierende | |
Rüstungsindustrie. Und dann erzählen wir Menschen aus Krisengebieten: | |
„Zu uns könnt ihr nicht kommen – auch wenn wir gut Geld damit verdienen, | |
dass ihr umgebracht werdet.“ | |
Sie haben Ihre Laufbahn in den siebziger Jahren begonnen. In dem erwähnten | |
Song, „Synchronised Devotion“, behandeln Sie auch das Spannungsfeld von | |
Nostalgie und Erinnerung. War es früher leichter, zu glauben, dass sich die | |
Dinge zum Positiven wenden? | |
Ich verachte den nostalgischen Blick. Er führt dazu, dass wir uns | |
zurücklehnen und denken, dass die Dinge früher besser waren. Obwohl sie | |
doch nur anders waren. Aber natürlich ist heute manches wirklich schwierig. | |
Als ich als Teenager nach London zog, konnte jeder ein Haus besetzen. | |
Einfach anarchisch sein Ding zu machen ist heute nicht mehr so einfach. | |
Heute leben wir in Städten, die als Plazas für Multimillionäre „erneuert“ | |
werden Und obwohl ich Nostalgie für gefährlich und falsch halte, wäre es | |
gleichermaßen töricht, nicht auch zurückzublicken und meine eigene | |
Vergangenheit wertzuschätzen. Immerhin habe ich es bis hierhin geschafft. | |
Es gibt tolle jüngere Leute, die Spannendes auf die Beine stellen, nicht | |
nur in der Kunst, auch in sozialen Belangen – auch wenn die Verhältnisse | |
andere sind. Ich habe das Glück, mit einigen von ihnen zu arbeiten. | |
Etwa mit Kieran Hebden alias Four Tet, der Ihr neues Album und auch schon | |
den Vorgänger produziert hat. Überhaupt haben Sie sich ein enges Netzwerk | |
von regelmäßigen Mitstreitern gespannt. Wie kann man sich die | |
Zusammenarbeit vorstellen? | |
An die Songtexte muss ich erst einmal allein ran, das ist wie Wäsche | |
waschen. Dann kommt die Arbeit mit Cameron [McVey; Cherrys Ehemann, mit dem | |
sie seit „Raw Sushi“ künstlerisch eng zusammenarbeitet]. Nach sechs Wochen | |
im Studio hatten wir 14 Songs und sind damit zu Kieran gegangen. Er hatte | |
ähnliche Vorstellungen, wie es klingen soll, eine Mischung aus | |
elektronischen und organischen Sounds. Da das nach „Blank Project“ nun | |
das zweite Album war, für das wir zusammengearbeitet haben, fühlt es sich | |
schon fast wie eine gemeinsamen Reise an. Überhaupt kam bei der Arbeit an | |
diesem Album enorm viel Vergangenheit und Gegenwart zusammen. Es gibt auf | |
dem Album viele Sounds, die mich an meine Eltern erinnern. Mir wird immer | |
mehr bewusst, dass ich auch ihr Erbe weiterführe. Wir haben in den Creative | |
Music Studio in Woodstock aufgenommen, die dem Jazzvibrafonisten Karl | |
Berger gehören. Er hat schon vor 50 Jahren mit meinem Vater zusammen | |
gespielt und jetzt das Vibrafon auf „Synchronised Devotion“ beigesteuert. | |
Ein Stück, das kurze Intermezzo „Poem Daddy“, klingt ebenfalls nach der | |
Weiterführung einer Tradition. Dort zitieren Sie die Last Poets, legendäre | |
Vorreiter des HipHop: „Blessed are those who struggle / Oppression is worse | |
than the grave / Better to die for a noble cause / Than to live and die a | |
slave.“ Das klingt fast irritierend heroisch, ein Kontrast zu all den | |
Texten, in denen Sie eher nach Orientierung suchen – wie eine altmodische | |
Pose eines Edelmannes. | |
Vielleicht klingen diese Zeilen tatsächlich sehr männlich, altmodisch und | |
ehrenhaft. Ich habe schon immer gerne Gendergrenzen überschritten. (lacht) | |
Diese Worte begleiten mich schon lange, ich finde sie wunderbar. Wenn ich | |
auf der Bühne mal nicht weiß, was ich als Nächstes tun soll, rezitiere ich | |
sie. Sie sind eine Art Mantra für mich geworden. | |
20 Oct 2018 | |
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## AUTOREN | |
Stephanie Grimm | |
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