# taz.de -- Musikerin über die Macht von Frauen: „Frauen werden noch ausgela… | |
> Die britische Musikerin FKA Twigs über Rassismus im Ballett, | |
> gregorianischen Gesang und ihr neues Album „Magdalene“. | |
Bild: Es war nicht alles finster im Mittelalter: FKA Twigs | |
taz: FKA Twigs, Ihr neues Album heißt „Magdalene“ und bezieht sich im Titel | |
auf [1][Maria Magdalena], eine Gestalt aus dem Neuen Testament, die in | |
christlichen Überlieferungen besonders im Mittelalter bedeutsam war. Die | |
Musik des Auftaktsongs, „A Thousand Eyes“, weckt nun auch Erinnerungen an | |
die Musik des Mittelalters. Wie kamen Sie auf diese Idee? | |
FKA Twigs: Zuerst habe ich den Song komponiert und danach eine Bühnenshow | |
dafür entworfen. Zu jener Zeit stand ich schon länger im Bann von | |
gregorianischem Gesang. Diese althergebrachte Form des Chorgesangs habe ich | |
dann mit meinen elektronischen Kompositionsideen kontrastiert. | |
Im Songtext geht es um weibliche Energie, eine Art [2][Magie], die von Frau | |
zu Frau über Generationen vererbt wird. So etwas wie die essenzielle | |
weibliche Energie, oder liege ich da falsch? | |
Richtig! Der rote Faden des Albums ist die mächtige Energie, die von Frau | |
zu Frau in jeder Familie weitervererbt wird. Und diese Macht verbindet alle | |
Generationen miteinander. Eine Form von spiritueller Energie! Allein die | |
Tatsache, dass wir Frauen gar nicht mehr über solche Dinge reden, fühlt | |
sich für mich an wie ein Trick des Patriarchats. Vor 200 Jahren hätte man | |
uns noch auf dem Scheiterhaufen verbrannt, wenn Frauen öffentlich über | |
solche Themen gesprochen hätten. | |
Das ist heute anders. Nun werden wir ausgelacht, aber auch das ist eine | |
Taktik, um uns Angst zu machen vor unserer eigenen Magie, unserer eigenen | |
Macht. Dabei sind wir es, die Leben schaffen! Und das ist eine der | |
magischsten Fähigkeiten, die es gibt. Pah! Wie schlimm wäre es, wenn uns | |
Frauen bewusst wäre, wie mächtig wir eigentlich sind? Das würde einigen | |
Leuten wohl nicht schmecken. Dann könnten wir ja was ändern! | |
Was genau hat Sie an Maria Magdalena inspiriert? | |
Mich reizt die Ambivalenz dieser Figur. Ich beschreibe mit Maria Magdalena | |
eine Dualität. Einerseits greife ich die Darstellung als Prostituierte auf, | |
andererseits als jungfräuliche Heilende. Sie war innovativ, aber | |
gleichzeitig auch eine Verführerin, sie war sich ihrer Sinnlichkeit | |
durchaus bewusst. Diese Symbolik wiederzubeleben hat mir persönlich sehr | |
geholfen, als es mir richtig mies ging. Weil ich mir selbst dadurch bewusst | |
geworden bin, dass ich als Frau beides sein kann, sowohl Jungfrau als auch | |
Hure. Diese Uneindeutigkeit, das Konzept der heiligen Prostituierten hat | |
mich inspiriert. | |
Auf dem neuen Album inszenieren Sie sich erstmals auch als Tänzerin, Sie | |
haben Choreografien zu Ihren neuen Songs entworfen und treten damit auch | |
selbst in Aktion. Obwohl Sie ausgebildete Tänzerin sind, haben Sie diesen | |
Teil Ihrer künstlerischen Tätigkeit in Ihrer eigenen Musik bisher kaum | |
eingebracht. Täuscht mein Eindruck, oder haben Sie bisher tatsächlich | |
gezögert, den Tanz auch in Ihrem eigenen Werk einzusetzen? | |
Stimmt! Ich habe lange Zeit als Backgroundtänzerin für andere Künstler | |
gearbeitet, aber diese Auftragsarbeiten haben mich daran gehindert, selbst | |
an Choreografien oder Tänzen zu meiner eigenen Musik zu feilen. Aber jetzt | |
finde ich langsam den Mut, den Tanz auch in meiner eigenen Kunst | |
einzusetzen. Ich arbeite mit Choreografen, die mir helfen, meinen eigenen | |
Stil zu finden. Das Gleiche gilt für meine Stimme. Ich habe immer nach | |
einem eigenen Weg gesucht, sie einzubringen und mich trotzdem dabei wohl zu | |
fühlen. Ich wusste nie, wie ich meine eigenen Songs komponieren sollte. | |
Trotz meiner klassischen Gesangsausbildung habe ich mich nicht getraut, | |
alles rauszulassen. | |
Meine Stimme hat viele Register, das kommt auf „Magdalene“ viel besser zur | |
Geltung als früher. Außerdem habe ich eine hohe, kristallklare Stimme. Aber | |
in der Popwelt, in der momentan Autotune dominiert, ist das nicht das, was | |
man braucht, dachte ich lange. Aber wie alle KünstlerInnen lerne ich aus | |
meinen Fehlern, und ich habe das Gefühl, dass ich mich auf „Magdalene“ aus | |
einer Art Käfig befreit habe. Jetzt bin ich bereit, neue Wege | |
auszuprobieren. | |
Sie sind in England geboren und aufgewachsen, sagen aber oft, dass es | |
wichtig für Ihre Musik ist, dass ein Teil Ihrer Familie afrikanische | |
Vorfahren hat. Waren Sie sich dessen schon Ihr ganzes Leben lang bewusst? | |
Ja, das ist etwas, das mir schon als Kind bewusst war. Ich war damals sehr | |
verwirrt und wusste nicht, welche Fragen ich stellen sollte, um mir die | |
Suche nach meiner Identität zu vereinfachen. Ich hatte das Glück, in einer | |
sehr multikulturellen Familie aufzuwachsen, in der Musik ganz wichtig war. | |
Alle hörten völlig unterschiedliche Musik, auch die Menschen, die bei uns | |
ein und aus gingen. Aber wenn man älter wird, dann hängt man nicht mehr so | |
oft zu Hause rum. In der Schule und wenn ich mit Freunden unterwegs war, | |
fühlte ich mich geächtet, nicht akzeptiert. Erst, als ich von meiner | |
Heimatstadt nach London zog, veränderte sich das. Und mittlerweile komme | |
ich halbwegs damit klar. | |
Obwohl unser Planet nicht in der besten Verfassung ist, glaube ich, dass es | |
heute für junge Menschen viel einfacher als früher ist. Es muss befreiend | |
sein, heutzutage aufzuwachsen! Heute gibt es so viele verschiedene | |
Möglichkeiten, sich online auszutauschen. Bis ich etwa 20 Jahre alt war, | |
spielte das Internet für mich keine große Rolle. Klar gab es das Internet | |
schon, aber eben nicht bei uns zu Hause. Bis ich 22 war, hatte ich keinen | |
Laptop und dauerhaften Internetzugang. Damals habe ich andere Musik gehört | |
als die anderen Leute, mit denen ich befreundet war, und ich dachte, ich | |
bin wahrscheinlich die Einzige, die je von diesen Künstlern gehört hat. Das | |
hat mich verwirrt, und ich fühlte mich sogar schuldig, dass ich „anders“ | |
war. Aber heute tippe ich einfach den Namen eines Künstlers, den ich mag, | |
in die Tastatur, und finde sofort Gleichgesinnte, mit denen ich mich | |
austauschen kann. | |
Sie sind ausgebildete Tänzerin. Wie haben Sie sich in der Welt des | |
[3][Balletts] gefühlt? | |
Als ich das erste Mal in New York war, mit 19 Jahren, habe ich irgendwem | |
erzählt, dass ich Tänzerin sei. Und der hat mich wiederum auf den schwarzen | |
Choreografen Alvin Ailey aufmerksam gemacht. Ailey, der selber Tänzer war, | |
hat 1958 eine Ballettschule für Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner | |
gegründet. Erst durch seine Geschichte habe ich kapiert, was mich von all | |
den anderen, weißen Mädchen in meinem Kurs in England unterscheidet. Hätte | |
ich das doch vorher gewusst, dann wäre ich mit 16 nach New York | |
ausgewandert! Mir wurde der klassische Balletttanz regelrecht verleidet! | |
Wie oft wurde mir gesagt: Mach lieber Streetdance, damit verdienst du mehr | |
Geld! Allein durch solche Aussagen wurde ich andauernd an meine Herkunft | |
erinnert. | |
31 Oct 2019 | |
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[2] /Bjoerk/!t5014036 | |
[3] https://www.alvinailey.org/ | |
## AUTOREN | |
Amy Zayed | |
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