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# taz.de -- Postergirl der Popmusik: FKA Twigs strebt nach Transzendenz
> Neuer Stern am britischen Glamourhimmel: Das Debüt von FKA Twigs ist ein
> weiterer Schritt zum Gesamtkunstwerk, das aus der Gegenwart fällt.
Bild: Stets sublim statt subversiv – und ein Schuss Frida Kahlo.
Es sind die Augen. Weit aufgerissen schauen sie in die Kamera, dunkel und
glänzend. Diese Augen gehören Talilah Barnett, aber es sind nicht ihre. Es
sind die Augen ihres digitalen Avatars: FKA Twigs. „He won’t make love to
me now“, haucht dieser Avatar über einem gesampelten Stimmenchor und einem
minimalen R&B-Beat: Jedes Wort wird digital verdoppelt und gedehnt. „Water
me“ heißt dieses Video, mit dem Barnett die Facebook-Walls und Videoblogs
eroberte.
Gut ein Jahr ist das her, und seitdem wird die Sängerin herumgereicht – als
Postergirl einer Popmusik, die endlich zu unserer Gegenwart aufgeschlossen
hat. Kommende Woche erscheint ihr Debütalbum. „LP1“ heißt es, dreizehn
Songs sind darauf enthalten. Vorgesehen war es so nicht. Thalila Barnett
hat die üblichen Stationen einer Popjugend – DJ-Boxen, Laptops oder
Proberäume – lange gemieden.
Statt zu den Spice Girls tanzte sie als Kind lieber Calypso zu Marvin Gaye
und hörte Gospelsound. Aufgewachsen ist sie in Gloucestershire, dort wo die
Wiesen auf Englands grünen Hügeln am saftigsten sind.
Es ist für Jugendliche weit weg vom unerreichbaren London, wo darüber
gerichtet wird, wer die Zukunft britischer Popmusik verkörpern darf. Im
Moment stehen die Chancen gut, dass es FKA Twigs sein wird. Sie
veröffentlicht auf Young Turks, dem Label von Jamie XX, dem Mastermind von
The xx.
## In die Stille fallen
Für das Internetmagazin Dazed posierte sie in einem Kleid von Vivian
Westwood. Schon letztes Jahr war sie auf dem Cover der Lifestylebibel I-D
zu sehen; auf ihre Stirn hatte sie „Love“ geschrieben, das rechte Auge
zugekniffen, ihr Gesicht ist durch das Objektiv und eine subtile
Bildbearbeitung verzerrt.
In solchen Momenten holt FKA Twigs ihre Vergangenheit ein. Twigs – Zweige
–, das ist ihr Spitzname, weil ihre Knochen knacken, wenn sie die Arme
streckt, wie sie es im Ballettunterricht gelernt hatte.
Ihr Debütalbum ist nun ein weiterer Schritt zum Gesamtkunstwerk. Dreizehn
Songs mit schleppenden, elektronischen Beats, die an ihren Höhepunkten
einfach in die Stille fallen, bevor sie aufgefangen werden – von einem
flattrigen Subbass oder von einem gehauchten Vokal.
Produziert hat es FKA Twigs mit einer Reihe junger Produzenten: dem R&B-Duo
inc., Kanye-West-Kollaborator Arca oder Clams Casino, allesamt Meister der
ätherischen Beatschmiederei zwischen Heimstudio und nächstem großen Ding.
Wenn es einen gemeinsamen Nenner all dieser Musiker und FKA Twigs gibt,
dann ist es das Streben nach Transzendenz, nach dem Überirdischen und
Überzeitlichen, dass in ihrer Musik durch die Verfremdung von
Gesangssamples bezeichnet wird.
## In Hall ertränkten Seufzern
Nun kommt das Transzendenzbestreben in Pop unterschiedlich zum Vorschein,
vom manischen „Break on through“ eines Jim Morrison bis hin zu
selbstvergessenen Nächten in der Church of House. FKA Twigs und ihre
Produzenten entscheiden sich für die formalistischste Variante: Goth und
New Wave.
Auf „LP1“ wimmelt es von digitalen Chören, von in Hall ertränkten Seufzern
und Kieksern und der Stimme, die engelsgleich über dem Ganzen schwebt und
vom Verschwinden und der Wiederkehr der Liebe singen, in der FKA Twigs
immer den Ton angibt. „I don’t need you / I love my touch“, singt sie auf
„Kicks“, während ihre Stimme in der Ferne Pirouetten schlägt und als
zerstäubte Spur immer wieder zu ihr zurückkehrt.
Dabei geht FKA Twigs die comichafte Überzeichnung, der Spaß an der
hedonistischen Selbstzerstörung vor dem Hintergrund von Thatcherismus und
Nato-Doppelbeschluss, der den Gothic-Sound der frühen 80er Jahre
charakterisierte, vollkommen ab. Im Gegenteil, das Selbst ist bei FKA Twigs
aus den feinsten Zutaten zusammengesetzt: ein wenig Siouxsie Sioux, ein
Schuss Frida Kahlo und ganz viel Cocteau Twins – stets sublim statt
subversiv.
## Das ist die Zukunft
Wenn das die Zukunft ist, dann ist es eine, in der Menschen mit offenen
Mündern vor dem Gesamtkunstwerk FKA Twigs stehen und vor Staunen und
Verzückung sterben.
„Ich denke schon, dass meine Musik ermächtigend wirkt“, sagte FKA Twigs in
einem Interview. Vielleicht meint sie damit die Art, wie die Personen ihre
Lieder über verflossene und künftige Liebhaber reden, die stets ein
Anhängsel ihrer Definitionshoheit sind.
Vielleicht meint sie auch ihre eigene Laufbahn – vom Kind eines
jamaikanischen Vaters und einer spanischstämmigen Mutter in Gloucestershire
zu der Musikerin, die britische Popmusik aus der Retrofalle befreien
könnte. „Kunst hat mir geholfen, mit meinem Außenseiterdasein
zurechtzukommen“, sagt sie.
Aber warum ist die Kunst von FKA Twigs dann ins Zeitlose gewendet, dem
multikulturellen Eklektizismus der Londoner Dancemusik samt ihrer campen
und queeren Aneignungen enthoben?
## Erhabenheit statt Punk
FKA Twigs ist damit nicht allein – James Blake und The xx bedienen das
gleiche Bedürfnis nach Erhabenheit, das so ungebrochen in Szene gesetzt
wird, als hätte Punk nie stattgefunden. Aber anders als diese bindet FKA
Twigs die Erhabenheit immer wieder an den Körper zurück, der sich so grazil
bewegen darf, wie es der Alltag schon lange nicht nicht mehr zulässt.
Im Videoclip zu „Ache“ steht Skullie von der Londoner Krump-Tanzcrew Wet
Wipez in einer Tiefgarage. Er trägt einen Kopfschutz, eine Mischung aus
Maulkorb und Gasmaske. Langsam streckt er die Arme in Richtung einer
Neonröhre, zieht sich zurück und windet sich drei Minuten voller Schmerzen
in Zeitlupe, während die Kamera im Close-up niemals mehr als seine
Schultern und das Gesicht zeigt. „I ache for you“, loopt FKA Twigs ihre
Stimme auf der Tonspur, jede Wiederholung ein wenig verschoben.
FKA Twigs fällt aus der Gegenwart, obwohl sie ein Teil von ihr ist. Anders
als bei einem animierten GIF und seinem akustischen Äquivalent, dem
Footwork-Track, wird Zeit nicht mehr hyperkomprimiert, um danach flexibel
als beschleunigter Instantaffekt eingesetzt zu werden.
Sondern die affektive Arbeit von Popmusik wird bei FKA Twigs in all ihren
Mühen ausgebreitet und gerade dadurch sichtbar. Caring ist hier das
Gegenteil von Sharing, nämlich verdichtete Konzentration. FKA Twigs erobert
sich die Zeit zurück.
25 Jul 2014
## AUTOREN
Christian Werthschulte
## TAGS
Pop
Glamour
James Blake
Schwerpunkt Rassismus
R&B
Pop
Pop
London
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Kanada
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