# taz.de -- Sleater-Kinney Sängerin über neues Album: „Ungestüm ist nicht … | |
> Laut, politisch und gefühlvoll: Carrie Brownstein und ihre Band | |
> Sleater-Kinney widmen sich den Themen Entfremdung und Social Media. | |
Bild: Carrie Brownstein und Croin Tucker: „Sleater-Kinney ist eher eine Band,… | |
taz: Carrie Brownstein, wer die Songs von Ihrem neuen Album „The Center | |
won’t hold“ hört, merkt sofort: Sie mögen nach wie vor laute Musik. | |
Carrie Brownstein: Auf jeden Fall. Lautstärke hat uns immer schon magisch | |
angezogen. Ich weiß, dass die meisten Leute von Musikerinnen in den 40ern | |
etwas anderes erwarten. Sie sollen leiser werden, kontemplativer. Man | |
braucht aber keine Stille, um in sich zu gehen. Mein Credo ist: Nur weil | |
sich jemand ungestüm gibt, ist man nicht gleich ignorant. Man macht sich | |
durchaus Gedanken über das, was um einen herum passiert. | |
Hat Sie das die Riot-Grrrl-Bewegung gelehrt? | |
Wir waren eigentlich keine richtigen Riot-Grrrl-Vertreterinnen. Als wir | |
Sleater-Kinney gegründet haben, war diese Bewegung bereits am Abebben. | |
Gleichwohl hat sie etwas verändert. Mittlerweile beanspruchen in allen | |
Bereichen der Musikindustrie mehr und mehr Frauen einen Platz. Sie singen, | |
sie schreiben, sie produzieren. | |
Zudem wehren sie sich im Zeichen der #MeToo-Kampagne zunehmend gegen | |
sexuelle Übergriffe. | |
Hoffentlich geht #MeToo nicht bloß als Medienhype in die Geschichte ein. | |
Ich wünsche mir grundlegende Veränderungen. Diesbezüglich sind wir zum | |
Beispiel mit der „Time’s Up“-Initiative auf einem guten Weg. Sie hat einen | |
Fonds, der Frauen in allen Berufen nach einem Sexualdelikt Rechtsbeihilfe | |
finanziert. | |
Sie selbst waren zwar kein Opfer sexueller Gewalt. Allerdings machte das | |
Magazin Spin Ihre Dates mit Ihrer Bandkollegin Corin Tucker öffentlich – | |
bevor Sie Ihr Coming-out hatten. | |
Ach, das ist unheimlich lange her … Der gesamte Artikel war äußerst | |
respektlos. Wir wurden verteufelt, mit integrem Journalismus hatte das | |
nicht das Geringste zu tun. Ich war gleichermaßen wütend und verletzt. | |
Immerhin steht es mir zu, die Kontrolle über mein eigenes Leben zu haben. | |
Wenn Sie Ihren Erfolg steuern könnten: Wären Sie gern als Musikerin so | |
populär wie als Schauspielerin mit Ihrer TV-Serie „Portlandia“? | |
Ich mache mir nichts vor: Fernsehen hat oft einen stärkeren Massenappeal | |
als Musik. Zumal wir uns mit unseren Songs nicht im Mainstream bewegen. | |
Sleater-Kinney ist eher eine Band, die polarisiert. Wir sprechen aus, womit | |
wir unzufrieden sind. Das kommt nicht bei jedem gut an. Auf der anderen | |
Seite gibt es jedoch Menschen, die sich extrem mit uns identifizieren. | |
Unsere Lieder vermitteln ihnen den Eindruck, dass da jemand ist, der sie | |
versteht. | |
Ihre Songs klingen düster und pessimistisch, während Ihre Serie von Ihrem | |
recht eigenwilligen, oftmals euphorischem Humor lebt. Wie passt das | |
zusammen? | |
Sowohl meine Musik als auch die von mir entwickelte TV-Serie „Portlandia“ | |
zeigen, wer ich bin. In der Serie betrachte ich die Welt durch eine absurde | |
Linse. So beschwöre ich manch schräge Situationen herauf. Als Musikerin | |
arbeite ich anders. Ich lege vor allem Wut und Verzweiflung in meine | |
Stücke. | |
Der Titel „Reach out“ beschäftigt sich mit Depressionen und Einsamkeit. | |
Sie finden auf dem Album eine Handvoll Songs, in denen die Erzählerin eine | |
existenzielle Krise durchlebt. Sie sucht nach einem Sinn, nach einem Grund, | |
weiterzumachen. | |
Sind Ihre Lieder diesmal eher persönlich als politisch? | |
Für mich sind die Übergänge zwischen diesen beiden Polen fließend. Bei | |
Sleater-Kinney haben wir da von Anfang an ganz selbstverständlich eine | |
Verbindung gesucht. Meiner Ansicht nach kann ein Mensch bedeutende | |
gesellschaftliche und kulturelle Ereignisse gar nicht unpolitisch | |
analysieren. Für unser Album „The Center won’t hold“ bedeutet das: Wir | |
erkunden das politische Chaos mithilfe persönlicher Geschichten. | |
Inwiefern hat Trumps Präsidentschaft Ihre Stücke beeinflusst? | |
Wie hätten wir sie ignorieren sollen? Wir bewegen uns ja nicht in einem | |
Vakuum, wir existieren in dieser Welt. Trumps Hang zur Territorialität, zum | |
Nationalismus, zum Populismus – das betrifft jeden. Nicht bloß Amerikaner. | |
Wir erleben mit, wie der Präsident die Demokratie untergräbt. Wie er die | |
Wahrheit mit Füßen tritt. Ein Einzelfall ist er nicht. Dieses Phänomen | |
lässt sich genauso in anderen Ländern ausmachen. Es hat zur Folge, dass wir | |
in ein kollektives Trauma stürzen. Im Idealfall entwickeln sich daraus | |
Mitgefühl und Güte. Ein gemeinschaftlicher Aktivismus. Dennoch wird das | |
Individuum zunächst allein mit all den Katastrophen um uns herum | |
konfrontiert. Das kann den Einzelnen durchaus zur Verzweiflung treiben. | |
Und ein Gefühl von Isolation heraufbeschwören? | |
Entfremdung spielt tatsächlich eine wesentliche Rolle – sei es auf unserer | |
Platte oder im Alltag. Das Absurde ist: Obwohl die Menschen dank des | |
Internets Zugang zu fast allem haben, vereinsamen sie zusehends. | |
Weil sie hauptsächlich via Facebook oder Instagram kommunizieren? | |
Social Media gaukelt lediglich Nähe vor, Likes werden gegen Likes | |
getauscht. Ich denke, je mehr jemand vor einem Computer Kontakt sucht, | |
desto abgeschnittener ist er in Wirklichkeit von der Außenwelt. | |
Wobei es natürlich einen Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein | |
gibt. | |
Richtig. Abseits der Bühne bin ich gern für mich, ich meide Partys. | |
Nichtsdestotrotz pflege ich durchaus intensive Beziehungen zu anderen | |
Menschen. | |
Umso erstaunlicher, dass Sie von Portland nach Los Angeles gezogen sind. | |
In dieser Stadt dreht sich nicht alles ums Filmgeschäft, im Gegenteil: Dank | |
ihrer Weitläufigkeit ist sie perfekt für Introvertierte wie mich. Ich | |
begegne dort sehr unterschiedlichen Leute in verschiedenen Jobs. Besonders | |
der Osten lässt sich nicht mit West-Hollywood vergleichen. Seine Diversität | |
erinnert mich eher an Berlin. | |
Dabei geben sich die Berliner nicht so positiv wie die Amerikaner, oder? | |
Ich bin auch eine Skeptikerin. Das ist kein Defizit. Ich messe Skeptizismus | |
einen anderen Wert bei als Pessimismus oder Zynismus. Skeptiker stellen | |
zwar die Dinge infrage, trotzdem bleiben sie offen für Veränderungen und | |
sind bereit, sich auf etwas Neues einzulassen. | |
Heißt das, Sie sehen nicht unbedingt negativ in die Zukunft? | |
Eine echte Optimistin werde ich wohl nie werden. Aber ich glaube an die | |
junge Generation. Fridays for Future ist eine tolle Bewegung. Wenn ich 16 | |
wäre und denken würde, mit 50 könnte ich nicht mehr auf diesem Planeten | |
leben, würde ich ebenfalls protestieren. | |
Das würde Sie vermutlich nicht daran hindern, wieder eine Frauenband zu | |
gründen. | |
In meiner allerersten Band habe ich mit Männern gespielt. Beim Musikmachen | |
kommt es nicht primär auf das Geschlecht an. Frauen können ebenso bissig | |
wie Männer sein. Was zählt, ist Vertrauen. Keiner darf versuchen, die | |
kreative Freiheit seiner Mitstreiter zu beschneiden. Jeder sollte seine | |
Verletzlichkeit zeigen dürfen. Zu Recht legen viele Musiker den Fokus auf | |
ihre innere Zerrissenheit, sie befeuert die Kreativität und bringt gute | |
Kunst hervor. So entsteht Glaubwürdigkeit, ohne die ein Künstler keine | |
echte Beziehung zum Publikum herstellen kann. Darum würde ich mit mir | |
selbst hadern, wenn ich in meinen Songs nicht ehrlich wäre. | |
18 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Dagmar Leischow | |
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