| # taz.de -- Soloalbum von Laura Jane Grace: Aus dem Weg! | |
| > Punkrock, Sell-out-Vorwürfe und Geschlechtsangleichung: Laura Jane Grace | |
| > zieht auf ihrem neuen Album „Hole in My Head“ Bilanz. | |
| Bild: Laura Jane Grace hat gerade ihr zweites Soloalbum veröffentlicht | |
| Der ewige Konflikt [1][zwischen Underground-Ideal und | |
| Major-Label-Sell-out-Verlockung], er zieht sich durch die Geschichte von | |
| Punk. Und damit auch durch die Biografie von Laura Jane Grace, Sängerin | |
| der US-Punkband Against Me! Ihr Debütalbum, „Reinventing Axl Rose“, | |
| erschien bei einem Kleinstlabel, die beiden folgenden beim | |
| mittelständischen US-Indie Fat Wreck Chords. Dann ging es zum Major Sire, | |
| die Folge waren Rotzattacken und Mittelfinger aus dem Publikum auf fast | |
| allen Against-Me!-Konzerten, ja sogar Kneipenschlägereien mit enttäuschten | |
| Fans. | |
| Entschädigt wurden Against Me! mit Stadiontouren im Vorprogramm, etwa der | |
| Foo Fighters, [2][Best-Buddy-Fotos mit Bruce Springsteen] und Auftritte in | |
| allen TV-Late-Night-Shows der nuller Jahre. Schon erstaunlich für eine Band | |
| aus der Anarchopunkszene Floridas, deren Sängerin durchgängig alles | |
| weggetrunken hat, was ihr in den Weg kam. | |
| „Hole in My Head“, das zweite Soloalbum von Laura Jane Grace, klingt zum | |
| ersten Mal nach der Musik eines Menschen, der nun, im Alter von 43 Jahren, | |
| Frieden schließen könnte. Der hymnisch gestimmte Punkrock ihrer Band war | |
| immer schon von Folk infiziert. Auf „Hole in My Head“ gibt es auch wieder | |
| ein paar Manifeste ewig juveniler Renitenz und auch Widerständigkeit zu | |
| hören („I’m Not a Cop“). | |
| Aber eben auch eine nur mit Akustikgitarre vertonte Geste der Versöhnung | |
| mit der ausgestreckten Hand. „I am sorry / I make mistakes / I never think | |
| through the choices I make / And while I’ve got no right to hard feelings / | |
| I don’t deserve them / I just take them home“, singt Grace in „Hard | |
| Feelings“. | |
| ## Lesenswerte Autobiografie | |
| Der Song findet sich am Ende des Albums, auch das Finale, „Give Up the | |
| Ghost“, will etwas klären. Was der Geist genau ist, der das lyrische Ich | |
| hier bedrängt und der verschwinden soll, wird nicht klar. Aber es besteht | |
| zumindest die Gefahr, dass das, was danach kommt, nicht zwangsläufig besser | |
| wird: „I think it’s time that I give up the ghost / With the spirit gone / | |
| I’ll be what I fear the most / An empty vessel / Just machine at the | |
| most“. Das Unbehagen bleibt. | |
| Wenn man beim Hören nicht nur die Musik in den Ohren, sondern auch Laura | |
| Jane Graces sehr lesenswerte Autobiografie „Tranny“ präsent hat, freut man | |
| sich über jede dieser Zeilen. Grace singt über anarchistische Ideale, die | |
| hier eng verbunden sind mit ihren Erfahrungen als trans Frau. Über den | |
| „Dysphoria Hoodie“ zum Beispiel, in den man sich hüllen kann, um die eigene | |
| Körperform zu verbergen. „A feeling of safety is blanketing me / Your arms | |
| of protection are wrapped around me“. | |
| Laura Jane Grace ist nicht die erste Punk-Sängerin, die sich als trans | |
| versteht. [3][Überschreitung traditioneller Gender-Kategorien findet man | |
| bereits in Protopunk-Bands wie New York Dolls und Wayne County & the | |
| Electric Chairs in den 1970ern.] Aber Grace ist wohl die erste, die eine | |
| Transition begonnen und die Erfahrung zum zentralen Thema ihrer Kunst | |
| gemacht hat, auf dem besten Against-Me!-Album „Transgender Dysphoria | |
| Blues“. | |
| Diese Erfahrung lässt den autobiografischen Text „Tranny“ zu mehr als nur | |
| zur üblichen | |
| Rockstar-geht-kaputt-und-richtet-sich-an-sich-selbst-wieder-auf-Erzählung | |
| werden. Das umfassende Drogen- und Alkohol-Aufkommen beschreibt Grace als | |
| zunehmend verzweifelte Selbstmedikation aufgrund von Genderinkongruenz, die | |
| die Sängerin während ihrer Transition bis in Suizidnähe treiben. | |
| ## Kampf um die reine Punk-Lehre | |
| Und der die Bandgeschichte begleitende Kampf um die reine Punk-Lehre | |
| erscheint vor diesem Hintergrund in anderem Licht: Gerade der, der sich vom | |
| harten, radikalen Kern des Punks entfernt haben soll, der Verräter, kommt | |
| mit einem Problem um die Ecke, das im Gegensatz zu den | |
| Mainstream-versus-Undergroud-Hackereien nichts Ausgedachtes hat, sondern | |
| tatsächlich existenziell ist. | |
| Dass Laura Jane Grace mit ihrem Coming-out dann in der eigenen Szene nach | |
| Jahren der Überwerfung rehabilitiert wurde, ist eine schöne Pointe. All das | |
| taucht auf „Hole in My Head“ in Spuren wieder auf. Laura Jane Grace hat | |
| eine simplistische und klare Variante von Folkpunk entwickelt, in der sich | |
| Subjektives mit Allgemeinem verbindet. | |
| Lofi-Abschiedslieder („It’s been a long time since we used to play / | |
| Punkrock in basements“), ein die Welt in all ihrer Schrecklichkeit | |
| umarmender Folksong wie „Cuffing Season“ („I wanna crash into the sound /… | |
| wanna learn to trust the fall“) und Songs wie zum Beispiel das Titelstück, | |
| die für die, die hier gemeint sind, etwas potenziell Lebensrettendes haben | |
| können („You can try to outrun all the pain you come from / And that would | |
| be a real mistake“). | |
| Die Akustikstücke klingen auch am schönsten und schlüssigsten auf „Hole in | |
| My Head“. Sie wirken an sich erst mal nicht aufregend, sind aber in der | |
| Verbindung von Text, Biografie und Szenehintergrund doch singulär und | |
| radikal eigensinnig. | |
| 28 Feb 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Benjamin Moldenhauer | |
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