# taz.de -- Buch über aktuellen Popfeminismus: Woanders kämpfen | |
> Komplexe Frauenfiguren in TV-Serien und Emma Watson: Feminismus ist Pop. | |
> US-Publizistin Andi Zeisler beklagt das in einem Buch. | |
Bild: Celebrities wie Emma Watson & Co. haben Feminismus hip gemacht | |
Niemals war Feminismus so hip, so präsent wie heute. Auf Seiten wie | |
BuzzFeed, Jezebel und Broadly wird diskutiert, ob „Girls“ eine | |
feministische Serie ist und ob die zahllosen Vergewaltigungen in „Game of | |
Thrones“ die TV-Show frauenfeindlich machen. Oder es wird ehrlich | |
berichtet, was während der Periode wirklich im Frauenkörper passiert und | |
wie es sich anfühlt. Auf Twitter wird dafür geworben, dass Frauen eine | |
Wampe haben dürfen. Es ist okay, keinen BH zu tragen, genauso, wie es okay | |
ist, Make-up zu mögen, ohne – wie noch vor einiger Zeit – als | |
„Lipstick-Feministin“ diffamiert zu werden. | |
Es gibt T-Shirts zu kaufen, auf denen „Feminismus Fuck Yeah“ steht. | |
Celebrities bekennen sich zum Feminismus: Emma Watson ist Feministin, das | |
wissen wir, seit sie in der UNO eine Rede dazu gehalten hat. Beyoncé ist | |
auch Feministin, das ist bekannt, seit sie bei ihrem VMA-Auftritt im | |
vergangen Jahr das Wort groß auf der Bühne eingeblendet hat. Und Taylor | |
Swift ist sowieso Feministin. Warum, wissen wir nicht, aber sie sagt das | |
eben in Interviews. Dieser Diskurs ist mittlerweile so präsent, dass selbst | |
Frauenmagazine, die früher Tipps für verbesserte Blowjob-Techniken gaben, | |
heute Listen mit den „20 starken Frauen, die Du jetzt kennen musst“ neben | |
ihren Diättipps veröffentlichen. | |
Es gäbe also viele Gründe sich als Feministin zu freuen, mal durchzuatmen, | |
sich gegenseitig auf die Schultern zu klopfen, zu sagen: es wurde viel | |
erreicht. Nur: All das hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Auf Englisch | |
ist gerade das Buch „We Were Feminists Once. From Riot Grrrl to CoverGirl, | |
the Buying and Selling of a Political Movement“ erschienen. Seine Autorin, | |
Andi Zeisler, ist Begründerin und Mitherausgeberin des US-amerikanischen | |
Bitch Magazine, das vor 20 Jahren startete und mittlerweile zu den | |
etablierten feministischen Pop-Magazinen der USA gehört. Gerade online ist | |
es dort schon seit Jahren fester Bestandteil des popfeministischen | |
Diskurses. | |
Andi Zeisler fragt sich in ihrem Buch, was Feminismus als Begriff noch für | |
einen Wert hat, wenn er plötzlich bis in den Mainstream positiv besetzt | |
ist, wenn er abgekoppelt ist von einer linken Bewegung, wenn Marken und | |
Popstars sich damit schmücken, ja, wenn der Feminismus selber zur Marke | |
wird. Wenn Feminismus einfach sehr gut Platten, Lippenstifte und T-Shirts | |
verkauft. Zeisler wirft sich selbst vor, Fehler gemacht zu haben: „Ich | |
mache mir Sorgen, dass wir daran schuld sind, wir, die wir gehofft haben, | |
dass aus der Verbindung von Feminismus und Popkultur etwas richtig Gutes | |
entstehen würde.“ | |
Zeislers entscheidender Sozialisationsmoment als Feministin waren die | |
Riot Grrrls, jene Frauen-Punk-Bands der 1990er, die sich von Typen nicht | |
die Instrumente erklären lassen wollten und schon gar nicht, wie man sie zu | |
spielen hat. Es waren die Riot Grrrls, die damals „All Girls To The Front“ | |
gerufen haben und zu Vorreiterinnen einer alternativen Feminismuskultur | |
wurden, in der man sich wünschte, auch von anderen Frauen angefeuert zu | |
werden. Verbunden war damit auch die Forderung, dass es mehr Erzählungen | |
von Frauen geben muss mit Identifikationspotenzial, die weder perfekt | |
aussehen noch sich perfekt benehmen. | |
Heute wird das teilweise eingelöst. Viele US-TV-Serien werden genau von | |
solchen abgründigen, großartigen, durchgeknallten Frauen bevölkert. Aber | |
die Frage bleibt: Ist das wirklich ein Erfolg? Abgründige Frauenfiguren | |
erzählen noch nichts über die Arbeitsbedingungen hinter den Kulissen und | |
schon gar nichts darüber, wie es außerhalb des Medienbetriebs aussieht. | |
Das treibt auch Zeisler um, die über die Serie „Orange Is the New Black“ | |
schreibt: „Während wir gespannt eine Netflix-Serie über das Leben und die | |
Lieben in einem Frauengefängnis schauen, sind dutzende schwarze Frauen im | |
Polizeigewahrsam gestorben, ohne dass uns eine befriedigende Antwort | |
gegeben wurde, warum so etwas passiert . . . Das sind Probleme, die nicht | |
vom „Marketplace-Feminismus“ gelöst werden können und auch nicht werden.�… | |
Der „Marketplace-Feminismus“, den Zeisler in ihrem Buch heftig kritisiert, | |
ist kein neues Phänomen, auch wenn er noch nie so übermächtig und | |
ausdifferenziert dahergekommen ist wie heute. Schon früh haben | |
Marketingstrategen der Konzerne und Werbeagenturen die sich emanzipierende | |
Frau als kaufkräftiges, neues Publikum entdeckt. | |
## Alles und nichts | |
Lucky Strike war in den 1960ern der erste Konzern, der die neugewonnene | |
Freiheit der (weißen, kaufkräftigen Mittelschichts-)Frauen mit | |
Zigarettenkonsum gleichgesetzt hat und so seinen Absatzmarkt erweiterte. | |
Heute sponsern US-Telekommunikationskonzerne Technikkonferenzen von Frauen. | |
Doch Konzerne sind keine politischen Akteure. Sie schmücken sich mit dem | |
aktuell eher positiv besetzten Label Feminismus. | |
So erklärt sich Zeisler auch, dass eben nur bestimmte Frauen und bestimmte | |
Themen in den Fokus rücken: „Die Aspekte des Feminismus, die momentan in | |
der Popkultur Gehör finden, sind die medienfreundlichsten, die, bei denen | |
es um heterosexuelle Beziehungen geht, ums Heiraten, um wirtschaftlichen | |
Erfolg. . . Deswegen ging es bei der Rede von Emma Watson vor der UNO auch | |
darum, die Männer freundlich einzuladen, beim Feminismus mitzumachen, und | |
nicht darum, Legitimation zu fordern.“ | |
Wie inhaltsleer diese Feminismusversion ist, beschreibt Zeisler im Kapitel | |
über „Empowerment“, einen Begriff, der heute nicht mehr richtig fassbar ist | |
und der ein merkwürdiges Eigenleben entwickelt hat. Zeisler schreibt: | |
„Heute ist „Empowerment“ einfach nur noch ein Sammelbegriff, der alles | |
bedeuten kann . . . Mit dem Begriff lässt sich heute alles an Frauen | |
verkaufen.“ Sie fügt eine Liste hinzu mit Dingen, die schon als empowerned | |
eingestuft worden sind: „High Heels. Flache Schuhe. Schönheitsoperation. | |
Falten. Kinder bekommen. Keine Kinder bekommen. Natürliche Geburt. | |
Kaiserschnitt. Dick sein. Magersucht. Hausarbeit. Faul sein. Sich männlich | |
geben. Sich weiblich geben. Selbstverteidigung lernen. Trinken. Truck | |
fahren.“ Zeisler kritisiert zu Recht, dass Feminismus hier kein politisches | |
Konzept mehr ist. Stattdessen werden vermeintliche Wahlfreiheiten und | |
Konsumentscheidungen als Feminismus zelebriert. | |
Das ist auch die Schwachstelle des Buchs: Bis zuletzt reiht sie Beispiele | |
an Beispiele, so dass es ab der Hälfte des Buchs ermüdend wird, | |
weiterzulesen. Zeisler liefert zwar Beispiele, aber keine Erklärungen, wie | |
es so weit kommen konnte, und was sie bedeuten. Natürlich ist es | |
schrecklich, wenn sich die Spielzeuge immer mehr in Rosa für Mädchen und | |
Blau für Jungen unterteilen. So aufgeschrieben bleibt es aber letztlich ein | |
moralische Geschmacksurteil. | |
Besser wäre es, sich klarzuwerden, wie diese Art des Konsums funktioniert | |
und wie solche Märkte beschaffen sind – nämlich so, dass sie sich in immer | |
mehr Absatzgebiete unterteilen müssen – und dann zu überlegen, was das für | |
einen politischen Feminismus bedeutet. Oder andersherum gefragt: Ist es | |
großartig, wenn sich auch braune und schwarze Frauen in den Medien | |
wiederfinden? Natürlich ist es das. Es löst aber kein einziges Problem, | |
wenn Märkte noch mehr ausdifferenziert werden und der Kapitalismus, der | |
ultimativ dafür sorgt, dass es vielen so schlecht geht, noch etwas | |
gefälliger gemacht wird. Auch wenn es natürlich toll ist, wenn wir dazu | |
alle ermunternde Shirts tragen können. | |
## Erfrischend ehrlich | |
Genauso verhält es sich mit Zeislers Kritik am Lean-In-Feminismus von | |
Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg. Zeisler arbeitet deutlich | |
heraus, wie unsolidarisch dieses Konzept ist: Frauen werden Vorschläge | |
gemacht, wie sie sich besser in einem Karriere-Umfeld behaupten können. Im | |
Zweifelsfall gegen andere. Leider erklärt sie nicht, warum gerade solche | |
Ideen schneller in den Mainstream eintröpfeln als andere. Dabei liegt die | |
Antwort so nahe: Wir leben in einer Welt, die von den Mythen des | |
Neoliberalismus durchzogen ist. Und natürlich wollen Frauen glauben, dass | |
alles gut wird, wenn sie nur sehr fleißig, sehr angepasst, überhaupt sehr | |
marktkonform sind. | |
Der Lean-In-Feminismus dockt an die verbreitete Ideologie des | |
Trickle-down-Feminismus an – den festen Glaube daran, dass Geld, Macht oder | |
auch Rechte von oben bis nach unten durchsickern. Das ist ein Glaube an die | |
Erfolgsmythen des Kapitalismus, der sich hartnäckig hält, egal wie oft | |
diese Mythen widerlegt werden. Denn keiner Tagelöhnerin im Silicon Valley | |
wird es besser gehen, nur weil es Frauen in die Vorstände von | |
Technikkonzernen schaffen. So wie es keiner Frau aus der Arbeiterklasse in | |
Großbritannien besser gegangen ist, weil einst eine Margaret Thatcher | |
Ministerpräsidentin war. | |
Insgesamt würde es Zeislers Argumentation helfen, wenn sie Feminismus nicht | |
als gesondertes Feld diskutieren würde. Wo sie versucht, über diesen | |
Tellerrand zu schauen, verheddert sie sich in den Erklärungen der | |
Intersektionalität. Diese Theorie geht davon aus, dass | |
Diskriminierungsformen wie Rassismus, Sexismus oder Klassismus sich nicht | |
nur addieren, sondern zu eigenständigen Diskriminierungserfahrungen führen. | |
Das ist vielleicht plausibler als die eindimensionalen und auch ignoranten | |
Erklärungsmuster der ersten, weißen Feminismus-Wellen, die sich aus der | |
westlichen Mittelschicht rekrutierten. | |
An die Wurzel des Problems dringt sie damit aber nicht vor: Rassismus, | |
Homophobie und Sexismus werden in diesem Konzept nur noch als | |
Diskriminierungen, Ausbeutung im Kapitalismus nur noch als | |
Chancenungleichheit beschrieben – und alles, was Einzelnen im Kapitalismus | |
wiederfährt, ist am Ende ein individuelles Problem. Und vom Vereinzeln | |
möchte Zeisler doch endlich wieder weg, hin zum kollektiven und zum | |
solidarischen Gemeinsam-Kämpfen. | |
Trotzdem ist die Lektüre von „We Were Feminists Once“ unbedingt | |
empfehlenswert. Zeisler liefert darin einen ausführlichen Überblick über | |
die Geschichte des Pop-Feminismus in den USA, der auch hierzulande immer | |
wichtiger geworden ist. Das Buch liefert viele Beispiele dafür, sich von | |
dem, was kommerziell angeboten wird, nicht als politische Lösung blenden zu | |
lassen. Und es ist sehr erfrischend, ehrliche Gedanken von einer | |
feministischen Frau zu lesen, die den Pop-Feminismus einst mitbegründet und | |
vorangetrieben hat – und jetzt deutlich sagt, dass wir woanders kämpfen | |
müssen, wenn wir wirklich etwas erreichen wollen. | |
22 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Nina Scholz | |
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