# taz.de -- Fotos protestierender Frauen: Ikonen des Widerstands | |
> Borlänge, Istanbul, Baton Rouge: Warum uns Bilder von Frauen faszinieren, | |
> die sich Männern entgegenstellen – und warum das fragwürdig ist. | |
Bild: Baton Rouge, 2016 | |
Ieshia Evans ist überall. Manche sehen die 28-Jährige morgens in der | |
Zeitung am Frühstückstisch, andere auf dem Computerbildschirm auf Arbeit | |
oder erst abends im Bett auf dem Telefon. Evans ist in jedem Fall nicht zu | |
übersehen. Und sie fasziniert. Wie sie anmutig in ihrem gräulich | |
gemusterten Kleid mitten auf der Straße steht, hinter ihr Leere, vor ihr | |
eine Polizeikette, aus der heraus zwei Männer auf sie zustürmen. | |
Dieses Bild einer der Verhaftungen in Baton Rouge am vergangenen Samstag | |
und Sonntag ist zum Sinnbild des friedlichen Protests von Bürger_innen | |
gegen rassistische Polizeigewalt geworden. Hier die Schutzlosen, dort die | |
Gepanzerten. Die Bildsprache dieser Momentaufnahme des Fotojournalisten | |
Jonathan Bachman ist zu stark, um sich ihr zu entziehen. Und so wird die | |
New Yorker Krankenschwester Ieshia Evans gerade zur Ikone [1][von | |
#BlackLivesMatter]. | |
Evans’ Rücken ist auf dem Bild kaum bedeckt, ihr Kleid so erstaunlich dünn | |
im Vergleich zu der massiven Montur der Polizisten. Es fließt förmlich um | |
ihren Körper. Evans wirkt zerbrechlicher, aber gleichzeitig erhabener, da | |
sie aufrecht steht und damit die leicht gebückten Polizisten überragt. | |
Ein Autor des US-Magazin Salon meinte sogar, die Polizisten erweckten auf | |
den ersten Blick den Anschein, als würden sie sich vor der Größe Evans’ | |
verneigen. Oder an ihr abprallen. | |
Diese Art Bilder tauchen in letzter Zeit immer wieder auf. Erst im Mai | |
sahen wir die Schwedin Tess Asplund, wie sie sich [2][mit hoch gestreckter | |
Faust] einem Tross von 300 Neonazis in Borlänge entgegenstellte. In ihrem | |
Gesicht liegt neben Erhabenheit auch Kampfeslust, die Faust macht das sehr | |
deutlich. Auch wirkt die 42-Jährige mit ihren abrasierten Haaren radikaler, | |
härter, eher wie eine Kämpferin. Bei Evans bewegen die Zartheit durch das | |
Tragen eines Sommerkleids und die unmittelbare Polizeigewalt besonders. | |
Diese Pole bestimmen auch die bekannteste Fotografie der Gezi-Proteste vor | |
drei Jahren. Der Independent beschrieb das Bild von Ceyda Sungur sogar als | |
Leitmotiv der Proteste in Istanbul. Die junge Wissenschaftlerin steht darin | |
in ihrem roten Sommerkleid einer Mauer von Polizisten gegenüber, einer | |
davon richtet Tränengas direkt auf sie, sodass es ihre Haare in die Luft | |
türmt. Später wird Sungur vor Schmerzen auf einer Bank zusammenbrechen. Der | |
Subtext des Bilds: Eine moderne Frau widersetzt sich einer reaktionären | |
Regierung. | |
Alle drei Fotografien haben die gleiche Bildaufteilung: Links stehen Männer | |
in einer Formation, rechts die einzelne Frau. Genau in dieser Richtung | |
lesen wir Bilder, von links nach rechts, wie Texte. Wir sehen also zuerst | |
die Polizei, die Neonazis, die Gefahr. Kommt unser Blick im rechten Teil | |
des Bilds an, bleibt er sofort hängen. Hier geht es nicht weiter. An den | |
Frauen auf den Bildern kommen nicht nur die jeweiligen Männer nicht vorbei, | |
sondern auch der Blick der Leser_innen verharrt. | |
Nach diesem Bildaufbau funktioniert auch eines der bekanntesten Bilder der | |
Anti-Vietnamkrieg-Proteste. Der französische Fotojournalist Marc Riboud | |
hielt die damals 17-jährige Jan Rose Kasmir fest, die beim Marsch auf das | |
Pentagon am 21. Oktober 1967 einer Reihe von bewaffneten Soldaten eine | |
Blume entgegenstreckt. Auch hier: die Gewalt links, die Unschuld rechts. | |
Wir bleiben beim Lesen der Bilder an diesen Frauen hängen. Es sind schöne | |
Frauen. Sie sind Kämpferinnen und gleichzeitig Poster-Girls einer Welt, von | |
der wir träumen. Gewaltfrei, schön, divers. Eine Welt der klaren Fronten. | |
Hier gut, da böse. Die Frauen stehen für das Reine, das man selbst gern | |
hätte. Das Bild von Ceyda Sungur wurde 2013 sogar auf einem großen | |
Transparent ausgedruckt. Die Stelle, an die Sungurs Kopf gehört, wurde | |
ausgeschnitten, sodass man den eigenen Kopf für ein Foto durchstecken | |
konnte. | |
Die Frauen werden in den jeweiligen Bildern zu Allegorien. Für Sanftmut, | |
Moral, Frieden. Die Männer symbolisieren den Staat, das Öffentliche, die | |
Frau das Familiäre, das Private. Auch die Berichterstattung greift dieses | |
Bild auf. In Artikeln über Ieshia Evans wird immer wieder betont, dass sie | |
Mutter und nur aus New York zu den Protesten gefahren sei, damit ihr Sohn | |
in einer besseren Gesellschaft aufwachsen könne. | |
Im Prinzip denken wir Frauen noch immer als wehrlos und schwach. Sie | |
bleiben damit passive Objekte und werden nicht zu handelnden Subjekten – | |
obwohl sie sich hier entgegenstellen. Gleichzeitig dichten wir ihnen | |
moralische Überlegenheit an. So lösen Frauen wie Evans, Asplund und Sungur | |
Mitleid und Bewunderung zugleich aus. Die Bilder bewegen sich zwischen | |
Widersprüchen, die aufgrund spezifischer Geschlechterbilder fortdauern. Und | |
schließlich sind die Frauen auf den Fotografien auch schöne Unnahbare, eine | |
sexuelle Fantasie. Eine Projektion. | |
Gefragt hat die Frauen keiner der Fotografen, ob sie ihre Bilder im Netz | |
verbreiten dürfen. Nachdem sie zum Internet-Hit wurde, bekam es Tess | |
Asplund verständlicherweise mit der Angst. Schließlich sind Neonazis nicht | |
gerade für Ruhe und Besonnenheit bekannt. Ceyda Sungur verweigerte sich | |
Interviewanfragen, auch sie wollte die Bekanntheit nicht. Ieshia Evans trat | |
vermutlich sehr bewusst auf die von der Polizei leer geräumte Straße, um | |
sich bei der Verhaftung fotografieren zu lassen. Es ist die perfekte | |
Inszenierung einer starken Frau als anbetungswürdige Ikone. | |
13 Jul 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/search?q=%23BlackLivesMatter&src=tyah | |
[2] /Protest-bei-Neonazi-Demo-in-Schweden/!5298820/ | |
## AUTOREN | |
Katrin Gottschalk | |
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