Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Arte-Dokudrama zu Olympia 1936: Was für ein Albtraum
> Das Dokudrama „Der Traum von Olympia – Die Nazi-Spiele von 1936“ nervt
> leider mit schlimmen Dialogen und spröder Erzählweise.
Bild: Carl Diem (Christian Hockenbrink, l.) warnt den „Halbjuden“ Wolfgang …
„Völker! Seid des Volkes Gäste, kommt durchs offne Tor herein! Friede sei
dem Völkerfeste! Ehre soll der Kampfspruch sein.“ So hieß es in der Hymne
zu den Olympischen Sommerspielen 1936 in Berlin. Gastfreundlich, offen,
friedlich – so wollte und sollte sich das Deutsche Reich für zwei Wochen im
August präsentieren. Das von Spiegel TV produzierte Dokudrama „Der Traum
von Olympia – Die Nazi-Spiele von 1936“ setzt sich jetzt – zum 80.
Jahrestag – damit auseinander.
Im Fokus stehen die Geschichten von Gretel Bergmann (Sandra von Ruffin) und
Wolfgang Fürstner (Simon Schwarz). Die jüdische Hochspringerin Gretel
Bergmann wurde lange in dem Glauben gelassen, sie könne für die deutsche
Auswahl in Berlin antreten. Dabei benutzten die Nazis sie nur, um Kritikern
im Ausland zu beweisen, dass auch Juden teilnehmen dürften. Letztlich wurde
sie doch aus dem Kader gestrichen. Der Nationalsozialist Wolfgang
Fürstner war als Kommandant des Olympischen Dorfes für dessen Aufbau
verantwortlich. Kurz vor der Eröffnung des Dorfes wurde er degradiert, weil
er jüdische Vorfahren hatte und als „Halbjude“ galt. Einen Tag nach dem
Ende der Spiele schoss er sich in den Kopf.
Die Wege der Protagonisten kreuzen sich nicht, ihre Geschichten werden
abwechselnd erzählt – allerdings nicht durchgängig in Spielfilmform.
Stattdessen gibt es immer wieder lange Passagen, in denen entweder die eine
oder die andere Figur im Voice-over zu hören ist, während gleichzeitig
historisches Film- und Fotomaterial gezeigt wird. Stilistisch ist das enorm
dröge, aber auch die Spielszenen verschaffen keine Linderung – deren
Dialoge sind unfassbar hölzern und redundant.
Alles halbwegs Wichtige wird mehrfach in unterschiedlichen Worten
wiederholt. Besonders nervig: Wolfgang Fürstner spricht regelmäßig in
Frank-Underwood-Manier direkt zum Publikum, um Sachverhalte, die jedem klar
sein dürften, noch einmal zu erklären. Zum Beispiel gibt es eine 60
Sekunden lange Szene, in welcher der Sportfunktionär Carl Diem (Christian
Hockenbrink) dem angeschlagenen Fürstner deutlich zu verstehen gibt, dass
dessen Zeit abgelaufen ist. Danach blickt Fürstner in die Kamera und sagt:
„Auf ihn kann ich also auch nicht zählen.“ Ach, echt nicht? Und so geht das
die ganze Zeit.
## Fürstner und Bergmann teilen nicht ein Schicksal
Aufgrund solcher eklatanten handwerklichen Schwächen vergisst man fast, auf
die inhaltlichen Aussagen des Dokudramas zu achten. Dabei sind manche
durchaus diskutabel. Schon die Annahme, dass Fürstner und Bergmann in
vergleichbarer Form gelitten hätten und ihren Traum von Olympia nicht leben
konnten, ist fragwürdig. Schließlich hat er jahrelang die Politik der Nazis
eifrig unterstützt, bevor ihn sein eigener Rassenwahn eingeholt hat.
Das ist tragisch, aber anders zu bewerten als das Schicksal von Gretel
Bergmann, die sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Ebenfalls
bedenklich: Durch die Verwendung des in propagandistischer Absicht
erstellten Wochenschau-Materials bekommt das Dokudrama ab und zu einen
gefährlich schwärmerischen Klang, vor allem wenn Fürstner dazu die
Effizienz, die Größe, das Schöne der Spiele preist.
Ein weiteres Ärgernis: Die US-amerikanische Boykottdebatte wird zwar zum
großen Thema gemacht, aber nur arg oberflächlich behandelt. Es wird fast
nichts über die Diskussionen und Kräfteverhältnisse erzählt. So erscheinen
„die Amerikaner“ wie unreflektierte Sportsleute, die sich ihren Traum von
Olympia nicht zerstören lassen wollten.
Unangenehm ist, wie bei diesem Thema wiederholt der Superstar Jesse Owens
ins Zentrum gerückt und mehr oder weniger subtil für seine Teilnahme
kritisiert wird. Ein 22-jähriger Schwarzer aus den USA hätte sich mit allen
Funktionären und Verbänden anlegen und einen Boykott der Spiele durchsetzen
sollen? Dafür wären doch erst mal einige andere zuständig gewesen. Die
Ränge im Olympiastadion aber waren immer voll besetzt.
16 Jul 2016
## AUTOREN
Sven Sakowitz
## TAGS
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Olympia 1936
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Arte
Olympia 1936
Winterspiele
Olympia 1936
Olympia 1936
Olympia 1936
Widerstand
Pressefreiheit in der Türkei
Schwerpunkt Brexit
Crowdfunding
Bundeszentrale für politische Bildung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Olympische Spiele 1936: Sportfest in der Provinz
100 jüdische Leichtathleten trafen sich im Sommer 1936 im bayerischen
Fürth. Einige davon hätten zu Olympia in Berlin zugelassen werden sollen.
Olympische Winterspiele 1936: Die vergessene Demonstration
Die Norwegerin Laila Schou Nilsen verweigerte bei der Winter-Olympiade 1936
in Garmisch-Partenkirchen den Hitlergruß. Eine Erinnerung.
Alternative Olympische Spiele: Das bessere 1936
Zu den Olympischen Spielen in Berlin waren gleich drei Gegenspiele geplant.
In Barcelona fielen sie aus, Initiativen in New York und Prag waren
erfolgreich.
Olympia 1936 in Berlin: Das Bild von den schönen Spielen
Trotz ihrer rassistischen Ideologie präsentierte sich die deutsche
Reichshauptstadt vergleichsweise gastfreundlich und weltoffen. Der Trick
funktionierte.
Olympische Spiele 1936 in Berlin: Der Wille zur Täuschung
Die Olympischen Sommerspiele vor 80 Jahren wurden für die Nazis zu einem
Propagandaerfolg. Auch weil viele nicht genau hinschauen wollten.
Fotos protestierender Frauen: Ikonen des Widerstands
Borlänge, Istanbul, Baton Rouge: Warum uns Bilder von Frauen faszinieren,
die sich Männern entgegenstellen – und warum das fragwürdig ist.
„Cumhuriyet“-Chefredakteur bedroht: Gemeinsamer Hilferuf
DJV-Chef Frank Überall reist in die Türkei, um sich die Arbeitsbedingungen
der OppositionsjournalistInnen anzusehen. Die Lage ist ernst.
Die Rädelsführer der Brexitkampagne: Wenn Journalisten Politik spielen
Boris Johnson und Michael Gove haben vor ihrem politischen Engagement für
die Medien gearbeitet. Dort legten sie den Grundstein für den Brexit.
Journalismus mit der Crowd: Korrespondentinnen der Masse
Lisa Altmeier und Steffi Fetz recherchieren im Auftrag. Mit „Crowdspondent“
waren sie in Japan und Brasilien. Jetzt ist Deutschland dran.
Politische Bildung für Jugendliche: Der „fluter“ wird fresher
Der „fluter“, das Jugendmagazin der Bundeszentrale für politische Bildung,
hat eine neue Website. Sie macht Spaß und nimmt Jugendliche ernst.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.