| # taz.de -- Olympia 1936 in Berlin: Das Bild von den schönen Spielen | |
| > Trotz ihrer rassistischen Ideologie präsentierte sich die deutsche | |
| > Reichshauptstadt vergleichsweise gastfreundlich und weltoffen. Der Trick | |
| > funktionierte. | |
| Bild: War der Held der Spiele: Jesse Owens, hier beim Start des 200 Meterlaufs,… | |
| Eines dieser drohenden Hinweisschilder war stehengeblieben. „Juden sind in | |
| unsern deutschen Wäldern nicht erwünscht“, stand auf dem Schild in | |
| Mittenwalde, das den ganzen Sommer 1936 und auch danach noch zu sehen war. | |
| Dabei galt die Anordnung, während der Olympischen Spiele öffentlich | |
| sichtbaren Antisemitismus zu unterlassen, auch für die kleine Gemeinde | |
| südlich von Berlin. | |
| Ansonsten präsentierte sich die deutsche Reichshauptstadt zu den | |
| Olympischen Sommerspielen vergleichsweise gastfreundlich und weltoffen. | |
| Sogar homosexuelle Ausländer sollten geduldet werden: Heinrich Himmler, | |
| Reichsführer SS, hatte verboten, „gegen irgendeinen Ausländer wegen des § | |
| 175 ohne meine persönliche Genehmigung auch nur mit einer Vernehmung oder | |
| Vorladung vorzugehen“. Der Presse wurde die Weisung erteilt, „Berichte über | |
| Rassenschande-Prozesse auf ein Mindestmaß“ zu beschränken. Gleich zweimal | |
| erging die Warnung vor „rassischen Gesichtspunkten“ in Sportberichten. Das | |
| Hetzblatt Der Stürmer war in den Kiosken Berlins nicht zu sehen. | |
| Ausländischen Gästen, die nach dem Stürmer fragten, wurde geantwortet, er | |
| sei ausverkauft. | |
| ## „Zigeunerrastplatz Marzahn“ | |
| „Größte Schaufensterdekoration der Geschichte“ nannte der Historiker Albe… | |
| H. V. Kraus die Art, wie sich Berlin und Umgebung präsentierten. Die | |
| NS-Führung wollte ein bestimmtes Bild von schönen Spielen in einer sauberen | |
| Stadt vermitteln. Zu diesem Bild gehörte auch, dass zwei Monate vor | |
| Eröffnung der Spiele in Marzahn der „Zigeunerrastplatz Marzahn“ | |
| eingerichtet worden war, Sinti und Roma wurden dorthin deportiert. „Die | |
| Abwanderung aus dem Lager Marzahn steht den Zigeunern frei, hat aber nur in | |
| Richtung Osten, sonst unter Umgehung des Stadtgebietes Berlin zu erfolgen“, | |
| lautete die Polizeianweisung. | |
| Dieser „schöne Schein“ kam an. In den Deutschland-Berichten, die vom | |
| Exilvorstand der SPD mit Informationen von im Widerstand tätigen Genossen | |
| von London aus herausgeben wurden, heißt es 1936: „In der | |
| Weltöffentlichkeit herrschte die Auffassung, dass vor und während der | |
| Olympiade der Terror gegen die Juden eingestellt, dass den Juden aus | |
| Propagandagründen eine Atempause gewährt worden sei. Selbst diese Hoffnung | |
| hat getrogen.“ | |
| Dorothea Günther, damals 22 Jahre alt, führte Besuchergruppen durchs | |
| olympische Berlin. „Anfangs standen uns die Ausländer skeptisch gegenüber, | |
| weil sie dachten, alle Deutschen seien Nazis“, erinnerte sie sich in einem | |
| Zeitzeugenbericht für das Deutsch Historische Museum (DHM) im Jahr 2010. | |
| „Aber bald stellten sie fest, dass der Nationalsozialismus gar nicht so | |
| stark in Erscheinung trat.“ Ein anderer Zeitzeuge, Werner Viehs aus Bad | |
| Homburg, erlebte die Spiele als 12-jähriger Sportfan. „Unter den Linden war | |
| alles auf Hochglanz gebracht“, notierte er 2011 in seinem | |
| DHM-Zeitzeugenbericht. Tickets für die Wettbewerbe waren schwierig zu | |
| erhalten. „Vater hatte sie im Betrieb über die NS-Arbeitsfront erhalten.“ | |
| Besonders stolz war der Junge, dass sein Vater in einer Fabrik arbeitete, | |
| die die Aluminiummasten für die Fahnenmasten fertigte, an denen in Berlins | |
| Stadtbild Hakenkreuz- und Olympiaflaggen baumelten. | |
| ## Fernsehstuben überall | |
| Auch an eine große technische Innovation erinnert sich Viehs. „An | |
| mindestens 15 Stellen in Berlin waren Fernsehstuben eingerichtet.“ | |
| Tatsächlich stehen die Olympischen Spiele in Berlin für die Durchsetzung | |
| des Fernsehens: Über 10.000 Zuschauer wurden mit den Fernsehstuben pro | |
| Monat erreicht; insgesamt sollen es etwa 160.000 Zuschauer gewesen sein. | |
| Auch Zeitungen und Zeitschriften berichteten in einem bis dato nicht | |
| bekannten Ausmaß: 1.800 Printjournalisten waren akkreditiert, 120 | |
| Mitarbeiter von Rundfunkanstalten und dazu noch 125 Fotografen – Letztere | |
| waren, mit einer Ausnahme, alle deutsche Staatsbürger, ausländische | |
| Fotojournalisten waren nicht zugelassen. | |
| Der enorme Medienauftrieb half mit, aus diesen 36er Spielen ein | |
| herausragendes Weltereignis zu machen – mit einer Bedeutung, die kein | |
| Olympia vorher auch nur annähernd hatte. Vorher waren Olympische Spiele | |
| meist Anhängsel von Weltausstellungen gewesen, als Sportler reisten fast | |
| nur Männer an, die künftigen Eliten ihrer Länder. Entsprechend | |
| übersichtlich waren die Veranstaltungen. 1932 in Los Angeles waren es nur | |
| 1.332 Sportler gewesen – davon 126 Frauen. Vier Jahre später in Berlin | |
| waren es schon fast 4.000 Aktive, darunter 328 Frauen. | |
| Das Spektakel Olympia hatte die exklusiven Zirkel adliger und | |
| großbürgerlicher Kreise verlassen – und wurde plötzlich auch politisch | |
| interessant. Schon der offizielle Olympiafilm-Zweiteiler von Leni | |
| Riefenstahl, „Fest der Völker“ und „Fest der Schönheit“, der ab 1938 | |
| weltweit in den Kinos gezeigt wurde, wurde vom Propagandaministerium des | |
| Joseph Goebbels finanziert. Auch die enormen Kosten für Olympiastadion mit | |
| damals 100.000 Plätzen, Maifeld, Olympisches Dorf und all die anderen | |
| Stätten wurden vom Staat übernommen. Hitler soll gesagt haben: „Die | |
| lächerlichen Millionen bekommen wir ein paar Mal wieder rein. Das | |
| garantiere ich Ihnen.“ Allein für das Olympiastadion in Charlottenburg | |
| waren 2.300 Arbeiter im Dreischichtentakt eingespannt. In den | |
| Deutschland-Berichten der SPD heißt es 1935, dass das NS-Regime die | |
| „Sportvereinigungen und Verbände zum Schnorren“ gedrängt habe. | |
| ## Missbrauch des Sports? | |
| Nicht zuletzt der enorme Zugriff, den der NS-Staat auf die Olympischen | |
| Spiele hatte, macht bis heute unter Sportfunktionären, aber auch | |
| Historikern und Journalisten die These populär, hier liege ein Missbrauch | |
| des Sports vor: Die Olympische Idee sei von den Nazis okkupiert worden, um | |
| die Welt zu täuschen und hinterrücks ihre Absichten weiterzuverfolgen. | |
| Gegen diese These steht aber die Begeisterung, mit der der organisierte | |
| Sport die Berliner Nazispiele aufnahm. Gerade das Kultische, das der | |
| deutsche Organisator der Spiele, Carl Diem, ins olympische Programm | |
| einführte, begeisterte die Herren vom IOC. | |
| Der olympische Fackellauf, den es seither bei allen Spielen gab, ist eine | |
| Erfindung von Olympia 1936. Auch Albert Speers „Strahlendom“ zur | |
| Abschlussfeier oder Riefenstahls Filmästhetik haben die künftige | |
| Inszenierung des Sports maßgeblich beeinflusst. Kein Missbrauch, sondern | |
| ein begeistert angenommener Gebrauch also. | |
| ## Projekt einer Megastadt | |
| Die Spiele von 1936 waren das erste moderne Weltsportereignis. Sie waren | |
| ein Hebel, die Stadt Berlin umzugestalten – letztlich in Richtung | |
| „Germania“, des von Albert Speer und Adolf Hitler geplanten Projekts einer | |
| Megastadt. Das nationalsozialistische Wohnungsbauprogramm lief ab 1936, | |
| etwa 100.000 Wohnungen wurden in Berlin gebaut. Der Flughafen Tempelhof, | |
| seit Mitte der Zwanzigerjahre in Betrieb, wurde ab 1934 zum internationalen | |
| Großflughafen umgebaut. 1936 stand das riesige Flughafengebäude, damals von | |
| der Fläche her das größte Bauwerk der Welt. Der Nord-Süd-Tunnel der S-Bahn | |
| zwischen Humboldthain und Unter den Linden wurde im Juli 1936 eröffnet. Die | |
| S-Bahnstation „Reichssportfeld“ (heute „Olympiastadion“) wurde mit eige… | |
| Zugangsbrücke umgebaut. | |
| Bis heute rechnen sich die Propagandaspiele für die Stadt Berlin. | |
| Olympiaorganisator Carl Diem hatte seinerzeit sehr darauf gedrängt, dass | |
| offene antisemitische Anfeindungen unterbleiben. „Gastlichkeit“, schrieb | |
| Diem, sei doch die „beste Kampfwaffe“ für das, wozu Olympia vor allem da | |
| sei: die „Hochachtung und Dankbarkeit fremder Länder“ zu erheischen. Der | |
| Berliner Historiker Ralf Schäfer urteilt treffend: „Die Welt zu Gast bei | |
| Feinden.“ | |
| 1 Aug 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Krauss | |
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