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# taz.de -- Alternative Olympische Spiele: Das bessere 1936
> Zu den Olympischen Spielen in Berlin waren gleich drei Gegenspiele
> geplant. In Barcelona fielen sie aus, Initiativen in New York und Prag
> waren erfolgreich.
Bild: Der Sprint bei den Nazi-Spielen: Jesse Owens schnellt aus den Startmulden…
Dorothy „Dot“ Tucker musste Ende Juli 1936 aus Barcelona abreisen, denn die
[1][Olimpiada Popular] war abgesagt. Die afroamerikanische Sprinterin hatte
als einzige Frau im Team USA bei der Volksolympiade in Spanien teilnehmen
wollen, der spanische Bürgerkrieg verhinderte das. Doch Tucker reiste mit
Zwischenstation in Paris weiter nach Prag, um dort an einer anderen
Gegenolympiade teilzunehmen.
Nicht nur die Volksolympiade in Barcelona war ein Beitrag des Sports
gegen die Nazi-Olympiade. Auch in Prag und New York fanden
antifaschistische Sportfeste statt: die Volkssportspiele und der World
Labor Athletic Carnival. Diese Gegenolympiaden, Barcelona, Prag und New
York, waren nicht nur wichtige politische Demonstrationen gegen das
NS-Regime in Deutschland, sie standen auch für einen anderen,
demokratischeren Sport.
Die größte der geplanten Gegenolympiaden war die Veranstaltung in
Barcelona. 6.000 Sportler waren eingetroffen, aber am 19. Juli 1936, als
diese Volksolympiade im Montjuïc-Stadion eröffnet werden sollte, erreichten
die Putschtruppen General Francos die katalanische Hauptstadt, der
Spanische Bürgerkrieg begann.
Als Dot Tucker in der Nacht zum 19. Juli 1936 um vier Uhr Schüsse und
Explosionen hörte, glaubte sie, das seien bestimmt Feuerwerke, um die
Sportler zu begrüßen, so berichtete sie später. Unmittelbar vor dem Hotel
Olimpic, in dem viele ausländische Sportler untergebracht waren, fanden
jedoch Kampfhandlungen statt. Einige Sportler nahmen später in den
Internationalen Brigaden am Spanischen Bürgerkrieg teil, um die Republik zu
verteidigen; wie viele das waren, ist nirgends dokumentiert.
## Anreise der Arbeitersportler
Dot Tucker war „eindeutig ein Star“, urteilt der Historiker James WJ
Robinson, „in einer anderen Welt wäre sie wahrscheinlich noch größer
rausgekommen“. Tucker war nicht die Einzige, es waren etliche
Weltklasseathleten bei diesen Gegenolympiaden am Start. Das waren teils
Spitzensportler wie Charlie Burley oder Tollien Schuurman, die beide ganz
individuell für sich entschieden hatten, nicht an den Olympischen Spielen
in Berlin teilnehmen zu wollen.
Schuurman war eine niederländische Sprinterin, die 1930 bei den
Frauenweltspielen Silber gewonnen hatte. Und Burley, ein 19-jähriger
Afroamerikaner aus Pittsburgh, galt als große Hoffnung in seinem Sport; im
September 1936 wurde er Profi, 1938 gewann er die Colored Welterweight
Championship of the World, eine Box-WM für Schwarze. Es waren auch Athleten
gekommen, die knapp die Qualifikation für Berlin verpasst hatten.
Da Spanien als einziges Land die NS-Olympiade boykottierte, hofften die
Veranstalter zudem auf viele inländische Teilnehmer. Aus dem
nichtolympischen Rugbysport war eine der besten französischen Mannschaften
aus Bordeaux eingetroffen. Doch auch überzeugte Arbeitersportler waren
angereist, die mit dem „bürgerlichen Rekordsport“ nichts anfangen konnte.
Ohne Renommee waren die deswegen noch lange nicht: Es kamen beispielsweise
sieben Radsportler des angesehenen Clarion Cycling Club aus
Großbritannien.
Sportler aus der Sowjetunion, die damals noch nicht zur sogenannten
olympischen Familie gehörte, waren ebenfalls erwartet worden, doch Moskau
sagte kurz vorher ab. Vielleicht wollte sich die Sowjetunion nicht einen
späteren Zugang ins Internationale Olympische Komitee verbauen, spekulieren
die spanischen Politologen Gabriel Colomé und Jeroni Sureda, vielleicht
wollten sie aber auch jede Andeutung verhindern, die Volksolympiade sei
von Moskau gelenkt.
## Leistungs- und Volkssport
Ein Fest des Arbeitersports, kommunistisch oder sozialdemokratisch, war die
Volksolympiade nicht. Vielmehr wollte sie beides bieten: Leistungssport und
Volkssport. In nur drei Monaten Vorbereitungszeit, ins Leben gerufen nach
dem Wahlsieg der Volksfrontregierung im Februar, hatten die Organisatoren
um den erst 24-jährigen Andrés Martin ein in vieler Hinsicht besonderes
Konzept auf die Beine gestellt. Die Hymne hatte Hanns Eisler komponiert,
und die Volksolympiade sollte jedem und jeder offen stehen. Einzige
Bedingung war „wahrer Sportsgeist und ein ernsthaftes Eintreten gegen den
Faschismus“.
Damit die Wettkämpfe unter gerechten Bedingungen stattfinden, wurden drei
Kategorien geschaffen: die erste für die Weltklasseleute, die zweite und
dritte für weniger leistungsstarke Teilnehmer. Bewusst sollte Frauensport
gefördert werden. Zudem gab es eigene Wettkämpfe für Kinder und
Jugendliche. Bei Mannschaftssportarten wurde unterschieden zwischen
Wettbewerben nationaler, regionaler und lokaler Auswahlteams, wobei die
Veranstalter sich beim Begriff „Teilnehmerland“ nicht am Völkerrecht
orientierten. Ihnen genügte es, wenn es jeweils Forderungen nach nationaler
Selbstbestimmung gab.
Also waren etwa neben Spanien noch Katalonien, das Baskenland und Galizien
dabei. Dazu die Kolonie Spanisch-Marokko wie auch die französischen
Kolonien Algerien und Französisch-Marokko. Und zwei jüdische Delegationen
waren angereist: Das war zum einen eine etwa 150-köpfige Vertretung
jüdischer Emigranten, die nach ihrer Flucht aus Deutschland in jüdischen
Vereinen in Antwerpen und Paris Sport trieben. Und das waren zum anderen 30
Sportler aus dem britischen Mandatsgebiet Palästina, dem späteren Israel,
eine Delegation des Arbeitersportverbands Hapoel.
Als die Volksolympiade wegen des Bürgerkriegs abgesagt werden musste,
stellte Frankreich zwei Schiffe zur Verfügung, damit das Gros der Sportler
abreisen konnte. Die Volksfront-Regierung in Paris, die selbst auf einen
Boykott der Berliner Spiele verzichtet hatte, war ein großzügiger Sponsor
der etwa 1.200 französischen Teilnehmer gewesen. Mit diesen Schiffen oder
auf anderen Wegen gelangten viele nach Paris, wo französische
Arbeitersportler am 26. Juli kurzfristig ein Sportfest organisiert hatten:
Franzosen, Norweger, Schweden und Amerikaner traten an, Dot Tucker wurde
dort Zweite über 500 Meter und Vierte im 80-Meter-Lauf.
## Eine „internationale Freiheitsolympiade“
Tucker reiste weiter nach Prag. Die dortigen Volkssportspiele, die vom 1.
bis 9. August 1936 überwiegend im Masaryk-Stadion ausgetragen wurden, waren
stärker als die Volksolympiade von der kommunistischen [2][Roten
Sport-Internationale (RSI)] geprägt. Die hatte sich ab 1934 stark bemüht,
auf die Sozialdemokraten aus der Sozialistischen
Arbeitersport-Internationale (SASI) zuzugehen. Ursprünglich hatte die RSI
für den Sommer 1936 Volkssportspiele in einigen Ländern geplant: in den
USA, Schweden, der Tschechoslowakei und Spanien.
Eine internationale Ausrichtung sollte nur Barcelona haben, und die Prager,
die das Konzept einer „internationalen Freiheitsolympiade“ vorstellten,
wurden zunächst abgewatscht. Letztlich aber setzte sich die RSI weder in
Spanien noch in der Tschechoslowakei durch. In Barcelona hatten die
Linksrepublikaner größeren Einfluss, wie der Historiker André Guenot
schreibt, und in Prag kamen bis zu 50.000 Menschen ins Stadion, um die
Leistungen von Sportlern nicht nur aus der Tschechoslowakei, sondern auch
aus Frankreich, den USA, Schweden und etlicher deutscher Emigranten zu
erleben. Unter anderem sahen sie ein Fußballspiel zwischen dem
Arbeitersportverein aus Reichenberg/Liberec gegen ein Team politischer
Exilanten aus Deutschland, es endete 2:2.
Die Prager Gegenolympiade hatte am selben Tag begonnen wie die Spiele in
Berlin, am 1. August. In New York hatten sich die Veranstalter mit dem 15.
und 16. August die Schlusstage des Berliner Spektakels ausgesucht, um im
neuen Stadion im Randall’s Island Park in Manhattan ein eigenes
Gegenolympia, einen World Labor Athletic Carnival, zu veranstalten.
Dahinter stand vor allem das 1934 gegründete Jewish Labor Committee, das
auf eine Zusammenarbeit mit Kommunisten verzichten wollte. Auch hier waren
Weltklassesportler gekommen. Henry Cieman, ein jüdischer Kanadier, hielt im
Gehen etliche Weltrekorde und boykottierte die Berliner Spiele. Auch dabei
war der amerikanische Weltrekordhalter im Stabhochsprung, George Varoff.
## Gegen die Nazi-Olympiade
Der hatte die Olympiaquali verpasst und freute sich, dass er in New York
mit 4,38 Metern drei Zentimeter höher sprang als der Berliner
Olympiasieger, der Amerikaner Earle Meadows. 450 Athleten aus 15 Ländern
waren nach New York gekommen, vor allem aus den USA und Kanada, 23
Wettkämpfe gab es, die offen für alle waren; dazu noch einige, die nur
Gewerkschaftsmitgliedern vorbehalten waren. Insgesamt 18.000 Zuschauer
kamen an beiden Tagen.
Die Veranstalter hatten zwar mit 30.000 gerechnet, aber der Zuspruch war
groß genug, dass im Jahr 1937 wieder ein Athletic Carnival stattfand. Das
aber war, wie der Historiker Edward Shapiro schreibt, „das letzte große
Ereignis in der Geschichte des Arbeitersports in Amerika. Der Bewegung
haftete ohnehin etwas von einem exotischen europäischen Import an.“
Barcelona, Prag, New York. Mit drei großen Alternativolympiaden hatten sich
die besseren Teile des Sports gegen die Naziolympiade in Berlin gestellt.
Dazu könnte man noch das große Solidaritätsfest in Paris zählen, das für
die Barcelona-Sportler veranstaltet wurde. Auch die Makkabiade 1935 in
Tel Aviv, ein gegen Olympia in Garmisch-Partenkirchen 1936 gerichtetes
Wintersportfest in Norwegen und die Arbeiterolympiade 1937 in Antwerpen
sollte man in diese Reihe der besseren Sporttradition aufnehmen.
Und etliche kleinere Sportfeste, in denen Athleten Haltung zeigten,
ebenfalls. Diese Wettkämpfe integrierten Elemente des Arbeitersports in die
Wettkämpfe, die dennoch großen Rekordsport boten. Damit stellten diese
Gegenolympiaden auch eine demokratische Alternative zum exklusiven Sport
dar, wie er bei Olympischen Spielen, nicht nur in Berlin 1936, zelebriert
wird.
Leider sind diese Sportfeste beinah vergessen. Vor vier Jahren immerhin,
2017, ehrte die katalanische Regierung noch lebende Sportler und
freiwillige Helfer der Volksolympiade. Einige hochbetagte Männer und
Frauen freuten sich, dass ihr Kampf endlich anerkannt wurde.
19 Jul 2021
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Volksolympiade
[2] https://www.bisp-surf.de/Record/PU200407002003
## AUTOREN
Martin Krauss
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