# taz.de -- Die Rädelsführer der Brexitkampagne: Wenn Journalisten Politik sp… | |
> Boris Johnson und Michael Gove haben vor ihrem politischen Engagement für | |
> die Medien gearbeitet. Dort legten sie den Grundstein für den Brexit. | |
Bild: Boris Johnson – erst Journalist, dann Brexit-Maskottchen | |
Wenn Boulevard-Journalisten Politiker werden wollen, geht das meistens | |
schief. Vor allem, wenn es sich um solch unappetitliche Exemplare wie Boris | |
Johnson und Michael Gove handelt. Die beiden galten als Traumpaar des | |
Brexit-Lagers. | |
Der eine, Londons Ex-Bürgermeister Johnson, war eine Art Polit-Clown, der | |
bei den Wählern gut ankam. Der andere, Justizminister Gove, schien das | |
Brexit-Anliegen intellektuell zu unterfüttern. Früher oder später würden | |
beide die Geschicke des Landes leiten, so erwarteten die Medien. | |
Doch es kam anders, was nicht überrascht, wenn man sich den Werdegang der | |
beiden ansieht. | |
Nach seiner ersten Station als Journalist, einem dreimonatigen Praktikum | |
beim Wolverhampton Express and Star, urteilte der Nachrichtenredakteur über | |
Johnson, dass aus ihm nie ein guter Reporter würde. Das wurde er auch | |
nicht, [1][aber aus seiner Zeit in Wolverhampton nahm er seine Ablehnung | |
der „faulen Labour-Politiker“ mit], wodurch er zum Tory wurde, wie Johnson | |
später in einem Interview mit der New York Times gesagt haben soll. | |
Von Wolverhampton ging er zurück nach London und bekam einen Job bei der | |
Times. Die war schon damals keine Qualitätszeitung mehr, nachdem sie 1981 | |
vom Medienzar Rupert Murdoch gekauft und zum Kampfblatt für die | |
konservative Mittelschicht gemacht worden war, flankiert vom Massenblatt | |
Sun, das es auf die niederen Instinkte des Stammtischpublikums abgesehen | |
hat. Mit der Wahrheit nehmen es beide Blätter nicht so genau, ebenso wenig | |
wie Johnson. | |
## Grundstein für seine Brexit-Kampagne | |
Eigentlich eine ideale Kombination, [2][doch als Johnson den Lesern seinen | |
Patenonkel als Experten auftischte, der ihm eine absurde Theorie über König | |
Edward II. und dessen Liebhaber bestätigte, wurde es selbst der Times zu | |
viel.] Johnson wurde gefeuert und ging zum Daily Telegraph, im Volksmund | |
auch als Torygraph bekannt. | |
Der schickte ihn nach Brüssel, und damit wurde ein Grundstein für die | |
Brexit-Kampagne gelegt, auch wenn das Erst rückblickend klar wurde, weil | |
das Thema damals gar nicht zur Debatte stand. | |
Johnson wollte lediglich aus der Schar der EU-Berichterstatter | |
herausstechen, wie er später erzählte. So erfand er von | |
Schreckensnachrichten über EU-Vorschriften, die den britischen Lebensstil | |
bedrohten. Johnson schreckte auch nicht vor Lügen zurück – oder in seinen | |
eigenen Worten: Er warf Steine über die Mauer und freute sich, wenn sie im | |
britischen Glashaus einschlugen. Auch nach seiner Wahl ins Unterhaus 2001 | |
warf er weiter Steine. | |
Durch seine Berichte hatte Johnson das EU-Monster in Großbritannien | |
aufgebaut, denn viele Tories nahmen die Artikel für bare Münze. Die Saat | |
für den Brexit war gelegt. | |
## Er wollte Cameron beerben | |
Johnson selbst war allerdings bis vor kurzem für den Verbleib in der EU. | |
Sein Meinungsumschwung hatte rein taktische Gründe, wie manche seiner | |
Parteifreunde vermuteten: Er wollte damit offenbar Premierminister David | |
Cameron, der gegen den Brexit war, schwächen, um ihn schließlich beerben zu | |
können. Nach dem Brexit-Sieg bot sich ihm diese Gelegenheit früher als | |
erwartet. | |
Michael Gove kennt solche Machtspiele ebenfalls, denn auch er war früher | |
Journalist. Er wurde 1967 in Edinburgh geboren und von einem Ehepaar | |
adoptiert, das die Labour Party unterstützte. Nach seinem Englisch-Studium | |
in Oxford wurde Gove Leitartikler für die Times und für die Aberdeen Press | |
& Journal. | |
Wie Johnson, so machte sich auch Gove einen Namen mit absurden Thesen. Die | |
Warnungen zahlloser Wirtschaftsexperten vor dem Brexit kommentierte Gove | |
zum Beispiel mit dem Satz: „Die Menschen in diesem Land haben die Nase voll | |
von Experten.“ | |
Als ehemaliger Journalist bot er ebenso wenig wie Johnson prakische | |
Lösungen an. Es ging beiden offenbar um Unterhaltung, denn einen Plan nach | |
dem Brexit hatten beide nicht. | |
Gove beteuerte während der gesamten Referendumskampagne, dass er gerne | |
hinter Johnson die zweite Geige spielen würde. Als es darauf ankam, stand | |
er jedoch nicht mehr hinter ihm – wie Johnson es umgekehrt wohl auch getan | |
hätte. | |
## Hinterhältigkeit gehört dazu | |
Gove hatte den Vorteil, dass er seine Frau, eine Journalistin, für seine | |
Intrige einspannen konnte. Sie schrieb ihm eine Johnson-kritische Mail und | |
verschickte sie „versehentlich“ an einen Wähler, der sie prompt an die | |
Presse weitergab. | |
Sowohl Johnson, als auch Gove hatten stets gelogen, wenn es um ihre | |
Ambitionen auf Camerons Job ging. Johnson sagte, eher werde er als Olive | |
wiedergeboren. Und Gove meinte, er habe nicht die notwendigen Fähigkeiten. | |
Nach dem Referendum änderten beide ihre Meinung, doch die ganze Mühe war | |
vergeblich. Gove erledigte zunächst Johnson, bevor er selbst von seiner | |
Partei erledigt wurde. Zwar gehört „back stabbing“ – Hinterhältigkeit �… | |
politischen Kultur, aber so offensichtlich, wie Gove es getan hat, | |
widersprach es doch zu sehr der feinen englischen Art. | |
12 Jul 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.expressandstar.com/news/2012/06/07/wolverhampton-turned-me-into-… | |
[2] http://www.pinknews.co.uk/2013/03/26/boris-johnson-i-was-wrong-to-make-up-a… | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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