| # taz.de -- Musikalische Selbstbefragung: Der Pop der Alltagsgeräusche | |
| > Die norwegische Künstlerin Hanne Hukkelberg kommt mit ihrem Album | |
| > „Birthmark“ auf Tour. Ihr Sound klingt etwas zu sehr nach skandinavischem | |
| > Design. | |
| Bild: Diese Spüle, auf der Hanne Hukkelberg sitzt, sieht nach Berlin aus, nich… | |
| Spaziert man [1][mit einem Song von Hanne Hukkelberg] auf den Ohren durch | |
| die Welt, kann das den beglückenden, manchmal auch irritierenden Effekt | |
| haben, dass die Umgebung mit der Musik verschmilzt: Macht die Rolltreppe | |
| dieses verschleifte Geräusch oder gehört es zum Stück? Und woher kommt | |
| dieses seltsame Pochen? | |
| Dank unendlicher technischer Möglichkeiten, gibt es ja reichlich Musik, die | |
| Alltagsgeräusche mittels Loops oder Samples integriert. Doch Hukkelbergs | |
| Kompositionen wirken zunächst so reduziert und minimalistisch, dass man | |
| solche Überlappungen nicht erwartet. Umso nachhaltiger ist der | |
| Überraschungseffekt. | |
| Das gilt erst recht für ihr unlängst erschienenes Album „Birthmark“. Auf | |
| der Oberfläche wirkt es puristischer, weniger verspielt als frühere | |
| Arbeiten der norwegischen Künstlerin. International segelt die 40-Jährige | |
| von jeher etwas unter dem Radar, verglichen mit skandinavischen | |
| Musikerkolleginnen, mit denen sie doch einiges verbindet. | |
| ## In Norwegen ist Hukkelberg schon ein Popstar | |
| Mit Robyn die Affinität zum R&B, mit (der frühen) Björk die Klarheit der | |
| Kompositionen, mit Karin Dreijer alias Fever Ray die Bereitschaft zur | |
| Selbstbefragung. In Norwegen ist Hukkelberg schon ein Popstar. Bereits für | |
| ihr während ihres Aufenthalts in Berlin entstandenes zweites Album | |
| „Rykestraße“ (2006) bekam sie den wichtigsten norwegischen Musikpreis | |
| „Spellemanprisen“. | |
| Anders als sonst hat Hukkelberg für „Birthmark“ ihre Stücke am Klavier | |
| komponiert – an einem Klavier, dass sie von ihrer Großmutter geerbt hat. | |
| Dementsprechend klar wirken die Melodien. In den fertigen Songs spielt das | |
| Instrument jedoch eher selten die dominante Rolle, die übernimmt ihre | |
| Stimme. Ihr gelingt der Spagat, gleichzeitig geradeheraus und verspielt zu | |
| klingen. | |
| Zusammengehalten werden die Stücke durch Percussion-Elemente (wofür | |
| Haushaltsgeräte zweckentfremdet sind), elektronische Beats, Field | |
| Recordings und Samples – und einer starken Rhythmusfixierung, etwa in dem | |
| eingängigen „Catch Me If You Can“. Nach ostentativem Geklöppel und Gedeng… | |
| klingt das trotzdem nie, die Oberfläche bleibt eingängig und Pop. | |
| ## Symbolbild für das ganze Album | |
| Im groovenden, fast R&B-artigen Song „Crazy“ scheint jemand auf einer | |
| mechanischen Schreibmaschine herumzuhacken, zwischendurch ist immer wieder | |
| der heute vergessene Sound zu hören, wenn das Schreibfeld in die nächste | |
| Zeile geschoben wird. Dieser Klang des analogen, entschleunigten, durch die | |
| zwischengeschaltete Gerätschaft aber auch Distanz einnehmenden Schreibens | |
| taugt als Symbolbild für das ganze Album. | |
| Vielleicht ausgelöst durch den Tod der geliebten Großmutter, wirken einige | |
| der Songs wie Briefe an Familienmitglieder und andere (ehemals) wichtige | |
| Menschen. Hukkelberg will Grundsätzliches durchsprechen, übersieht aber | |
| auch die kleinen Details nicht. Und redet dabei über Dinge, die man | |
| vielleicht tatsächlich besser in einen Brief packt, als sie am Esstisch | |
| anzusprechen. | |
| Etwa die Beschäftigung mit dem für sie offenkundig befremdlichen Glauben | |
| ihrer gläubigen Eltern in „Faith“, einem Song, bei dem ihre R&B-Affinität | |
| ebenfalls durchscheint. Trotz ihrer Skepsis lässt sie ihre Abwägungen nicht | |
| abwertend klingen. Ihre Eltern haben eine gleichberechtigte Stimme, wenn | |
| sie antworten: „I just got my faith / Aren’t we all lost / In a vacuum | |
| space / Can you explain / What’s in your brain / Can you explain / The | |
| places you’ve been / All the things you’ve seen“. | |
| ## Selbstbefragung, statt Selbstvergewisserung | |
| Ihre Zweifel an deren Denkweise nutzt Hukkelberg für eine Selbstbefragung, | |
| nicht für eine Selbstvergewisserung. Diese Offenheit zieht sich auch durch | |
| Stücke, bei denen sie mit ihrem früheren Selbst in den Dialog tritt. Das | |
| Befragen des eigenen Ich in unterschiedlichen Lebensphasen zieht sich wie | |
| ein roter Faden durch das Album. | |
| Manchmal klingt das Ergebnis dann doch fast zu aufgeräumt – weniger auf der | |
| Textebene, die Verwirrung zulässt, als im Sound, der bisweilen ein | |
| bisschen zu viel nach skandinavischem Design klingt. Auf der Klangebene | |
| dürfte in den Songs durchaus etwas mehr Chaos stecken – so, dass man sich | |
| als Hörer nicht nur fragt: Woher kommt diese Sound? Sondern auch: Wie zum | |
| Teufel kommt sie auf diese Idee? | |
| 10 Oct 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stephanie Grimm | |
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